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Poppers Wissenschaftstheorie & Golden Rule-Anarchie

 

 

#1 (15.10.01)

Objektivismus.de > Schmelzer

 

> Schön, ich wollte mich schon immer mal mit einem Objektivisten
> streiten ;-).

Ich glaube, ich könnte Ihnen hier u.U. behilflich sein. :)


> > c) Was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, ist, dass
> > "Poppers Logik" dem zuerst von Aristoteles erkannten
> > Identitätsprinzip widerspricht.  Das macht dieses höchstens
> > "fundamentaler," nicht jedoch "primitiver." Das gesamte Gefüge der
> > objektivistischen Philosophie aus diesem Grund abzulehnen, ist also
> > widersinnig. Ihre Einwände gegen den Objektivismus müssten schon
> > etwas mehr Substanz aufweisen, um überhaupt diskutierbar zu sein.
>
> Ich zitier mal http://www.aynrand.org/objectivism/essentials.html:

[Endlich mal jemand, der sich  informiert hat (zumindest halbwegs).]


> Poppers Wissenschaftstheorie ist skeptizistisch, d.h. es gibt in ihr
> zwar erfolgreiche wissenschaftliche Theorien, die auch zumindest
> teilweise wahr sind.  Aber es gibt prinzipiell keine Sicherheit,
> dass eine konkrete Theorie auch wahr ist.

Außer der "prinzipiellen" Sicherheit, dass es "keine Sicherheit" gibt?? Es
ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Gewissheit die Unmöglichkeit der
Gewissheit vertreten wird! Wenn etwas "teilweise wahr" sein kann, muss es
auch etwas geben, was "vollständig wahr" ist. Sie verwickeln sich jetzt
schon in Selbstwidersprüche.


> Der Widerspruch zwischen Objektivismus und Popper ist somit völlig
> offensichtlich.  Die Beweislast für eine evtl. doch mögliche absolute
> Sicherheit liegt bei dem, der ihre Existenz behauptet, also beim
> Objektivismus.

Das ist wieder falsch, denn Sie verlangen etwas, was Sie durch Ihre
Forderung nach einem Beweis schon implizit voraussetzen, nämlich, dass
sichere Beweise möglich sind. Die axiomatischen Grundlagen des Denkens zu
beweisen, ist weder möglich noch notwendig. Sie sind selbstevident und in
allem Denken (unvermeidlich) implizit enthalten.


Ansonsten hat der Skeptizismus die Pflicht, zu zeigen,
> dass er mit dem offensichtlichen realen Erfolg der Wissenschaft
> kompatibel ist, aber die hat er mit Poppers "Logik der Forschung"
> geleistet.

Wie gesagt, kenne ich Poppers Werk nicht gut genug. Wenn es aber auf dem
von Ihnen geschilderten Skeptizismus beruht, ist es selbstwidersprüchlich
und damit FALSCH. Wenn Ihre Ablehnung des Objektivismus alleine seiner
Inkompatibilität mit Poppers "Logik der Forschung" entspringt, ist sie
argumentativ nicht haltbar.


> > (2) Dann Ihre Kritik an einem durch die Natur bestimmtem
> > Eigeninteresse: Wenn Ihr Individualismus tatsächlich "rational" ist,
> > müssen Sie irgendwelche Standards anführen, an denen die
> > Rationalität einer Handlung gemessen werden kann. Welche sind das
> > bei Ihnen? Bei Stirner scheinen das die jeweils grade aktuellen
> > Launen zu sein. (Bei uns sagt man dazu "Whim-Worshipping.") Es
> > müsste Ihnen -- als jemandem, der sich des Werts der Vernunft gewiss
> > zu sein scheint -- bewusst sein, dass man bei einem konsequenten
> > Emotionalismus schon sehr viel Glück haben muss, um damit nicht
> > Schiffbruch zu erleiden. Diese Frage (nach dem rationalen Standard)
> > ist also offen geblieben.
>
> Absolute Kriterien für Rationalität habe ich in der Tat nicht.  Es ist
> klar, dass ich, wenn ich bereits in der Wissenschaftstheorie skeptisch
> bin, also ablehne dass die Wissenschaft beweisbar absolute Wahrheiten
> hervorbringt, im Bereich der Ethik nicht höhere Standards erfüllen
> kann.

Sie unterschlagen, dass Ethik ein Gegenstand der wissenschaftlichen
Forschung sein kann. Da Sie sich ja nach eigener Aussage mit Soziobiologie
beschäftigt haben, müsste Ihnen klar sein, dass dieses Gebiet eines ist,
in dem man durch wissenschaftliche Forschung zu definitiv wahren Aussagen
gelangen kann. Was Ihren grundsätzlichen Protest gegen die Feststellbarkeit
absoluter Wahrheiten angeht: siehe oben.


> Für mich ist Rationalität equivalent zur Anwendung der
> wissenschaftlichen Methode, natürlich in der von Popper beschriebenen
> Version.

Für mich ist Rationalität in erster Linie Handeln, welches mit der
Identifikation einer optimalen Zweck-Mittel-Relation konsistent ist. Wenn
ich nicht irre, entspricht das dem Rationalitäts-Begriff der
Wirtschaftswissenschaften. Objektivität und Rationalität zu ermöglichen,
ist m.E. der Zweck einer jeden wissenschaftlichen Methode.


Die wissenschaftliche Methode ist natürlich anwendbar, wenn
> man die Frage betrachtet, mit welcher Strategie ich meine gerade
> aktuellen Launen optimal durchsetzen kann.

Um die Rationalität Ihrer Strategie überprüfen (oder identifizieren) zu
können, muss Ihnen der höchste Wert, das letzte Ziel, bekannt sein. Bei
Ihnen (und Stirner) scheint das ein kurzsichtiger Hedonismus zu sein, der
mit der Natur des Menschen nicht kompatibel ist. Das Ergebnis eines
solchen Handelns wird aller Voraussicht nach, langfristig gesehen, Ihr
Unglück sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Mensch bei klarem
Verstand wollen kann.


> > (3) Welche Probleme haben Sie mit dem Prinzip, dass Fakten beurteilt
> > werden müssen (um zu überleben)?
>
> Mir reicht es eigentlich, die (für meine Interessen relevanten) Fakten
> festzustellen.

Die Feststellung der Fakten können Sie sich sparen, wenn Sie sie nicht
einer (objektiven) Bewertung zuführen. Wir nehmen wahr und sind uns
unserer Umwelt letztlich nur deshalb bewusst, um darin erfolgreich
biologisch notwendige Ressourcen ("Werte") zu akquirieren. Der notwendige
Zwischenschritt dazu ist aber die Orientierung mittels einer
Faktenbewertung in den Dimensionen: a) richtig und falsch, b) nützlich und
schädlich, c) rational und irrational, d) konstruktiv und destruktiv, e)
gut und böse.


> > Die Welt nach dem klassischen Schema in Gut und Böse aufzuteilen,
> > ist grade Ausdruck der Rationalität, hingegen ist die Welt zu einem
> > einzigen Grau zu vermantschen, höchst irrational und
> > selbstzerstörerisch.
>
> Ich unterteile nicht nach Gut und Böse, trotzdem ist die Welt deswegen
> kein einziges Grau und ich selbst keineswegs zerstört.

Wenn Sie das Böse nicht erkennen, sind sie bald tot, weil Sie ihm nicht
auszuweichen werden. Wenn Sie das Gute nicht erkennen, sind Sie ebenfalls
bald tot, weil Sie nicht nach ihm streben werden. Sie können mir beim
besten Willen nicht weismachen, dass Ihnen Ihr Leben gleichgültig ist, dass
Ihnen -- im wahrsten Sinne des Wortes -- jegliches Urteilsvermögen fehlt.
Sollte das tatsächlich der Fall sein, würde es sich bei Ihnen um eine neue
Spezies handeln... die allerdings (als grausame Laune der Natur) eine
Sackgasse der Evolution repräsentieren würde. Vielleicht sollte ich Sie
einem Zoologen melden?! :)) Er wäre sicherlich erstaunt über Sie!


> > Es ist zunächst einmal sehr viel (interessantes) Material. Was mir aber
> > sofort als Fehler aufgefallen ist, ist der Ausspruch, (a) "Was du nicht
> > willst das man dir tu, das füg auch keinem andern zu," ergänzt durch
(b),
> > "Dies gilt für alle, aber besonders für die Starken."
> >
> > Zu (a): Warum eigentlich? Sie haben das u.a. mit der Behauptung
begründet,
> > "Wer gegen sie verstößt, wird gegen die Strategie 'wie du mir, so ich
dir'
> > verlieren." Das ist aus mehreren Gründen falsch: 1. Tit-for-Tat
beinhaltet,
> > Vergeltungsschläge führen zu können, die zu empfangen sich ~kein~
Spieler
> > wünschen kann (sonst wäre es keine wirkungsvolle Strafe).
>
> Bei "tit for tat" eben genau dasselbe zu tun wie einem angetan wurde
> ist ja genau dann eine Strafe, wenn derjenige gegen die Goldene Regel
> verstossen hat.  Je stärker er dagegen verstösst, desto unerwünschter
> und somit wirkungsvoller ist die Strafe.

Dieser Absatz ist mir unverständlich. Bitte reformulieren Sie ihn so, dass
ich daraus entnehmen kann, warum man niemandem etwas antun soll, was einem
selbst nicht angetan werden soll.


> > 2. In den bekannten Computersimulationen war eine Situation gegeben,
> > in der alle Spieler gleich stark waren. Das ist bei menschlichen
> > Individuen selten, bei Gruppen von solchen so gut wie nie der
> > Fall. Es müsste für die Rationalität dieser Spielstrategie ein
> > Machtgleichgewicht gegeben sein, das aber nach wenigen Runden
> > sowieso gleich wieder hinfällig wäre.
>
> Ich denke keineswegs dass hier ein Machtgleichgewicht gegeben sein
> muss.  Es reicht in asymmetrischen Situationen, dass man als Reaktion
> dem anderen schaden kann.

Genau das würde ja eine Macht-Symmetrie darstellen! Ich habe aber von einer
Macht-Asymmetrie gesprochen, was bedeutet, dass eine Seite der anderen eben
mehr schaden kann, als umgekehrt. Wenn er will, kann der Staat mich töten,
ich ihn aber nicht vernichten. Er braucht als Stärkerer also auf meine
Befindlichkeit zu pfeifen.


> > Zu (b): Eben nicht. Ändern Sie es um, auf "Das gilt NICHT für den
> > Starken," und es passt. Das ist bei den gesellschaftlich gegebenen
> > Macht-Asymmetrien so selbstevident, dass ich Schwierigkeiten damit
> > hätte, das überhaupt zu argumentativ begründen.
>
> Ok, ich muss dazu wohl einiges sagen.
>
> Erstmal hängt die Optimalität einer Strategie von der gewählten
> Gegenstrategie ab.  Gerade wegen der Gefahr, die von einem Starken
> ausgeht, der sich nicht an wichtige Regeln hält, ist die optimale
> Gegenstrategie eine, die von Stärkeren von vornherein mehr fordert.
> Soweit die Einzelnen sich einig sind, vom Staat Demokratie und
> Rechtsstaatlichkeit zu fordern, können sie dies auch durchsetzen, die
> Praxis zeigt dies.

1. Warum soll sich der Stärkere um Forderungen von Schwächeren scheren??
2. Mit der "Einigkeit von Einzelnen" könnten Sie zwar das
Machtgleichgeweicht zu Gunsten der vormals Schwächeren verschieben, damit
widerlegen Sie aber ~in keinster Weise~ meine Aussage betreffend (b)! Sie
sind dem Kern der Frage (1.) lediglich ausgewichen. Damit kommen Sie bei
mir nicht durch.


> Richtig ist, dass ein Staat die militärische Macht hat, seine
> Untertanen zu unterjochen.  Richtig ist genauso, dass es eine
> Gegenstrategie gibt, nämlich Demokratie, Menschenrechte und
> Rechtsstaatlichkeit zu fordern, und dies in höherem Maße als von
> Einzelnen.

Was Sie damit sagen, ist dass man einfach der Stärkere sein muss, um
anderen (wie hier etwa dem Staat) Einhalt gebieten zu können. Macht ist
also in jedem Fall notwendig. Je mehr, um so besser.

Bis jetzt sieht es ganz und gar nicht gut für Sie aus. Und leider auch
nicht für die Rationalität einer Befürwortung des Liberalismus durch die
herrschende Klasse und ihrer Symbionten. Für die herrschende Klasse wäre es
vielmehr rational, ihre Macht zu unseren Lasten ~auszuweiten!~

Wenn wir als Libertäre auf Ideologie als Mittel zur Kriegsführung
tatsächlich verzichten wollen, müssen wir uns (und dem Publikum)
eingestehen, Interessenpolitik zu betreiben -- so wie die Gegenseite.
Diskussionen mit ihr helfen da nicht viel.

alexander

 

 

#2 (16.10.01)

Schmelzer > Objektivismus.de


"alexander ch. fürstenberg" <RationalEvidence@gmx.de> writes:
>> Poppers Wissenschaftstheorie ist skeptizistisch, d.h. es gibt in ihr
>> zwar erfolgreiche wissenschaftliche Theorien, die auch zumindest
>> teilweise wahr sind. Aber es gibt prinzipiell keine Sicherheit,
>> dass eine konkrete Theorie auch wahr ist.

> Außer der "prinzipiellen" Sicherheit, dass es "keine Sicherheit"
> gibt??

Man darf gerne auch diese These kritisieren, offen für Kritik ist sie
allemal. Aber es wäre wohl auch kein Selbstwiderspruch, wenn man es
so auffast - die Aussage bezieht sich auf empirische Theorien, während
sie selbst zum nicht-empirischen, philosophischen Gebiet der
Erkenntnistheorie gehört.

Der Status mathematischer Wahrheiten ist ja durchaus auch ein anderer
als der physikalischer Theorien.  Der Status philosophischer Thesen
(wie hier der These dass Sicherheit über empirische Theorien unmöglich
ist) kann durchaus auch ein anderer sein. 

Ich vertrete hier keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus
philosophischer Theorien.  Klar scheint aber dass es eine andere Frage
ist.

> Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Gewissheit die
> Unmöglichkeit der Gewissheit vertreten wird! Wenn etwas "teilweise
> wahr" sein kann, muss es auch etwas geben, was "vollständig wahr"
> ist. Sie verwickeln sich jetzt schon in Selbstwidersprüche.

Ich schrieb "zumindest teilweise" und wollte damit vollständig wahr
keinesfalls ausschliessen. Aber mit vollständiger Wahrheit einer
Theorie ist Ungewissheit, ob sie wahr ist, durchaus kompatibel.

>> Der Widerspruch zwischen Objektivismus und Popper ist somit völlig
>> offensichtlich. Die Beweislast für eine evtl. doch mögliche absolute
>> Sicherheit liegt bei dem, der ihre Existenz behauptet, also beim
>> Objektivismus.

> Das ist wieder falsch, denn Sie verlangen etwas, was Sie durch Ihre
> Forderung nach einem Beweis schon implizit voraussetzen, nämlich, dass
> sichere Beweise möglich sind. Die axiomatischen Grundlagen des Denkens zu
> beweisen, ist weder möglich noch notwendig. Sie sind selbstevident und in
> allem Denken (unvermeidlich) implizit enthalten.

Das Problem ist, dass gerade die selbstevidentesten Sachen immer wieder
die grössten philosophischen Missverständnisse hervorzurufen scheinen.

>> Ansonsten hat der Skeptizismus die Pflicht, zu zeigen,
>> dass er mit dem offensichtlichen realen Erfolg der Wissenschaft
>> kompatibel ist, aber die hat er mit Poppers "Logik der Forschung"
>> geleistet.

> Wie gesagt, kenne ich Poppers Werk nicht gut genug. Wenn es aber auf dem
> von Ihnen geschilderten Skeptizismus beruht, ist es selbstwidersprüchlich
> und damit FALSCH. Wenn Ihre Ablehnung des Objektivismus alleine seiner
> Inkompatibilität mit Poppers "Logik der Forschung" entspringt, ist sie
> argumentativ nicht haltbar.

Ein Selbstwiderspruch ist nicht gegeben.  Es ist erstens eine
skeptische Theorie über empirische Theorien, aber selbst keine
empirische Theorie.  Aber selbst wenn man sie (inkorrekterweise) auf
sich selbst anwendet, erhielten wir lediglich, dass die Theorie
absolut wahr sein kann, wir haben lediglich keine Sicherheit, dass sie
absolut wahr ist.  Daraus folgt kein Widerspruch und keine Falschheit.

>> Absolute Kriterien für Rationalität habe ich in der Tat nicht. Es ist
>> klar, dass ich, wenn ich bereits in der Wissenschaftstheorie skeptisch
>> bin, also ablehne dass die Wissenschaft beweisbar absolute Wahrheiten
>> hervorbringt, im Bereich der Ethik nicht höhere Standards erfüllen
>> kann.
>
> Sie unterschlagen, dass Ethik ein Gegenstand der wissenschaftlichen
> Forschung sein kann.

Nein, das setze ich sogar in obigem Argument implizit voraus.  Wenn
Ethik Gegenstand empirischer Wissenschaft ist, und in der empirischen
Wissenschaft Skeptizismus gilt, gilt auch in der Ethik Skeptizismus.

>> Für mich ist Rationalität equivalent zur Anwendung der
>> wissenschaftlichen Methode, natürlich in der von Popper beschriebenen
>> Version.

> Für mich ist Rationalität in erster Linie Handeln, welches mit der
> Identifikation einer optimalen Zweck-Mittel-Relation konsistent ist. Wenn
> ich nicht irre, entspricht das dem Rationalitäts-Begriff der
> Wirtschaftswissenschaften. Objektivität und Rationalität zu ermöglichen,
> ist m.E. der Zweck einer jeden wissenschaftlichen Methode.

Ich folge da der Wirtschaftswissenschaft.  In der
Wirtschaftswissenschaft werden die gerade aktuellen Launen als
Interessen der Individuen als vorgegeben betrachtet, und es wird
angenommen, dass die Individuen die optimale Strategie wählen, um ihre
Interessen zu optimieren.

Zwischen der wirklich optimalen Strategie und der primitiven,
offensichtlichen Strategie besteht meist ein Unterschied, und dieser
Unterschied ist das, was ethisches Handeln enthält.

>> Die wissenschaftliche Methode ist natürlich anwendbar, wenn
>> man die Frage betrachtet, mit welcher Strategie ich meine gerade
>> aktuellen Launen optimal durchsetzen kann.

> Um die Rationalität Ihrer Strategie überprüfen (oder identifizieren)
> zu können, muss Ihnen der höchste Wert, das letzte Ziel, bekannt
> sein. Bei Ihnen (und Stirner) scheint das ein kurzsichtiger
> Hedonismus zu sein, der mit der Natur des Menschen nicht kompatibel
> ist.

Nein, es ist bei Stirner einfach nicht spezifiziert.  Stirner geht es
lediglich um die Priorität der eigenen Interessen vor allem anderen,
und in keiner Weise darum, was diese eigenen Interessen sind.  Oder
gar sein sollten.

Rationalität ist bei Stirner auch nur insofern ein Thema, dass die
Prioritätsfrage geklärt wird.  Rationalität als Mittel zur Auswahl der
optimalen Strategie ist nur Mittel zum Zweck, dem Zweck somit
untergeordnet.

> Das Ergebnis eines solchen Handelns wird aller Voraussicht nach,
> langfristig gesehen, Ihr Unglück sein. Ich kann mir nicht
> vorstellen, dass das ein Mensch bei klarem Verstand wollen kann.

Was er will, das will er einfach, das ist gegeben.  Der rationale
Mensch unterscheidet vom irrationalen nicht durch das, was er will,
sondern wie er handelt, um seine Interessen durchzusetzen.  Der
rationale Mensch bezieht die Risiken und Nebenwirkungen seiner
Handlungen mit in die Rechnung ein.  Dies bedeutet auch, dass er
erkennt, dass Zwischenziele wie "Mercedes besitzen" ihn nicht
unbedingt glücklich machen werden.

>>> (3) Welche Probleme haben Sie mit dem Prinzip, dass Fakten beurteilt
>>> werden müssen (um zu überleben)?
>>
>> Mir reicht es eigentlich, die (für meine Interessen relevanten) Fakten
>> festzustellen.
>
> Die Feststellung der Fakten können Sie sich sparen, wenn Sie sie nicht
> einer (objektiven) Bewertung zuführen. Wir nehmen wahr und sind uns
> unserer Umwelt letztlich nur deshalb bewusst, um darin erfolgreich
> biologisch notwendige Ressourcen ("Werte") zu akquirieren. Der notwendige
> Zwischenschritt dazu ist aber die Orientierung mittels einer
> Faktenbewertung in den Dimensionen: a) richtig und falsch, b) nützlich und
> schädlich, c) rational und irrational, d) konstruktiv und destruktiv, e)
> gut und böse.

Ich brauche als Optimierungsfunktion (Interesse) eine Funktion, die
mir gestattet, mögliche Zustandspaare nach "besser für mich" zu
vergleichen.  Das ist meine eigene Zielfunktion.  Sie ist die
Grundlage.  Auf ihrer Grundlage kann ich dann rational optimieren.

Mit binären Unterteilungen nach Gut und Böse kann ich hier gar nichts
anfangen.

>> Ich unterteile nicht nach Gut und Böse, trotzdem ist die Welt deswegen
>> kein einziges Grau und ich selbst keineswegs zerstört.
>
> Wenn Sie das Böse nicht erkennen, sind sie bald tot, weil Sie ihm nicht
> auszuweichen werden.

Ich weiche dem aus, was schlechter für mich ist. 

> Wenn Sie das Gute nicht erkennen, sind Sie ebenfalls
> bald tot, weil Sie nicht nach ihm streben werden.

Ich strebe nach dem, was besser für mich ist. 

Eine abstrakte, nicht auf meine Interessen bezogene und binäre
(nicht-kontinuierliche) Unterteilung kann dabei höchstens irgendeine
sekundäre, näherungsweise Hilfsgrösse sein.

> Sie können mir beim
> besten Willen nicht weismachen, dass Ihnen Ihr Leben gleichgültig ist, dass
> Ihnen -- im wahrsten Sinne des Wortes -- jegliches Urteilsvermögen fehlt.

Das wollte ich auch nicht behaupten. 

> Dieser Absatz ist mir unverständlich. Bitte reformulieren Sie ihn
> so, dass ich daraus entnehmen kann, warum man niemandem etwas antun
> soll, was einem selbst nicht angetan werden soll.

Nun, ich erwarte, dass mich der andere nach der Strategie "wie du mir,
so ich dir" behandelt, ist schliesslich (zumindest in einfachen
Situationen) die optimale Strategie.  Behandle ich ihn nach der Regel
"Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu",
dann ist seine Reaktion für mich nichts, was mich stört.  Verstosse
ich gegen diese Regel, dann ist die Reaktion für mich unangenehm.

>> Ich denke keineswegs dass hier ein Machtgleichgewicht gegeben sein
>> muss. Es reicht in asymmetrischen Situationen, dass man als Reaktion
>> dem anderen schaden kann.

> Genau das würde ja eine Macht-Symmetrie darstellen! Ich habe aber
> von einer Macht-Asymmetrie gesprochen, was bedeutet, dass eine Seite
> der anderen eben mehr schaden kann, als umgekehrt.

Ich sagte, es reicht aus, wenn man mit seiner Reaktion dem anderen
schaden kann, auch wenn man ihm nicht soviel schaden kann wie
umgekehrt.  Klar, je unsymmetrischer die Relation desto schwerer setzt
sich tit for tat durch.

> Wenn er will, kann der Staat mich töten, ich ihn aber nicht
> vernichten. Er braucht als Stärkerer also auf meine Befindlichkeit
> zu pfeifen.

Trotzdem kann ich ihm schaden.  Er kann zwar drauf pfeifen, aber warum
sollte er das?  Auch in asymmetrischen Situationen haben von
Kooperation beide einen Vorteil.

>> Erstmal hängt die Optimalität einer Strategie von der gewählten
>> Gegenstrategie ab. Gerade wegen der Gefahr, die von einem Starken
>> ausgeht, der sich nicht an wichtige Regeln hält, ist die optimale
>> Gegenstrategie eine, die von Stärkeren von vornherein mehr fordert.
>> Soweit die Einzelnen sich einig sind, vom Staat Demokratie und
>> Rechtsstaatlichkeit zu fordern, können sie dies auch durchsetzen, die
>> Praxis zeigt dies.
>
> 1. Warum soll sich der Stärkere um Forderungen von Schwächeren scheren??

Weil auch er von Kooperation Vorteile erlangt.

> 2. Mit der "Einigkeit von Einzelnen" könnten Sie zwar das
> Machtgleichgeweicht zu Gunsten der vormals Schwächeren verschieben, damit
> widerlegen Sie aber ~in keinster Weise~ meine Aussage betreffend (b)! Sie
> sind dem Kern der Frage (1.) lediglich ausgewichen. Damit kommen Sie bei
> mir nicht durch.

Ich wollte hier nicht ausweichen, sondern erläutern, welchen Sinn das
Konzept hat, gerade von den Starken die Einhaltung von ethischen
Regeln zu fordern.  Der Sinn ist eine solche Verschiebung der Macht.

>> Richtig ist, dass ein Staat die militärische Macht hat, seine
>> Untertanen zu unterjochen. Richtig ist genauso, dass es eine
>> Gegenstrategie gibt, nämlich Demokratie, Menschenrechte und
>> Rechtsstaatlichkeit zu fordern, und dies in höherem Maße als von
>> Einzelnen.

> Was Sie damit sagen, ist dass man einfach der Stärkere sein muss, um
> anderen (wie hier etwa dem Staat) Einhalt gebieten zu können. Macht
> ist also in jedem Fall notwendig. Je mehr, um so besser.

Ja und?  Ich als Stirnerianer bin jetzt tief beeindruckt ;-).

> Bis jetzt sieht es ganz und gar nicht gut für Sie aus. Und leider auch
> nicht für die Rationalität einer Befürwortung des Liberalismus durch die
> herrschende Klasse und ihrer Symbionten. Für die herrschende Klasse wäre es
> vielmehr rational, ihre Macht zu unseren Lasten ~auszuweiten!~

Ja.  Nur weitet man seine Macht am effizientesten durch Kooperation
aus. 

> Wenn wir als Libertäre auf Ideologie als Mittel zur Kriegsführung
> tatsächlich verzichten wollen, müssen wir uns (und dem Publikum)
> eingestehen, Interessenpolitik zu betreiben -- so wie die Gegenseite.

Ja sicher betreibe ich auch Interessenpolitik.

> Diskussionen mit ihr helfen da nicht viel.

Wieso nicht?  Kooperation ist im Prinzip immer von Vorteil.

Ilja

--
I. Schmelzer, <ilja@ilja-schmelzer.net>, http://ilja-schmelzer.net

 

 

#3 (16.10.01)

Objektivismus.de > Schmelzer

 

> > Außer der "prinzipiellen" Sicherheit, dass es "keine Sicherheit"
> > gibt??
>
> Man darf gerne auch diese These kritisieren, offen für Kritik ist sie
> allemal. Aber es wäre wohl auch kein Selbstwiderspruch, wenn man es
> so auffast - die Aussage bezieht sich auf empirische Theorien, während
> sie selbst zum nicht-empirischen, philosophischen Gebiet der
> Erkenntnistheorie gehört.

Diese Unterscheidung macht keinen Sinn, da auch "philosophische Aussagen"
Aussagen über die Realität sind. Erkenntnistheorie bezieht sich
selbstverständlich auf das Empirische.


> Der Status mathematischer Wahrheiten ist ja durchaus auch ein anderer
> als der physikalischer Theorien.

Inwiefern? Mathematische Aussagen (wie die der formalen Logik) weisen zwar
das höchste Ausmaß an Abstraktheit auf, das überhaupt denkbar ist, sie
sollen jedoch auch die in der Realität prinzipiell konkret nachzuweisenden
Gegebenheiten widerspiegeln -- nämlich die zahlenmäßigen Relationen
zwischen Entitäten. Physikalische Theorien sind einfach nur konkreter,
spezifischer.


Der Status philosophischer Thesen
> (wie hier der These dass Sicherheit über empirische Theorien unmöglich
> ist) kann durchaus auch ein anderer sein.

Inwiefern?


> Ich vertrete hier keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus
> philosophischer Theorien.  Klar scheint aber dass es eine andere Frage
> ist.

Als was? Es wäre hilfreich, wenn du (dazu gehe ich jetzt einfach mal über),
zur Vermeidung von Missverständnissen möglichst vollständige Sätze
formulieren würdest. Wenn du keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus
philosophischer Theorien vertrittst, sagst du mir damit nur, dass ich dich
und alles was du sagst nicht ernst nehmen soll, da du ja nicht einmal
selbst behauptest, das was du sagst sei wahr. Ein Gespräch auf dieser Basis
für jemanden wie mich, der der Wahrheit näher kommen will, reine
Zeitverschwendung, bestenfalls unterhaltsamer Zeitvertreib. Darauf bin ich
aber nicht aus. Im Gegenteil. Mit ist es mit den Themen hier sehr Ernst.


> > Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Gewissheit die
> > Unmöglichkeit der Gewissheit vertreten wird! Wenn etwas "teilweise
> > wahr" sein kann, muss es auch etwas geben, was "vollständig wahr"
> > ist. Sie verwickeln sich jetzt schon in Selbstwidersprüche.
>
> Ich schrieb "zumindest teilweise" und wollte damit vollständig wahr
> keinesfalls ausschliessen. Aber mit vollständiger Wahrheit einer
> Theorie ist Ungewissheit, ob sie wahr ist, durchaus kompatibel.

Dafür dass du dich mit so hochkomplizierten physikalischen Theorien
beschäftigst, redest du aber ganz schon verworren daher. Wenn man sagt
etwas sei "wahr," dann ist das eben ~nicht~ gleichbedeutend (oder
kompatibel) mit der Aussage, es sei gleichzeitig ungewiss, ob es wahr sei!
Du kannst gleichzeitig für ein und denselben Erkenntnisgegenstand nicht
sich gegenseitig ausschließende Eigenschaften behaupten. Das verstößt gegen
das Identitätsprinzip.


> > Das ist wieder falsch, denn Sie verlangen etwas, was Sie durch Ihre
> > Forderung nach einem Beweis schon implizit voraussetzen, nämlich, dass
> > sichere Beweise möglich sind. Die axiomatischen Grundlagen des Denkens
zu
> > beweisen, ist weder möglich noch notwendig. Sie sind selbstevident und
in
> > allem Denken (unvermeidlich) implizit enthalten.
>
> Das Problem ist, dass gerade die selbstevidentesten Sachen immer wieder
> die grössten philosophischen Missverständnisse hervorzurufen scheinen.

Di weichst schon wieder aus. Das ist hier (in dieser grundsätzlichen Form)
überhaupt nicht die Frage! Die Frage ist vielmehr, ob deine Forderung nicht
inhärent selbstwidersprüchlich, und damit unsinnig ist. Sie ist es.


> > Wie gesagt, kenne ich Poppers Werk nicht gut genug. Wenn es aber auf
dem
> > von Ihnen geschilderten Skeptizismus beruht, ist es
selbstwidersprüchlich
> > und damit FALSCH. Wenn Ihre Ablehnung des Objektivismus alleine seiner
> > Inkompatibilität mit Poppers "Logik der Forschung" entspringt, ist sie
> > argumentativ nicht haltbar.
>
> Ein Selbstwiderspruch ist nicht gegeben.  Es ist erstens eine
> skeptische Theorie über empirische Theorien, aber selbst keine
> empirische Theorie.

Jede Theorie ist eine sich direkt oder indirekt auf die Realität beziehende
Vermutung. Die Theorie des Skeptizismus ist deswegen (aus den von mir
bereits angeführten Gründen) selbstwidersprüchlich, und damit unwahr.


Aber selbst wenn man sie (inkorrekterweise) auf
> sich selbst anwendet, erhielten wir lediglich, dass die Theorie
> absolut wahr sein kann, wir haben lediglich keine Sicherheit, dass sie
> absolut wahr ist.  Daraus folgt kein Widerspruch und keine Falschheit.

Nun, wenn du für diese Aussage keine Sicherheit beanspruchst, so werde ich
im Gegenzug ~für meine~ Aussagen, Sicherheit beanspruchen. Deine
Selbstzweifel sollten es dir erlauben, meine Aussagen zu akzeptieren (sie
könnten ja schließlich wahr sein).

Siehst du denn nicht, dass du um das Prinzip einer Letztbegründung einfach
nicht herumkommst?? Ich glaube, unter dem Suchwort
"Transzendentalpragmatismus" (+ "Apel") solltest du dazu im Internet noch
einiges an Material finden, wenn dir meine Argumentation wider Erwarten
immer noch Verständnisschwierigkeiten bereiten sollte.


> Nein, das setze ich sogar in obigem Argument implizit voraus.  Wenn
> Ethik Gegenstand empirischer Wissenschaft ist, und in der empirischen
> Wissenschaft Skeptizismus gilt, gilt auch in der Ethik Skeptizismus.

Über die Ungültigkeit des Skeptizismus habe ich jetzt wohl wirklich genug
geschrieben. Ich bin aber auf jeden Fall froh, dass wir uns im Prinzip
darauf einigen können, dass eine rationale Ethik nichts willkürliches,
sondern etwas tatsächlich mögliches ist.


> > Für mich ist Rationalität in erster Linie Handeln, welches mit der
> > Identifikation einer optimalen Zweck-Mittel-Relation konsistent ist.
Wenn
> > ich nicht irre, entspricht das dem Rationalitäts-Begriff der
> > Wirtschaftswissenschaften. Objektivität und Rationalität zu
ermöglichen,
> > ist m.E. der Zweck einer jeden wissenschaftlichen Methode.
>
> Ich folge da der Wirtschaftswissenschaft.  In der
> Wirtschaftswissenschaft werden die gerade aktuellen Launen als
> Interessen der Individuen als vorgegeben betrachtet, und es wird
> angenommen, dass die Individuen die optimale Strategie wählen, um ihre
> Interessen zu optimieren.

Mag sein, nur hat die Wirtschaftswissenschaft ein akontextuelles Bild von
Nachfrager-Interessen, wenn diese nicht als in einem hierarchisch
geordneten Gefüge eingebettet gesehen werden. Das was wir als hier "Laune"
bezeichnen, kann daher im Bezug auf fundamentalere Werte rational oder
irrational sein. Das hat nichts damit zu tun, ob die Strategie diese Laune
zu befriedigen, optimal ist oder nicht. Akontextuelle Rationalität (in der
Verfolgung irrationaler Ziele) ist durchaus möglich. Anzustreben ist aber
eine kontextuelle, absolute Rationalität im Bezug auf die menschliche
Natur, um Eudämonie gewährleisten zu können.


> Zwischen der wirklich optimalen Strategie und der primitiven,
> offensichtlichen Strategie besteht meist ein Unterschied, und dieser
> Unterschied ist das, was ethisches Handeln enthält.

Eine "wirklich optimale" Strategie, als ethisches Handeln, ist
gleichzusetzen mit absoluter Rationalität (siehe oben).


> > Um die Rationalität Ihrer Strategie überprüfen (oder identifizieren)
> > zu können, muss Ihnen der höchste Wert, das letzte Ziel, bekannt
> > sein. Bei Ihnen (und Stirner) scheint das ein kurzsichtiger
> > Hedonismus zu sein, der mit der Natur des Menschen nicht kompatibel
> > ist.
>
> Nein, es ist bei Stirner einfach nicht spezifiziert.  Stirner geht es
> lediglich um die Priorität der eigenen Interessen vor allem anderen,
> und in keiner Weise darum, was diese eigenen Interessen sind.  Oder
> gar sein sollten.

Dass der höchste Wert ("ultimate value") bei Stirner nicht spezifiziert
ist, macht alles nur noch schlimmer. Für Vertreter des Individualismus ist
die Priorität der eigenen Interessen vor denen anderer zwar
selbstverständlich, wenn man aber keinerlei Vorstellung über deren logische
Hierarchie hat, kann man ~sich selbst gegenüber~ aber keine Prioritäten
setzen. Was bei Stirner also fehlt, ist eine Präsentation des biologisch
sinnvoll integrierten Gefüges von Werten. Das läuft alles auf einen wirren
Emotionalismus heraus, der, konsequent angewandt, nur zu einem Desaster
führen kann.


> Rationalität ist bei Stirner auch nur insofern ein Thema, dass die
> Prioritätsfrage geklärt wird.  Rationalität als Mittel zur Auswahl der
> optimalen Strategie ist nur Mittel zum Zweck, dem Zweck somit
> untergeordnet.

Ja ja, schon klar. Bedenke aber, dass (außer dem höchsten Zweck: Eudämonie)
selbst Zwecke niemals Selbstzweck, also in Bezug auf andere Zwecke, Mittel
sind. Du musst Zwecke (Werte, Ziele, Programme, Funktionen) immer in ihrem
Kontext sehen. Im Bezug auf einen Endzweck, sind nachgeordnete Zwecke nur
Mittel. Diese Identifikation fehlt bei Stirner (aber nicht nur bei ihm).
Außer der des Objektivismus, ist mir keine Ethik bekannt, die diesen Punkt
ausreichend stark betont oder gar systematisch umsetzt. Vielmehr habe ich
den Eindruck, dass es sich bei den meisten anderen Systeme um ein
ungeordnetes Chaos von mehr oder weniger willkürlichen Regeln handelt, die
nicht zu Prinzipien integriert wurden: Die Zehn Gebote Gottes, Die Neun
Sünden des Satanismus, usw. Alles nur akontextueller Bullshit! Was fehlt,
ist ein integrierter Chart von objektiven Werten/Tugenden.

Eine Beschreibung meines Ansatzes, das unter Berücksichtigung der Natur des
Menschen zu überwinden, findest du im letzte Posting dieses Threads:
http://groups.google.com/groups?hl=en&th=4ca96af90021e5c2&seekm=f1d61678.01
10090806.2561bb40%40posting.google.com&frame=off


> > Das Ergebnis eines solchen Handelns wird aller Voraussicht nach,
> > langfristig gesehen, Ihr Unglück sein. Ich kann mir nicht
> > vorstellen, dass das ein Mensch bei klarem Verstand wollen kann.
>
> Was er will, das will er einfach, das ist gegeben.  Der rationale
> Mensch unterscheidet vom irrationalen nicht durch das, was er will,
> sondern wie er handelt, um seine Interessen durchzusetzen.

Bis dahin, ist diese Aussage einfach nur die Widerholung deines
stirnerschen Akontextualismus. Rationales Handeln (die erfolgreiche
Verwirklichung seines Willens) setzt die Setzung geeigneter Sub-Ziele,
Sub-Sub-Ziele, usw. voraus.


Der
> rationale Mensch bezieht die Risiken und Nebenwirkungen seiner
> Handlungen mit in die Rechnung ein.  Dies bedeutet auch, dass er
> erkennt, dass Zwischenziele wie "Mercedes besitzen" ihn nicht
> unbedingt glücklich machen werden.

Eben! Jetzt auf einmal beginnst du, Ziele (und Zwischenziele) in ihrem
Kontext zu betrachten. Eine schwere Geburt. Von jetzt an kann es, so hoffe
ich, nur noch besser werden! Wenn du an dieser Stelle einen Zipfel der
Vernetzung geschaut hast, dürfte es dir eigentlich nicht mehr schwer
fallen, das ganze Netzwerk der Werte und Zielsetzungen in seiner Gesamtheit
zu begreifen, und damit, dass Interessen nicht im Vakuum existieren
(dürfen).


> Ich brauche als Optimierungsfunktion (Interesse) eine Funktion, die
> mir gestattet, mögliche Zustandspaare nach "besser für mich" zu
> vergleichen.  Das ist meine eigene Zielfunktion.  Sie ist die
> Grundlage.  Auf ihrer Grundlage kann ich dann rational optimieren.
>
> Mit binären Unterteilungen nach Gut und Böse kann ich hier gar nichts
> anfangen.

Natürlich kannst du das! Wenn du mit "binär" meinst, es gäbe nur zwei
Zustände, dann ist das natürlich falsch. Es handelt sich vielmehr um ein
Beurteilungs-Kontinuum mit zwei Polen. Eine Beurteilung kann sich überall
auf diesem Kontinuum befinden, sowohl an seinen Enden, als auch irgendwo
dazwischen. ABER: jede Beurteilung ist ~immer~ entweder überwiegend (!) auf
der einen oder auf der anderen Seite. Wenn es dir hilft, will ich dir hier
meine "binären Unterteilungen" nach "besser" und "schlechter" sortieren.

1) Überwiegend gut für dich (wünschenswert):
a) richtig, b) nützlich, c) rational, d) konstruktiv, e) gut

2) Überwiegend schlecht für dich (unerwünscht):
a) falsch, b) schädlich, c) irrational, d) destruktiv, e) böse.


> > Wenn Sie das Böse nicht erkennen, sind sie bald tot, weil Sie ihm nicht
> > auszuweichen werden.
>
> Ich weiche dem aus, was schlechter für mich ist.

Also allem unter Punkt 1).


> > Wenn Sie das Gute nicht erkennen, sind Sie ebenfalls
> > bald tot, weil Sie nicht nach ihm streben werden.
>
> Ich strebe nach dem, was besser für mich ist.

Also allem unter Punkt 2).


> Eine abstrakte, nicht auf meine Interessen bezogene und binäre
> (nicht-kontinuierliche) Unterteilung kann dabei höchstens irgendeine
> sekundäre, näherungsweise Hilfsgrösse sein.

Wie gesagt, handelt es sich hier um ein Kontinuum, das aber in der Mitte
aus praktischen Gründen eine Grenze aufweise MUSS, um eine Orientierung in
der realen Welt zu ermöglichen. Hierzu sind "Netto-Bewerungen" notwendig,
die positive mit negativen Effekten verrechnen. Etwas ist also z.B. recht
selten ausschließlich gut oder böse, aber IMMER überwiegend gut oder
überwiegend böse!


> > Sie können mir beim
> > besten Willen nicht weismachen, dass Ihnen Ihr Leben gleichgültig ist,
dass
> > Ihnen -- im wahrsten Sinne des Wortes -- jegliches Urteilsvermögen
fehlt.
>
> Das wollte ich auch nicht behaupten.

Mag schon sein, dass du das nicht ~wolltest.~


> > Dieser Absatz ist mir unverständlich. Bitte reformulieren Sie ihn
> > so, dass ich daraus entnehmen kann, warum man niemandem etwas antun
> > soll, was einem selbst nicht angetan werden soll.
>
> Nun, ich erwarte, dass mich der andere nach der Strategie "wie du mir,
> so ich dir" behandelt, ist schliesslich (zumindest in einfachen
> Situationen) die optimale Strategie.  Behandle ich ihn nach der Regel
> "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu",
> dann ist seine Reaktion für mich nichts, was mich stört.  Verstosse
> ich gegen diese Regel, dann ist die Reaktion für mich unangenehm.

Diese Ausführung lässt das jeder Seite zur Verfügung stehende
"Sanktionspotential" (das Ausmaß der Macht zu belohen oder zu bestrafen)
völlig außer acht. Für den, der über ein größeres Sanktionspotential
verfügt, gibt es keinen Grund, nennenswerte Gegenwehr zu befürchten (die
sich nicht eindämmen ließe).


> >> Ich denke keineswegs dass hier ein Machtgleichgewicht gegeben sein
> >> muss. Es reicht in asymmetrischen Situationen, dass man als Reaktion
> >> dem anderen schaden kann.
>
> > Genau das würde ja eine Macht-Symmetrie darstellen! Ich habe aber
> > von einer Macht-Asymmetrie gesprochen, was bedeutet, dass eine Seite
> > der anderen eben mehr schaden kann, als umgekehrt.
>
> Ich sagte, es reicht aus, wenn man mit seiner Reaktion dem anderen
> schaden kann, auch wenn man ihm nicht soviel schaden kann wie
> umgekehrt.  Klar, je unsymmetrischer die Relation desto schwerer setzt
> sich tit for tat durch.

Genau das sage ich doch die ganze Zeit! Du gehst von der illusionären
Annahme eines Machtgleichgewichts aller beteiligten Parteien aus. Dieses
ist in der realen Welt seltenst gegeben, was Tit-for-Tat zu einer Strategie
macht, die nur in Ausnahmefällen für die stärkere Seite rational ist.
Glaube mir, ich wünschte, es wäre anders. Ist es aber nicht.


> > Wenn er will, kann der Staat mich töten, ich ihn aber nicht
> > vernichten. Er braucht als Stärkerer also auf meine Befindlichkeit
> > zu pfeifen.
>
> Trotzdem kann ich ihm schaden.  Er kann zwar drauf pfeifen, aber warum
> sollte er das?  Auch in asymmetrischen Situationen haben von
> Kooperation beide einen Vorteil.

Wieder gehst du davon aus, dass der Unterlegene etwas anzubieten hat. Es
~kann~ für den Stärkeren durchaus rationaler sein, die Kosten einer
Kooperation einzusparen, und sich gleich einfach das zu nehmen, was er
will. Verstehst du mich?


> > 1. Warum soll sich der Stärkere um Forderungen von Schwächeren
scheren??
>
> Weil auch er von Kooperation Vorteile erlangt.

Und wie groß sind diese Vorteile? Die Vorteile den Schwächeren einfach zu
überrennen, könnten größer sein. Man muss hier wirklich eine
Szenario-Analyse betrieben, die das Sanktionspotential beider Seiten
berücksichtigt, um die für eine Seite rationalste Strategie bestimmen zu
können.


> > 2. Mit der "Einigkeit von Einzelnen" könnten Sie zwar das
> > Machtgleichgeweicht zu Gunsten der vormals Schwächeren verschieben,
damit
> > widerlegen Sie aber ~in keinster Weise~ meine Aussage betreffend (b)!
Sie
> > sind dem Kern der Frage (1.) lediglich ausgewichen. Damit kommen Sie
bei
> > mir nicht durch.
>
> Ich wollte hier nicht ausweichen, sondern erläutern, welchen Sinn das
> Konzept hat, gerade von den Starken die Einhaltung von ethischen
> Regeln zu fordern.  Der Sinn ist eine solche Verschiebung der Macht.

Ja, FORDERN können wir immer Vieles! Darum ist ja herkömmliche "Moral" das
Instrument des Schwächeren, mit der sich der Stärkere in Zaum halten lässt.

Sie ist im Grunde nichts anderes als ein durch allerlei Rationalisierungen
verschleiertes Appell an das Mitleid bzw. "Gewissen" des Mächtigen. Diese
"Sklavenmoral" ist eine Verarschung des Starken, die, wenn man der eigenen
Propaganda glaubt, zu einer Selbstverarschung wird. (Dieser Akt des
Glaubens ist wohl auch eine der wichtigsten Grundlagen von Religion bzw.
Humanismus.) Während dem Starken das Instrument der physischen Gewalt zur
Verfügung steht, bleibt dem Schwachen nichts als das Instrument der
Beschämung übrig, um seine Interessen durchzusetzen. Das sind die zwei
Pfeiler ("Knüppel") einer jeden Gesellschaft.


> > Was Sie damit sagen, ist dass man einfach der Stärkere sein muss, um
> > anderen (wie hier etwa dem Staat) Einhalt gebieten zu können. Macht
> > ist also in jedem Fall notwendig. Je mehr, um so besser.
>
> Ja und?  Ich als Stirnerianer bin jetzt tief beeindruckt ;-).

Und wie verträgt sich das mit einer Befürwortung des Anarcho-Kapitalismus,
der das eine Instrument (Gewaltinitiierung) einseitig zu Gunsten des
anderen (Reputation, Beschämung, usw.) aus der Hand gibt?


> > Bis jetzt sieht es ganz und gar nicht gut für Sie aus. Und leider auch
> > nicht für die Rationalität einer Befürwortung des Liberalismus durch
die
> > herrschende Klasse und ihrer Symbionten. Für die herrschende Klasse
wäre es
> > vielmehr rational, ihre Macht zu unseren Lasten ~auszuweiten!~
>
> Ja.  Nur weitet man seine Macht am effizientesten durch Kooperation
> aus.

In dieser undifferenzierten Form ist diese Aussage falsch. Kooperation ist
eine Strategie, die am wirkungsvollsten ist, wenn die Gefahr einer
Vergeltung schwerwiegender ist, als der Nutzen einer illegitimen Aneignung.
Du musst das Sanktionspotential aller Spieler gegeneinander abwägen, um
hier eine objektive Aussage machen zu können.


> > Wenn wir als Libertäre auf Ideologie als Mittel zur Kriegsführung
> > tatsächlich verzichten wollen, müssen wir uns (und dem Publikum)
> > eingestehen, Interessenpolitik zu betreiben -- so wie die Gegenseite.
>
> Ja sicher betreibe ich auch Interessenpolitik.

Die Frage ist, Mit welchen Mitteln?


> > Diskussionen mit ihr helfen da nicht viel.
>
> Wieso nicht?  Kooperation ist im Prinzip immer von Vorteil.

...wenn man der Schwächere ist (Argumentation: siehe oben).

alexander

 

 

#4 (17.10.01)

Schmelzer > Objektivismus.de


"alexander ch. fürstenberg" <RationalEvidence@gmx.de> writes:
>>> Außer der "prinzipiellen" Sicherheit, dass es "keine Sicherheit"
>>> gibt??
>>
>> Man darf gerne auch diese These kritisieren, offen für Kritik ist sie
>> allemal. Aber es wäre wohl auch kein Selbstwiderspruch, wenn man es
>> so auffast - die Aussage bezieht sich auf empirische Theorien, während
>> sie selbst zum nicht-empirischen, philosophischen Gebiet der
>> Erkenntnistheorie gehört.
>
> Diese Unterscheidung macht keinen Sinn, da auch "philosophische Aussagen"
> Aussagen über die Realität sind. Erkenntnistheorie bezieht sich
> selbstverständlich auf das Empirische.

Trotzdem ist ihr Status ein anderer.

Notwendiger Teil von wissenschaftlichen Theorien sind
z.B. Definitionen. Auch sie beziehen sich auf die Realität - aber sie
sind, von ihrer Natur her, Konventionen. D.h. sie sind nicht wahr
oder falsch, sondern mehr oder weniger sinnvoll und manchmal
inkorrekt.

>> Der Status mathematischer Wahrheiten ist ja durchaus auch ein anderer
>> als der physikalischer Theorien.
>
> Inwiefern?

Insofern dass ich 2+2=4 nicht experimentell teste sondern beweise. Es
ist keine Hypothese, von der sich morgen bei einem neuen, genaueren
Experiment herausstellen könnte dass sie falsch ist.

> Mathematische Aussagen (wie die der formalen Logik) weisen zwar
> das höchste Ausmaß an Abstraktheit auf, das überhaupt denkbar ist, sie
> sollen jedoch auch die in der Realität prinzipiell konkret nachzuweisenden
> Gegebenheiten widerspiegeln -- nämlich die zahlenmäßigen Relationen
> zwischen Entitäten. Physikalische Theorien sind einfach nur konkreter,
> spezifischer.

Sie spielen eine wichtige Rolle in physikalischen Theorien. Trotzdem
ist obiger Unterschied wichtig.

>> Der Status philosophischer Thesen
>> (wie hier der These dass Sicherheit über empirische Theorien unmöglich
>> ist) kann durchaus auch ein anderer sein.
>
> Inwiefern?

Zum Beispiel dass sich von ihnen herausstellen kann, dass sie
sinnvolle (oder auch weniger sinnvolle) Konventionen sind, auf die man
sich einfach einigen kann.

>> Ich vertrete hier keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus
>> philosophischer Theorien. Klar scheint aber dass es eine andere Frage
>> ist.

> Als was?

Als die Frage nach dem Wahrheitsstatus empirischer Theorien.

> Wenn du keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus philosophischer
> Theorien vertrittst, sagst du mir damit nur, dass ich dich und alles
> was du sagst nicht ernst nehmen soll, da du ja nicht einmal selbst
> behauptest, das was du sagst sei wahr.

Wenn ich sage, eine meiner Aussagen sei eine sinnvolle Definition oder
Konvention, die an sich weder wahr noch falsch ist, aber auf die man
sich einigen sollte, bedeutet dies keineswegs, diese Aussage sei nicht
ernstzunehmen. Wenn die 2 als 1+1 definiert ist (was man tun kann),
ist die Aussage 1+1=2 trotzdem ernst gemeint.

Wenn ich zum Status einzelner Aussagen keine klare Position vertrete,
ob sie nun eine nichttriviale absolute Wahrheit seien oder lediglich
Konventionen, hat dies auch damit zu tun, dass diese Unterscheidung
nicht unbedingt so eindeutig ist wie man denken mag. Hier verweise
ich auf Quines Kritik an der Unterscheidung analytisch/synthetisch
in "two dogmas of empiricism".

>> Ich schrieb "zumindest teilweise" und wollte damit vollständig wahr
>> keinesfalls ausschliessen. Aber mit vollständiger Wahrheit einer
>> Theorie ist Ungewissheit, ob sie wahr ist, durchaus kompatibel.
>
> Dafür dass du dich mit so hochkomplizierten physikalischen Theorien
> beschäftigst, redest du aber ganz schon verworren daher. Wenn man sagt
> etwas sei "wahr," dann ist das eben ~nicht~ gleichbedeutend (oder
> kompatibel) mit der Aussage, es sei gleichzeitig ungewiss, ob es wahr sei!

Verworren ist eher deine Antwort, da ich von gleichbedeutend überhaupt
nichts schrieb. Kompatibel bedeutet dass beide Aussagen gleichzeitig
gelten können, ohne Widerspruch.

B ist eine wahre Aussage. Person A glaubt daran das B wahr ist.
Person A vertritt B in einer Diskussion mit Argumenten. A ist
trotzdem ungewiss darüber ob B richtig ist, und hört sich deshalb auch
Argumente gegen B aufmerksam an.

Besteht zwischen diesen Aussagen irgendein Widerspruch? Ich sehe
keinen.

> Siehst du denn nicht, dass du um das Prinzip einer Letztbegründung einfach
> nicht herumkommst?? Ich glaube, unter dem Suchwort
> "Transzendentalpragmatismus" (+ "Apel") solltest du dazu im Internet noch
> einiges an Material finden, wenn dir meine Argumentation wider Erwarten
> immer noch Verständnisschwierigkeiten bereiten sollte.

Ok. Ist die Darstellung des Transzendentalpragmatismus in

http://www.uni-koeln.de/ew-fak/seminar/histphil/abphilo/TRANSPRAG.htm

einigermassen ok, so dass ich mich bei zukünftiger Kritik darauf
beziehen kann?

> Du kannst gleichzeitig für ein und denselben Erkenntnisgegenstand nicht
> sich gegenseitig ausschließende Eigenschaften behaupten. Das verstößt gegen
> das Identitätsprinzip.

Das kann ich nicht, das tue ich aber auch nicht, zumindest versuche
ich es.

>> Aber selbst wenn man sie (inkorrekterweise) auf
>> sich selbst anwendet, erhielten wir lediglich, dass die Theorie
>> absolut wahr sein kann, wir haben lediglich keine Sicherheit, dass sie
>> absolut wahr ist. Daraus folgt kein Widerspruch und keine Falschheit.

> Nun, wenn du für diese Aussage keine Sicherheit beanspruchst, so
> werde ich im Gegenzug ~für meine~ Aussagen, Sicherheit beanspruchen.

Dieser Anspruch wäre mit Apels Transzendentalpragmatismus begründet?

> Deine Selbstzweifel sollten es dir erlauben, meine Aussagen zu
> akzeptieren (sie könnten ja schließlich wahr sein).

Erlaubt ist es mir natürlich, deine Aussagen zu akzeptieren. Sowohl
mit als auch ohne diesen Sicherheitsanspruch.

Wäre der Sicherheitsanspruch wirklich transzendental letztbegründet,
würde ich dies vermutlich auch tun - soweit ich diese Begründung auch
verstehe und als gültig akzeptiere.

Eine wirkliche Letztbegründung irgendeines kategorischen Imperativs
kann die Philosophie natürlich nicht bieten - dies zeigt bereits
Stirners Juchhe-Argument. Es kann immer nur ein hypothetischer
Imperativ rauskommen - wenn ich keinen Spass mehr an der Argumentation
mit dir habe, breche ich sie halt ab.

Noch habe ich aber Spass an dieser Argumentation, und bin daher
durchaus bereit, zu tun, was notwendig ist, um diese Kommunikation
aufrechtzuerhalten und sinnvoll zu gestalten. Was aus dieser
Voraussetzung logisch gefolgert werden kann, bin ich gerne bereit zu
akzeptieren.

Ich kann mir auch vorstellen, dass das Programm an sich einiges an
Letztbegründung bieten könnte - insbesondere die Frage nach der
Letztbegründung der Logik/Mathematik scheint mir so lösbar.
Vielleicht sogar eine Letztbegründung der wissenschaftlichen Methode,
des Wahrheitsbegriffes oder gar des Realismus.

Es scheitert aber garantiert an der Letztbegründung empirischer
Theorien und ethischer Regeln - die beziehen sich auf Objekte,
Handlungen, Interessen, die nicht auf Kommunikation beruhen.

> Über die Ungültigkeit des Skeptizismus habe ich jetzt wohl wirklich
> genug geschrieben.

Du hast aber kaum den Kern getroffen. Poppers Skeptizismus ist ja ein
sehr spezifischer. Weder mathematische Wahrheiten noch philosophische
Theorien sind betroffen. Auch die empirischen Theorien können wahr
sein. Es wird lediglich unsere Fähigkeit angezweifelt, bei
empirischen Theorien Sicherheit über den Wahrheitsgehalt zu bekommen.

Sollte das transzendentalpragmatische Programm z.B. für die
Letztbegründung von Mathematik und sogar für Poppers Epistemologie
erfolgreich sein, bestände noch keinerlei offensichtlicher Widerspruch
zu Popper.

>> Ich folge da der Wirtschaftswissenschaft. In der
>> Wirtschaftswissenschaft werden die gerade aktuellen Launen als
>> Interessen der Individuen als vorgegeben betrachtet, und es wird
>> angenommen, dass die Individuen die optimale Strategie wählen, um ihre
>> Interessen zu optimieren.

> Mag sein, nur hat die Wirtschaftswissenschaft ein akontextuelles Bild von
> Nachfrager-Interessen, wenn diese nicht als in einem hierarchisch
> geordneten Gefüge eingebettet gesehen werden. Das was wir als hier "Laune"
> bezeichnen, kann daher im Bezug auf fundamentalere Werte rational oder
> irrational sein. Das hat nichts damit zu tun, ob die Strategie diese Laune
> zu befriedigen, optimal ist oder nicht. Akontextuelle Rationalität (in der
> Verfolgung irrationaler Ziele) ist durchaus möglich.

Gut. Stimmst du mir auch zu, dass dieses akontextuell rationale
Handeln auch typische ethische Elemente enthält, so dass man hier auch
von einer akontextuellen Ethik sprechen könnte?

> Anzustreben ist aber eine kontextuelle, absolute Rationalität im
> Bezug auf die menschliche Natur, um Eudämonie gewährleisten zu
> können.

Ich habe meine Zweifel an dieser kontextuellen, absoluten Rationalität
die aus der menschlichen Natur folgen soll. Die "menschliche Natur"
ist sowieso auch nicht akontextuell, sondern entstand im Kontext der
Weiterverbreitungsinteressen egoistische Gene. Ich kann diese Gene
als Grund dafür erkennen, dass ich leben will, essen will, und lieben
will. Aber die Interessen dieser Gene sind deshalb noch lange nicht
meine, weswegen ich z.B. Empfängnisverhütung betreibe.

Ansonsten kann man die Zielfunktion der eigenen Interessen (wie sie
nun mal aufgrund meiner Natur und der Umwelteinflüsse, denen ich
ausgesetzt war, geformt worden sind) die dann optimiert werden soll,
natürlich einfach Eudämonie nennen.

>> Zwischen der wirklich optimalen Strategie und der primitiven,
>> offensichtlichen Strategie besteht meist ein Unterschied, und dieser
>> Unterschied ist das, was ethisches Handeln enthält.
>
> Eine "wirklich optimale" Strategie, als ethisches Handeln, ist
> gleichzusetzen mit absoluter Rationalität (siehe oben).

Zweifel. Ich sehe Rationalität nur als ein Mittel. Und manchmal
liefert Intuition optimalere Strategien.

Was die "wirklich optimale" Strategie ist, könnten wir nur als
allwissende Beobachter von aussen beurteilen. Der Handelnde selbst
ist in seinen Informationen ja eingeschränkt. Dies kann und muss man
mit berücksichtigen - Kosten für Informationsbeschaffung und
rationales Durchdenken einer Frage sind ja auch Kosten.

>>> Um die Rationalität Ihrer Strategie überprüfen (oder identifizieren)
>>> zu können, muss Ihnen der höchste Wert, das letzte Ziel, bekannt
>>> sein. Bei Ihnen (und Stirner) scheint das ein kurzsichtiger
>>> Hedonismus zu sein, der mit der Natur des Menschen nicht kompatibel
>>> ist.

>> Nein, es ist bei Stirner einfach nicht spezifiziert. Stirner geht es
>> lediglich um die Priorität der eigenen Interessen vor allem anderen,
>> und in keiner Weise darum, was diese eigenen Interessen sind. Oder
>> gar sein sollten.

> Dass der höchste Wert ("ultimate value") bei Stirner nicht spezifiziert
> ist, macht alles nur noch schlimmer. Für Vertreter des Individualismus ist
> die Priorität der eigenen Interessen vor denen anderer zwar
> selbstverständlich,

Ich bin durchaus auch der Meinung, dass Stirner eigentlich nur ein
paar Selbstverständlichkeiten klarstellt.

> wenn man aber keinerlei Vorstellung über deren logische Hierarchie
> hat, kann man ~sich selbst gegenüber~ aber keine Prioritäten
> setzen. Was bei Stirner also fehlt, ist eine Präsentation des
> biologisch sinnvoll integrierten Gefüges von Werten. Das läuft alles
> auf einen wirren Emotionalismus heraus, der, konsequent angewandt,
> nur zu einem Desaster führen kann.

Unterscheide bitte zwischen "etwas haben" und "etwas in einem Buch
darstellen". Stirners Einziger klärt ein grundlegendes
philosophisches Problem - durch die Feststellung, dass die eigenen
Interessen höchste Priorität haben. Wenn du dich für andere Fragen
interessierst, die nicht in Stirners Einzigem behandelt sind - fein.
Stirner ist nicht verpflichtet, alles zu behandeln.

>> Rationalität ist bei Stirner auch nur insofern ein Thema, dass die
>> Prioritätsfrage geklärt wird. Rationalität als Mittel zur Auswahl der
>> optimalen Strategie ist nur Mittel zum Zweck, dem Zweck somit
>> untergeordnet.

> Ja ja, schon klar. Bedenke aber, dass (außer dem höchsten Zweck:
> Eudämonie) selbst Zwecke niemals Selbstzweck, also in Bezug auf
> andere Zwecke, Mittel sind.

Das ist mir schon klar. Nur halte ich ab einem gewissen Level nicht
mehr viel davon, etwas noch weiter zurückzuführen. Es reicht mir zur
Auswahl im Laden, zu wissen, ob ich lieber Weissbrot oder Schwarzbrot
esse, die Gründe dafür (meine Geschmacksnerven oder komplexe
Betrachtungen über mein bei evtl. Übergewicht verringerten sexuellen
Erfolgschancen) werden nur selten wesentlich.

> Du musst Zwecke (Werte, Ziele, Programme, Funktionen) immer in ihrem
> Kontext sehen.

Nicht immer. Vor allem ist ein Zurückführen auf das einheitliche
Endziel Eudämonie für eine rationale Diskussion nicht erforderlich.
Ich kann deine Zwecke, auch wenn sie nur nachgeordnet sind, im Rahmen
einer Diskussion als solche akzeptieren - und versuchen, dir
rational-argumentativ klarzumachen, dass du diese Zwecke nicht
erreichst, wenn du etwas von mir nicht erwünschtes tust.

> Diese Identifikation fehlt bei Stirner (aber nicht nur bei ihm).

Nun, Stirners "eigene Interessen" Eudämonie zu nennen bringt nicht
viel, ist eher irreführend.

> Außer der des Objektivismus, ist mir keine Ethik bekannt, die diesen Punkt
> ausreichend stark betont oder gar systematisch umsetzt. Vielmehr habe ich
> den Eindruck, dass es sich bei den meisten anderen Systeme um ein
> ungeordnetes Chaos von mehr oder weniger willkürlichen Regeln handelt, die
> nicht zu Prinzipien integriert wurden: Die Zehn Gebote Gottes, Die Neun
> Sünden des Satanismus, usw. Alles nur akontextueller Bullshit! Was fehlt,
> ist ein integrierter Chart von objektiven Werten/Tugenden.

Was erwartest du? Selbst wenn wir uns einigen könnten, dass wir die
naturwissenschaftlichen Probleme objektiv lösen könnten:

1.) Menschen sind verschieden, und damit das was zu ihrer Eudämonie führt.

2.) Ihre Umgebung ist verschieden, und damit die in ihrer Situation optimalen
Strategien, diese herbeizuführen.

3.) Ganz zu schweigen von der Abhängigkeit der optimalen Strategie von
fremden (gegnerischen) Strategien und unserer prinzipiellen
Unmöglichkeit, diese in allen Details zu kennen.

Das sind genug prinzipielle Probleme, die dazu führen, dass mehr als
ein paar allgemeine Richtlinien (a la Goldene Regel) einfach nicht zu
erwarten sind.

>> Was er will, das will er einfach, das ist gegeben. Der rationale
>> Mensch unterscheidet vom irrationalen nicht durch das, was er will,
>> sondern wie er handelt, um seine Interessen durchzusetzen.
>
> Bis dahin, ist diese Aussage einfach nur die Widerholung deines
> stirnerschen Akontextualismus. Rationales Handeln (die erfolgreiche
> Verwirklichung seines Willens) setzt die Setzung geeigneter Sub-Ziele,
> Sub-Sub-Ziele, usw. voraus.

Klar.

>> Der rationale Mensch bezieht die Risiken und Nebenwirkungen seiner
>> Handlungen mit in die Rechnung ein. Dies bedeutet auch, dass er
>> erkennt, dass Zwischenziele wie "Mercedes besitzen" ihn nicht
>> unbedingt glücklich machen werden.

> Eben! Jetzt auf einmal beginnst du, Ziele (und Zwischenziele) in
> ihrem Kontext zu betrachten. Eine schwere Geburt. Von jetzt an kann
> es, so hoffe ich, nur noch besser werden!

Ich habe das eigentlich schon immer getan ;-).

>> Ich brauche als Optimierungsfunktion (Interesse) eine Funktion, die
>> mir gestattet, mögliche Zustandspaare nach "besser für mich" zu
>> vergleichen. Das ist meine eigene Zielfunktion. Sie ist die
>> Grundlage. Auf ihrer Grundlage kann ich dann rational optimieren.
>> Mit binären Unterteilungen nach Gut und Böse kann ich hier gar nichts
>> anfangen.

> Natürlich kannst du das! Wenn du mit "binär" meinst, es gäbe nur zwei
> Zustände, dann ist das natürlich falsch. Es handelt sich vielmehr um ein
> Beurteilungs-Kontinuum mit zwei Polen. Eine Beurteilung kann sich überall
> auf diesem Kontinuum befinden, sowohl an seinen Enden, als auch irgendwo
> dazwischen. ABER: jede Beurteilung ist ~immer~ entweder überwiegend (!) auf
> der einen oder auf der anderen Seite.

Schön wärs ja. Dann bräuchte man ja nie zu zweifeln, was nun besser
für einen selbst ist.

> Wenn es dir hilft, will ich dir hier
> meine "binären Unterteilungen" nach "besser" und "schlechter" sortieren.
>
> 1) Überwiegend gut für dich (wünschenswert):
> a) richtig, b) nützlich, c) rational, d) konstruktiv, e) gut
>
> 2) Überwiegend schlecht für dich (unerwünscht):
> a) falsch, b) schädlich, c) irrational, d) destruktiv, e) böse.

Worte der deutschen Sprache in positiv und negativ wertende
unterteilen kann ich auch.  BTW, wenn meine Feinde falsche
Informationen haben, muss das für mich nicht überwiegend gut sein.

>>> Wenn Sie das Böse nicht erkennen, sind sie bald tot, weil Sie ihm nicht
>>> auszuweichen werden.
>>
>> Ich weiche dem aus, was schlechter für mich ist.
>
> Also allem unter Punkt 1).

Was wenn etwas als richtig, schädlich, rational, und destruktiv
bewertet wird?  Das sind doch die Fragen wo es beginnt interessant zu
werden, und deine Einteilung der Wörter hilft dir dabei nicht weiter.

>> Nun, ich erwarte, dass mich der andere nach der Strategie "wie du mir,
>> so ich dir" behandelt, ist schliesslich (zumindest in einfachen
>> Situationen) die optimale Strategie. Behandle ich ihn nach der Regel
>> "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu",
>> dann ist seine Reaktion für mich nichts, was mich stört. Verstosse
>> ich gegen diese Regel, dann ist die Reaktion für mich unangenehm.

> Diese Ausführung lässt das jeder Seite zur Verfügung stehende
> "Sanktionspotential" (das Ausmaß der Macht zu belohen oder zu bestrafen)
> völlig außer acht.

Richtig, ich kann in einem Absatz nicht alles schaffen.

> Für den, der über ein größeres Sanktionspotential
> verfügt, gibt es keinen Grund, nennenswerte Gegenwehr zu befürchten (die
> sich nicht eindämmen ließe).

Nun, es geht aber nicht darum, ob sich die Gegenwehr eindämmen lässt,
sondern ums Optimieren.  Auch wenn ich die Möglichkeit habe, Gegenwehr
einzudämmen, entstehen dabei Kosten.  Die Kosten für Ethik-konformes
Verhalten sind niedriger. 

Sicherlich gibt es im Prinzip Asymmetrien die so riesig sind, dass die
Kosten zur Eindämmung einfach irrelevant sind.  Aber das hat wenig mit
realen Problemen heute zu tun.  Vermutlich kann die USA Bin Laden
eindämmen, aber die Kosten dafür sind offensichtlich nicht
unerheblich.

>> Ich sagte, es reicht aus, wenn man mit seiner Reaktion dem anderen
>> schaden kann, auch wenn man ihm nicht soviel schaden kann wie
>> umgekehrt. Klar, je unsymmetrischer die Relation desto schwerer setzt
>> sich tit for tat durch.
>
> Genau das sage ich doch die ganze Zeit! Du gehst von der illusionären
> Annahme eines Machtgleichgewichts aller beteiligten Parteien aus.

Nein. Ich sage, dass auch im Falle des Ungleichgewichts tit for tat
langfristig erfolgreicher ist. 

> Dieses ist in der realen Welt seltenst gegeben, was Tit-for-Tat zu
> einer Strategie macht, die nur in Ausnahmefällen für die stärkere
> Seite rational ist.  Glaube mir, ich wünschte, es wäre anders. Ist
> es aber nicht.

Wie erklärst du dir das kapitalistische Rechtsstaaten stärker/reicher
sind als kommunistische Diktaturen?  Ich erkläre dies damit, dass sie
optimaler gegenüber den Einzelnen handeln.  Eben weil/indem sie sich
durch Rechtsstaatlichkeit an ethische Prinzipien binden.

>> Trotzdem kann ich ihm schaden. Er kann zwar drauf pfeifen, aber warum
>> sollte er das? Auch in asymmetrischen Situationen haben von
>> Kooperation beide einen Vorteil.

> Wieder gehst du davon aus, dass der Unterlegene etwas anzubieten hat.

Das hat er aber. Du sprachst ja von einem Ungleichgewicht, nicht von
einer völligen Einseitigkeit in der der Schwächere gar nichts anbieten
kann.

> Es ~kann~ für den Stärkeren durchaus rationaler sein, die Kosten
> einer Kooperation einzusparen, und sich gleich einfach das zu
> nehmen, was er will. Verstehst du mich?

Ich verstehe dich.  Im Prinzip kann es das, und es gibt durchaus
Situationen in denen es auch so ist.  Und in diesen Situationen wäre
es dann auch ethisch gerechtfertigt, so zu handeln.

>>> 1. Warum soll sich der Stärkere um Forderungen von Schwächeren
>>> scheren??

>> Weil auch er von Kooperation Vorteile erlangt.

> Und wie groß sind diese Vorteile?

Es reicht wenn sie klein sind.

> Die Vorteile den Schwächeren einfach zu überrennen, könnten größer
> sein.

Im Prinzip ja. 

> Man muss hier wirklich eine Szenario-Analyse betrieben, die das
> Sanktionspotential beider Seiten berücksichtigt, um die für eine
> Seite rationalste Strategie bestimmen zu können.

Richtig. Und völlig eindeutige Antworten wird man auch dann kaum
rauskriegen.

>> Ich wollte hier nicht ausweichen, sondern erläutern, welchen Sinn das
>> Konzept hat, gerade von den Starken die Einhaltung von ethischen
>> Regeln zu fordern. Der Sinn ist eine solche Verschiebung der Macht.

> Ja, FORDERN können wir immer Vieles! Darum ist ja herkömmliche
> "Moral" das Instrument des Schwächeren, mit der sich der Stärkere in
> Zaum halten lässt.

Ja.

> Sie ist im Grunde nichts anderes als ein durch allerlei
> Rationalisierungen verschleiertes Appell an das Mitleid
> bzw. "Gewissen" des Mächtigen.

Das mögen beide so sehen und sogar so darstellen.  Ich sehe es aber
als völlig rationale Strategie.

>>> Was Sie damit sagen, ist dass man einfach der Stärkere sein muss, um
>>> anderen (wie hier etwa dem Staat) Einhalt gebieten zu können. Macht
>>> ist also in jedem Fall notwendig. Je mehr, um so besser.

>> Ja und? Ich als Stirnerianer bin jetzt tief beeindruckt ;-).

> Und wie verträgt sich das mit einer Befürwortung des Anarcho-Kapitalismus,
> der das eine Instrument (Gewaltinitiierung) einseitig zu Gunsten des
> anderen (Reputation, Beschämung, usw.) aus der Hand gibt?

Oh, ich gebe es keineswegs einseitig zugunsten des Anderen aus der
Hand.  Meine Reputation (als bisher immer vertragstreuer Mensch)
verleiht mir Macht, und eine wichtige Form von Macht - andere
vertrauen mir. 

Ich habe nicht nur die Macht erhalten, dieses Vertrauen irgendwann
einmal einmalig aber kräftig zu missbrauchen.  Mir gegenüber werden
auch weniger Schutzvorrichtungen, welche die Kooperation erschweren,
verwendet.  Damit bleibt bei meinen Kooperationen mehr für beide
übrig.

Gewaltinitiierung bleibt letztendlich vorbehalten.  Dies unterscheidet
den Anarcho-Kapitalismus vom Staatskapitalismus bei dem
Gewalt vom Staat monopolisiert ist.

>> Ja. Nur weitet man seine Macht am effizientesten durch Kooperation
>> aus.

> In dieser undifferenzierten Form ist diese Aussage falsch.

Sicherlich. Es gibt Situationen in denen man Macht mit Konfrontation
effizienter ausweitet.  Dies sind insbesondere bei
commitment-Strategien der Fall.

>>> Wenn wir als Libertäre auf Ideologie als Mittel zur Kriegsführung
>>> tatsächlich verzichten wollen, müssen wir uns (und dem Publikum)
>>> eingestehen, Interessenpolitik zu betreiben -- so wie die Gegenseite.

>> Ja sicher betreibe ich auch Interessenpolitik.

> Die Frage ist, Mit welchen Mitteln?

Mit denen, die mir rational erscheinen, um meine Interessen
durchzusetzen.

>>> Diskussionen mit ihr helfen da nicht viel.

>> Wieso nicht? Kooperation ist im Prinzip immer von Vorteil.

> ...wenn man der Schwächere ist (Argumentation: siehe oben).

Nein, dass Kooperation Vorteil bringt, kannst du als Definition von
Kooperation nehmen.

Allerdings wird die Sache im Kontext komplizierter.  Es kann nützlich
sein, einen kleinen Vorteil in einer kleinen Kooperation auszuschlagen
um (Stichwort Abschreckung) langfristig aus anderen Kooperationen mehr
rauszuholen als man hier verliert.

Ilja
--
I. Schmelzer, <ilja@ilja-schmelzer.net>, http://ilja-schmelzer.net

 

 

#5 (19.10.01)

Objektivismus.de > Schmelzer


> > Diese Unterscheidung macht keinen Sinn, da auch "philosophische
Aussagen"
> > Aussagen über die Realität sind. Erkenntnistheorie bezieht sich
> > selbstverständlich auf das Empirische.
>
> Trotzdem ist ihr Status ein anderer.
>
> Notwendiger Teil von wissenschaftlichen Theorien sind
> z.B. Definitionen. Auch sie beziehen sich auf die Realität - aber sie
> sind, von ihrer Natur her, Konventionen. D.h. sie sind nicht wahr
> oder falsch, sondern mehr oder weniger sinnvoll und manchmal
> inkorrekt.

(1) Das sehe ich anders. Definitionen können wahr oder falsch sein. Ob sie
dabei von Konventionen beeinflusst wurden oder nicht, spielt für ihren
Wahrheitsgehalt keine Rolle. Worauf es ankommt, ist, dass eine Definition
einen Begriff korrekt identifiziert. (2) Und was hat dieses Thema jetzt
damit zu tun, das sich grundsätzlich alle Theorie auf die Praxis bezieht?
Wir weichen zu sehr von der Frage ab, ob Gewissheit möglich ist, rsp. der
Skeptizismus nicht im Widerspruch zu sich selbst steht. Das tut er.


> >> Der Status mathematischer Wahrheiten ist ja durchaus auch ein anderer
> >> als der physikalischer Theorien.
> >
> > Inwiefern?
>
> Insofern dass ich 2+2=4 nicht experimentell teste sondern beweise. Es
> ist keine Hypothese, von der sich morgen bei einem neuen, genaueren
> Experiment herausstellen könnte dass sie falsch ist.

(1) Dieser Beweis, wie alle mathematischen Beweise, ist zwar ein logischer,
kann aber auch empirisch getestet werden (indem man einfach nachzählt). (2)
Stimmt, es ist keine Hypothese, weil der Wahrheitsgehalt dieser Aussage
bereits hinreichend bestätigt wurde. (3) Wie steht das in Zusammenhang mit
der Frage, ob Gewissheit möglich ist?


> > Mathematische Aussagen (wie die der formalen Logik) weisen zwar
> > das höchste Ausmaß an Abstraktheit auf, das überhaupt denkbar ist, sie
> > sollen jedoch auch die in der Realität prinzipiell konkret
nachzuweisenden
> > Gegebenheiten widerspiegeln -- nämlich die zahlenmäßigen Relationen
> > zwischen Entitäten. Physikalische Theorien sind einfach nur konkreter,
> > spezifischer.
>
> Sie spielen eine wichtige Rolle in physikalischen Theorien. Trotzdem
> ist obiger Unterschied wichtig.

Warum, ist mir bisher noch nicht klar geworden.


> >> Der Status philosophischer Thesen
> >> (wie hier der These dass Sicherheit über empirische Theorien unmöglich
> >> ist) kann durchaus auch ein anderer sein.
> >
> > Inwiefern?
>
> Zum Beispiel dass sich von ihnen herausstellen kann, dass sie
> sinnvolle (oder auch weniger sinnvolle) Konventionen sind, auf die man
> sich einfach einigen kann.

Konventionen sind in dem Ausmaß sinnvoll, indem sie wahr und ökonomisch
sind. Da Konventionen mittels Sprache formuliert werden, und diese entweder
die Realität korrekt widerspiegelt oder nicht, können diese wie alles
Begriffliche, richtig oder falsch sein. Oder redest du hier lediglich von
Wörtern als audio-visuellen Symbolen für Begriffe?? (Diese beruhen
allerdings auf kulturell bedingten Konventionen.)


> >> Ich vertrete hier keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus
> >> philosophischer Theorien. Klar scheint aber dass es eine andere Frage
> >> ist.
>
> > Als was?
>
> Als die Frage nach dem Wahrheitsstatus empirischer Theorien.

Du müsstest mir wirklich noch einmal den grundsätzlichen Unterschied
zwischen philosophischen und empirischen Theorien in Bezug auf ihr
Verhältnis zur Realität erklären. Ich sehe keinen -- außer vielleicht ihrem
Abstand zur Wahrnehmungsebene. Aber das ist doch nicht das, worum es hier
eigentlich geht, oder?


> > Wenn du keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus philosophischer
> > Theorien vertrittst, sagst du mir damit nur, dass ich dich und alles
> > was du sagst nicht ernst nehmen soll, da du ja nicht einmal selbst
> > behauptest, das was du sagst sei wahr.
>
> Wenn ich sage, eine meiner Aussagen sei eine sinnvolle Definition oder
> Konvention, die an sich weder wahr noch falsch ist, aber auf die man
> sich einigen sollte, bedeutet dies keineswegs, diese Aussage sei nicht
> ernstzunehmen. Wenn die 2 als 1+1 definiert ist (was man tun kann),
> ist die Aussage 1+1=2 trotzdem ernst gemeint.

Wie kann den bitte eine Aussage "ernst gemeint" sein, die keinen Anspruch
auf Wahrheit erhebt?? Wenn du sagst, dir sei nicht einmal selber klar, ob
deine Aussage wahr sei, warum soll ~ich~ sie dann für wahr, d.h. "sinnvoll"
halten?!


> Wenn ich zum Status einzelner Aussagen keine klare Position vertrete,
> ob sie nun eine nichttriviale absolute Wahrheit seien oder lediglich
> Konventionen, hat dies auch damit zu tun, dass diese Unterscheidung
> nicht unbedingt so eindeutig ist wie man denken mag. Hier verweise
> ich auf Quines Kritik an der Unterscheidung analytisch/synthetisch
> in "two dogmas of empiricism".

(1) Ein Mangel an Eindeutigkeit ist ein epistemologisches Problem, das
keineswegs zu einem grundsätzlichen (oder gar ontologischen) hochstilisiert
werden darf. Wenn du Schwierigkeiten damit hast, den Wahrheitsstatus einer
Aussage zu identifizieren, bedeutet das nicht, dass dieser überhaupt nicht
identifiziert werden kann! Und schon gar nicht, dass anderen dieses Recht
abgesprochen werden darf, um damit die eigenen Selbstzweifel zur
allgemeinverbindlichen Norm zu machen. (2) Die Unterscheidung
Analytisch/Synthetisch ist eine, die vom Objektivismus als falsch abgelehnt
wird. Und in ~diese~ Diskussion einzusteigen, habe ich zur Zeit wenig
Interesse.


> >> Ich schrieb "zumindest teilweise" und wollte damit vollständig wahr
> >> keinesfalls ausschliessen. Aber mit vollständiger Wahrheit einer
> >> Theorie ist Ungewissheit, ob sie wahr ist, durchaus kompatibel.
> >
> > Dafür dass du dich mit so hochkomplizierten physikalischen Theorien
> > beschäftigst, redest du aber ganz schon verworren daher. Wenn man sagt
> > etwas sei "wahr," dann ist das eben ~nicht~ gleichbedeutend (oder
> > kompatibel) mit der Aussage, es sei gleichzeitig ungewiss, ob es wahr
sei!
>
> Verworren ist eher deine Antwort, da ich von gleichbedeutend überhaupt
> nichts schrieb. Kompatibel bedeutet dass beide Aussagen gleichzeitig
> gelten können, ohne Widerspruch.

Wenn du auch das in den Klammern liest, wirst du sehen, dass ich auch der
Kompatibilität dieser Aussagen widersprochen habe.


> B ist eine wahre Aussage. Person A glaubt daran das B wahr ist.
> Person A vertritt B in einer Diskussion mit Argumenten. A ist
> trotzdem ungewiss darüber ob B richtig ist, und hört sich deshalb auch
> Argumente gegen B aufmerksam an.
>
> Besteht zwischen diesen Aussagen irgendein Widerspruch? Ich sehe
> keinen.

Willst du mich veräppeln? DU, derjenige -- der dieses Szenario schildert --
kennst ja den (positiven) Wahrheitsgehalt von Aussage B! Dass eine dritte
Person A an ihrem Wahrheitsgehalt zweifelt, ist zwar möglich, aber hier
vollkommen irrelevant. Die Frage war, ob man (als nicht-Schizophrener),
gleichzeitig am Wahrheitsgehalt ein und derselben Aussage Zweifel und
Gewissheit äußern kann. Das kann man nicht. Entweder du bist felsenfest von
etwas überzeugt, oder nicht. Gewissheit und Zweifel schließen sich
gegenseitig aus.


> Ok. Ist die Darstellung des Transzendentalpragmatismus in
>
> http://www.uni-koeln.de/ew-fak/seminar/histphil/abphilo/TRANSPRAG.htm
>
> einigermassen ok, so dass ich mich bei zukünftiger Kritik darauf
> beziehen kann?

Ich kann die Richtigkeit dieser Darstellung nicht in allen Punkten
bestätigen, da es mir hierzu am notwendigen Fachwissen mangelt. Dann sind
da noch mit der Transzendentalpragmatik Positionen verbunden, die ich nicht
teilen kann.

Worauf es mir eigentlich ankommt, ist ihre Bezugnahme auf die
Unhintergehbarkeit der Argumentationssituation. Zentral ist hier für mich
lediglich folgendes: "Wir werden uns also, wenn wir unseren Standpunkt als
richtig darstellen wollen, wohl oder übel, dazu entschließen müssen,
diejenigen Bedingungen als gültig anzuerkennen, welche Argumentation
überhaupt ermöglichen. [...] Auf diese Weise kann selbst dem radikalen
Skeptiker nachgewiesen werden, daß er für seinen Zweifel, ja sogar für eine
Bestreitung irgend einer Behauptung etwa über die Geltung der logischen
Prinzipien, schon eben diese logischen Prinzipien in Anspruch nehmen muß."
Auch akzeptabel war in Bezug "auf das Verhältnis unseres eigenen
Argumentierens zu dessen theoretischen Geltungsbedingungen. Die Norm 1
[...]: "Wenn wir wirklich ernsthaft etwas wissen wollen, wenn wir an der
Lösung eines Problems ernsthaft interessiert sind, dann ist es geboten, daß
wir uns rational argumentierend um die richtige Lösung bemühen." (RL 185)"
Wenig einleuchtend hingegen finde ich: "Man kann keinen Konsens herstellen
mit jemandem, den man nicht als irgendwie gleichberechtigten
Argumentationspartner anerkennt, den man nicht zu Wort kommen läßt oder den
man gar umzubringen versuchte." Viel weiter habe ich nicht gelesen. Mehr
wollte ich mir nicht antun.


> > Nun, wenn du für diese Aussage keine Sicherheit beanspruchst, so
> > werde ich im Gegenzug ~für meine~ Aussagen, Sicherheit beanspruchen.
>
> Dieser Anspruch wäre mit Apels Transzendentalpragmatismus begründet?

Nein, mit dem gesunden Menschenverstand. Du drückst ständig um das
Eingeständnis herum, dass absolute Gewissheit nicht nur erstrebenswert,
sondern auch möglich und unhintergehbar ist.


> > Deine Selbstzweifel sollten es dir erlauben, meine Aussagen zu
> > akzeptieren (sie könnten ja schließlich wahr sein).
>
> Erlaubt ist es mir natürlich, deine Aussagen zu akzeptieren. Sowohl
> mit als auch ohne diesen Sicherheitsanspruch.

Warum sagst du dann nicht einfach "ja"? Für jemanden, der behauptet, für
seine Aussagen keinen Wahrheitsgehalt zu reklamieren, dürfte das doch
keinen großen Unterschied machen.


> Wäre der Sicherheitsanspruch wirklich transzendental letztbegründet,
> würde ich dies vermutlich auch tun - soweit ich diese Begründung auch
> verstehe und als gültig akzeptiere.

Er ist unhintergehbar. Egal was du sagst oder denkst, sagst oder denkst du,
weil du es für wahr hältst.


> Eine wirkliche Letztbegründung irgendeines kategorischen Imperativs
> kann die Philosophie natürlich nicht bieten - dies zeigt bereits
> Stirners Juchhe-Argument. Es kann immer nur ein hypothetischer
> Imperativ rauskommen - wenn ich keinen Spass mehr an der Argumentation
> mit dir habe, breche ich sie halt ab.

[???] Was soll das jetzt alles? (1) Wie kommst du jetzt auf kategorische
Imperative? Welche überhaupt? (2) Ich habe keine Ahnung, was Stirners
"Juchhe-Argument" ist. Ich habe zwar angefangen den Einzigen zu lesen,
konnte ihn aber wegen des Sprachstils und der sich mir nicht erschließende
Ordnung nicht bis zum Ende ertragen. Das ist doch nicht einfach nur ein
Ablenkungsmanöver, oder? (3) Welcher hypothetische Imperativ? (4) Das mit
dem Spaß beruht auf Gegenseitigkeit. Bei mir kommt er immer dann abhanden,
wenn Diskussionspartner beginnen, Argumente durch nicht näher begründete
Emotionsbekundungen zu ersetzen.


> Noch habe ich aber Spass an dieser Argumentation, und bin daher
> durchaus bereit, zu tun, was notwendig ist, um diese Kommunikation
> aufrechtzuerhalten und sinnvoll zu gestalten. Was aus dieser
> Voraussetzung logisch gefolgert werden kann, bin ich gerne bereit zu
> akzeptieren.

Einverstanden. Auch das beruht auf Gegenseitigkeit.


> Ich kann mir auch vorstellen, dass das Programm an sich einiges an
> Letztbegründung bieten könnte - insbesondere die Frage nach der
> Letztbegründung der Logik/Mathematik scheint mir so lösbar.
> Vielleicht sogar eine Letztbegründung der wissenschaftlichen Methode,
> des Wahrheitsbegriffes oder gar des Realismus.
>
> Es scheitert aber garantiert an der Letztbegründung empirischer
> Theorien und ethischer Regeln - die beziehen sich auf Objekte,
> Handlungen, Interessen, die nicht auf Kommunikation beruhen.

Tut mir leid, ich kann dir nicht folgen: Das Programm (welches?) scheitert
garantiert an der Letztbegründung empirischer und ethischer Regeln??? Ich
dachte, mit empirischen Aussagen hättest du keine Probleme? Und sagten wir
nicht, alle Aussagen seinen (direkt oder indirekt) Aussagen über die
Realität, d.h. über das, was der Aussagende als wahr betrachtet? Langsam
beginnt es, obskur zu werden.


> > Über die Ungültigkeit des Skeptizismus habe ich jetzt wohl wirklich
> > genug geschrieben.
>
> Du hast aber kaum den Kern getroffen. Poppers Skeptizismus ist ja ein
> sehr spezifischer. Weder mathematische Wahrheiten noch philosophische
> Theorien sind betroffen. Auch die empirischen Theorien können wahr
> sein. Es wird lediglich unsere Fähigkeit angezweifelt, bei
> empirischen Theorien Sicherheit über den Wahrheitsgehalt zu bekommen.

(1) Poppers Skeptizismus betrifft ~nicht~ mathematische oder philosophische
Theorien? Sagtest du nicht am Anfang, er beträfe überwiegend philosophische
Theorien? (2) Wie kannst du denn sagen, dass empirische Theorien wahr sein
können, wenn du leugnest, dass man Sicherheit über ihren Wahrheitsgehalt
gewinnen könne? Kann man nun ihren Wahrheitsgehalt mit Sicherheit
feststellen, oder nicht?


> Sollte das transzendentalpragmatische Programm z.B. für die
> Letztbegründung von Mathematik und sogar für Poppers Epistemologie
> erfolgreich sein, bestände noch keinerlei offensichtlicher Widerspruch
> zu Popper.

Wie gesagt, kenne ich den Knaben noch nicht gut genug. Um überprüfen zu
können, ob deine Aussage Sinn macht, müsste ich mehr über seine
Wissenschaftstheorie lernen. (Im übrigen muss ein Widerspruch nicht
offensichtlich sein, um zu existieren.)


> > Mag sein, nur hat die Wirtschaftswissenschaft ein akontextuelles Bild
von
> > Nachfrager-Interessen, wenn diese nicht als in einem hierarchisch
> > geordneten Gefüge eingebettet gesehen werden. Das was wir als hier
"Laune"
> > bezeichnen, kann daher im Bezug auf fundamentalere Werte rational oder
> > irrational sein. Das hat nichts damit zu tun, ob die Strategie diese
Laune
> > zu befriedigen, optimal ist oder nicht. Akontextuelle Rationalität (in
der
> > Verfolgung irrationaler Ziele) ist durchaus möglich.
>
> Gut. Stimmst du mir auch zu, dass dieses akontextuell rationale
> Handeln auch typische ethische Elemente enthält, so dass man hier auch
> von einer akontextuellen Ethik sprechen könnte?

Klar kann akontextuelle Rationalität "typische ethische Elemente"
enthalten. Da für mich Ethik und Rationalität beinahe gleichbedeutend sind,
könnte man hier sehr wohl von einer "akontextuellen Ethik" sprechen.


> > Anzustreben ist aber eine kontextuelle, absolute Rationalität im
> > Bezug auf die menschliche Natur, um Eudämonie gewährleisten zu
> > können.
>
> Ich habe meine Zweifel an dieser kontextuellen, absoluten Rationalität
> die aus der menschlichen Natur folgen soll. Die "menschliche Natur"
> ist sowieso auch nicht akontextuell, sondern entstand im Kontext der
> Weiterverbreitungsinteressen egoistische Gene. Ich kann diese Gene
> als Grund dafür erkennen, dass ich leben will, essen will, und lieben
> will. Aber die Interessen dieser Gene sind deshalb noch lange nicht
> meine, weswegen ich z.B. Empfängnisverhütung betreibe.

Die Interessen dieser Gene ~müssen~ deine sein, weil dein Körper aufgrund
der natürlichen Selektion gar nicht anders programmiert sein kann, als dass
er dich für die Verfolgung seiner genetischen Interessen mit Eudämonie
belohnt. Vereinfacht gesprochen: Du BIST der Code! Ein Zellverbund, der mit
anderen Zellverbünden um die Kontrolle über externe Ressourcen konkurriert.
Die situationalen Zielsetzungen und Alltagsmanöver deines "autonomen
Neokortex-Selbst" sind nicht von fundamentaleren "genetischen Interessen"
losgelöst, sondern ihr direkter Auswuchs und ihre umweltbedingte
Differenzierung. Die Strategie der kontrollierten Empfängnis z.B. begrenzt
die Zahl deiner Nachkommen, was ihnen einen höheren Anteil an den von dir
zur Verfügung gestellten Ressourcen, und damit deine Unsterblichkeit als
Code sichert. Hast du dich wirklich näher mit der Soziobiologie
beschäftigt? Die Basics sollten dir eigentlich vertraut sein...


> Ansonsten kann man die Zielfunktion der eigenen Interessen (wie sie
> nun mal aufgrund meiner Natur und der Umwelteinflüsse, denen ich
> ausgesetzt war, geformt worden sind) die dann optimiert werden soll,
> natürlich einfach Eudämonie nennen.

Eudämonie ist die Belohnung für biologisch sinnvolle Verhaltensweisen.
Psychologisch gesehen ist sie zwar Selbstzweck, biologisch aber das
Motivationsinstrument nachfolgender Generationen. Es besteht hier keine
Dichotomie aus biologischen und Umwelteinflüssen. Beide fließen aus
unterschiedlichen Richtungen (und Interessen) durch die Materie deines
Körpergewebes hindurch.


> > Eine "wirklich optimale" Strategie, als[o] ethisches Handeln, ist
> > gleichzusetzen mit absoluter Rationalität (siehe oben).
>
> Zweifel. Ich sehe Rationalität nur als ein Mittel. Und manchmal
> liefert Intuition optimalere Strategien.

Rationalität ist ein Mittel zur ökonomischen Akquisition und Kontrolle von
Ressourcen, ja. Und das Resultat ist natürlich wichtiger als das
eingesetzte Werkzeug.


> Was die "wirklich optimale" Strategie ist, könnten wir nur als
> allwissende Beobachter von aussen beurteilen.

Die Realität besitzt kein "Außen," höchstens Systeme können das. Präziser
wäre es zu sagen, dass die Resultate einer Strategie erst dann abschließend
beurteilt werden können, wenn sie vorliegen. Ich müsste in deinem Satz auch
"wirklich optimale" mit "wirklich ideale" ersetzen, denn dem Optimum können
wir uns durch Experiment und Kalkulation zweifellos nähern. Dazu müssen wir
nicht allwissend sein.


Der Handelnde selbst
> ist in seinen Informationen ja eingeschränkt. Dies kann und muss man
> mit berücksichtigen - Kosten für Informationsbeschaffung und
> rationales Durchdenken einer Frage sind ja auch Kosten.

Das stimmt allerdings. Darum kann es auch sinnvoll sein, ab einem
bestimmten (idealerweise vorher festgelegten Punkt) zur Intuition
umzuswitchen. Wo dieser Punkt zu setzen ist, hängt davon ab, was auf dem
Spiel steht. Und was man auf jeden Fall auch berücksichtigen muss, ist,
dass die Qualität der Intuition vom Trainingszustand der individuellen
Rationalität abhängt. "Emotionen sind abgestandene Gedanken," heißt es im
Objektivismus. Diese können hoch qualitativ oder minderwertig sein. Auf
jeden Fall ist Intuition im Gegensatz zu Rationalität Glückssache, die nur
dort zum Einsatz kommen sollte, wo ihre Unzuverlässigkeit nicht inakzeptabl
hohe Kosten verursachen könnte.


> Ich bin durchaus auch der Meinung, dass Stirner eigentlich nur ein
> paar Selbstverständlichkeiten klarstellt.

Das sehe ich auch so. Seine Lektüre bereitet Kopfschmerzen, und gibt nicht
viel her.


> > wenn man aber keinerlei Vorstellung über deren logische Hierarchie
> > hat, kann man ~sich selbst gegenüber~ aber keine Prioritäten
> > setzen. Was bei Stirner also fehlt, ist eine Präsentation des
> > biologisch sinnvoll integrierten Gefüges von Werten. Das läuft alles
> > auf einen wirren Emotionalismus heraus, der, konsequent angewandt,
> > nur zu einem Desaster führen kann.
>
> Unterscheide bitte zwischen "etwas haben" und "etwas in einem Buch
> darstellen". Stirners Einziger klärt ein grundlegendes
> philosophisches Problem - durch die Feststellung, dass die eigenen
> Interessen höchste Priorität haben. Wenn du dich für andere Fragen
> interessierst, die nicht in Stirners Einzigem behandelt sind - fein.
> Stirner ist nicht verpflichtet, alles zu behandeln.

Wie rührend du deinen Liebling verteidigst. Ich bin halt der Meinung, dass
Stirner eigentlich nur ein paar Selbstverständlichkeiten klarstellt. ;))
Ich bin sicher, hätte er mehr zu bieten gehabt, hätte er es sicher auch
schriftlich festgehalten. Er verweilt mir zu lange beim Fundament.


> > Ja ja, schon klar. Bedenke aber, dass (außer dem höchsten Zweck:
> > Eudämonie) selbst Zwecke niemals Selbstzweck, also in Bezug auf
> > andere Zwecke, Mittel sind.
>
> Das ist mir schon klar. Nur halte ich ab einem gewissen Level nicht
> mehr viel davon, etwas noch weiter zurückzuführen. Es reicht mir zur
> Auswahl im Laden, zu wissen, ob ich lieber Weissbrot oder Schwarzbrot
> esse, die Gründe dafür (meine Geschmacksnerven oder komplexe
> Betrachtungen über mein bei evtl. Übergewicht verringerten sexuellen
> Erfolgschancen) werden nur selten wesentlich.

Auch klar. Die Relevanz solcher Werte (oder besser: Handlungsziele) wie
"Weißbrot gegenüber Schwarzbrot" ist über eine zu langen Kette von
Wertintegrationen mit dem höchsten Wert verbunden, um den Aufwand einer
Rationalitätsprüfung über eine komplette Rückführung zu rechtfertigen. Mir
geht es ja auch um den umgekehrten Weg, um die ~fundamentalen~ Werte und
Prinzipien, aus denen sich solche nachrangigen Werte oder Ziele erst
ableiten lassen. Die Komplexität der Wertstruktur verringert sich, je näher
man am Fundament ist. Und um Komplexität zu verringern, denken wir
überhaupt in (Begriffen und) Prinzipien.


> > Du musst Zwecke (Werte, Ziele, Programme, Funktionen) immer in ihrem
> > Kontext sehen.
>
> Nicht immer. Vor allem ist ein Zurückführen auf das einheitliche
> Endziel Eudämonie für eine rationale Diskussion nicht erforderlich.

Das kommt darauf an, was diskutiert wird. Wenn wir Ethik diskutieren,
kommen wir nicht umhin, Werte & Tugenden nach ihrer Priorität zu ordnen.


> Ich kann deine Zwecke, auch wenn sie nur nachgeordnet sind, im Rahmen
> einer Diskussion als solche akzeptieren - und versuchen, dir
> rational-argumentativ klarzumachen, dass du diese Zwecke nicht
> erreichst, wenn du etwas von mir nicht erwünschtes tust.

Um darauf etwas sagen zu können, müsstest du mir zuerst klarmachen, was es
denn ist, was du nicht wünschst. Ich kann keine Gedanken lesen. Ob ich dann
im nächsten Schritt deine Wünsche berücksichtige -- bzw. in welchem
Umfang -- hängt davon ab, wie dick ist dein Knüppel ist. Oder hast du etwas
positiveres zu bieten, als dich mir einfach in den Weg zu stellen? Kann es
sein, dass ich vielleicht zu einem unbekannten Zeitpunkt doch noch fester
zurückschlagen kann? Wie sieht unser beider Sanktionspotential tatsächlich
aus? Das sind die bisher ungeklärten Fragen, auf die alles hinausläuft. Wie
du bisher gesehen hast, habe ich diesbezüglich keinen Hang zu
sozialromantischen Illusionen.


> > Diese Identifikation fehlt bei Stirner (aber nicht nur bei ihm).
>
> Nun, Stirners "eigene Interessen" Eudämonie zu nennen bringt nicht
> viel, ist eher irreführend.

Wo soll ich das getan haben?? Ich sagte doch, dass das Problem bei ihm ja
grade sei, dass er statt fundamentaler Werte Launen zum Standard seiner
"Ethik" macht.


> > Außer der des Objektivismus, ist mir keine Ethik bekannt, die diesen
Punkt
> > ausreichend stark betont oder gar systematisch umsetzt. Vielmehr habe
ich
> > den Eindruck, dass es sich bei den meisten anderen Systeme um ein
> > ungeordnetes Chaos von mehr oder weniger willkürlichen Regeln handelt,
die
> > nicht zu Prinzipien integriert wurden: Die Zehn Gebote Gottes, Die Neun
> > Sünden des Satanismus, usw. Alles nur akontextueller Bullshit! Was
fehlt,
> > ist ein integrierter Chart von objektiven Werten/Tugenden.
>
> Was erwartest du? Selbst wenn wir uns einigen könnten, dass wir die
> naturwissenschaftlichen Probleme objektiv lösen könnten:
>
> 1.) Menschen sind verschieden, und damit das was zu ihrer Eudämonie
führt.

Du ignorierst hier den Integrationsgrad. Je näher wir in der
Wertediskussion dem biologischen Fundament kommen, um so ähnlicher und
gleichförmiger wird die Psychologie verschiedener Menschen. Die
Individualität ist nur bei den oberflächlichen Werten und Verhaltensweisen
gegeben, nicht jedoch an ihrer Wurzel.


> 2.) Ihre Umgebung ist verschieden, und damit die in ihrer Situation
optimalen
> Strategien, diese herbeizuführen.

Dennoch haben alle Verhaltensweisen einer Spezies (einen) gemeinsame(n)
Nenner. Die situationsabhängigen Zielsetzungen des Bewusstseins, sind
logische Ableitungen grundlegender, biologisch invarianter Zielsetzungen.


> 3.) Ganz zu schweigen von der Abhängigkeit der optimalen Strategie von
> fremden (gegnerischen) Strategien und unserer prinzipiellen
> Unmöglichkeit, diese in allen Details zu kennen.

Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann ist es die Existenz von
böswilligen Gegenabsichten, auf welche Weise sie sich in konkreten Falle
auch immer manifestieren werden.


> Das sind genug prinzipielle Probleme, die dazu führen, dass mehr als
> ein paar allgemeine Richtlinien (a la Goldene Regel) einfach nicht zu
> erwarten sind.

Das sehe ich nicht so. Ein voll integriertes System der Ethik ist auf jeden
Fall möglich und notwendig, und es wird keineswegs so primitiv sein,
lediglich aus der Goldenen Regel zu bestehen. Den Wettbewerbsvorteil hat
der, dessen Ethik logischer und differenzierter ist.


> > Natürlich kannst du das! Wenn du mit "binär" meinst, es gäbe nur zwei
> > Zustände, dann ist das natürlich falsch. Es handelt sich vielmehr um
ein
> > Beurteilungs-Kontinuum mit zwei Polen. Eine Beurteilung kann sich
überall
> > auf diesem Kontinuum befinden, sowohl an seinen Enden, als auch
irgendwo
> > dazwischen. ABER: jede Beurteilung ist ~immer~ entweder überwiegend (!)
auf
> > der einen oder auf der anderen Seite.
>
> Schön wärs ja. Dann bräuchte man ja nie zu zweifeln, was nun besser
> für einen selbst ist.

Was heißt hier "schön wär's ja"? Es ist so, wie ich es gesagt habe. Nur
bedeutet das natürlich nicht, dass es in Grenzfällen nicht zu
Beurteilungsschwierigkeiten kommen könnte.


> > 1) Überwiegend gut für dich (wünschenswert):
> > a) richtig, b) nützlich, c) rational, d) konstruktiv, e) gut
> >
> > 2) Überwiegend schlecht für dich (unerwünscht):
> > a) falsch, b) schädlich, c) irrational, d) destruktiv, e) böse.
>
> Worte der deutschen Sprache in positiv und negativ wertende
> unterteilen kann ich auch.  BTW, wenn meine Feinde falsche
> Informationen haben, muss das für mich nicht überwiegend gut sein.

Habe ich auch nicht behauptet. Die obigen Bewertungen (wie alle Werte
überhaupt) sind personenbezogen, d.h. sie beziehen sich auf dich und dein
Leben, und nicht auf das deiner Feinde. Außerdem: Wie will man wissen, wer
welche Informationen erhält?


> >> Ich weiche dem aus, was schlechter für mich ist.
> >
> > Also allem unter Punkt [2]).
>
> Was wenn etwas als richtig, schädlich, rational, und destruktiv
> bewertet wird?  Das sind doch die Fragen wo es beginnt interessant zu
> werden, und deine Einteilung der Wörter hilft dir dabei nicht weiter.

Ich verstehe die Frage nicht. Meinst du die vorgebliche Möglichkeit einer
Gleichzeitigkeit sich nicht vertragender Bewertungen? Wenn alle Fakten
zusammenhängen, müssen auch alle Werte zusammenhängen. Daher müsste man bei
scheinbaren Konflikten die logische Hierarchie identifizieren, um daraus
Handlungsempfehlungen ableiten zu können.


> > Für den, der über ein größeres Sanktionspotential
> > verfügt, gibt es keinen Grund, nennenswerte Gegenwehr zu befürchten
(die
> > sich nicht eindämmen ließe).
>
> Nun, es geht aber nicht darum, ob sich die Gegenwehr eindämmen lässt,
> sondern ums Optimieren.  Auch wenn ich die Möglichkeit habe, Gegenwehr
> einzudämmen, entstehen dabei Kosten.  Die Kosten für Ethik-konformes
> Verhalten sind niedriger.

[Ich verkneife mir die Zwischenfrage, welche Ethik das ist.]


> Sicherlich gibt es im Prinzip Asymmetrien die so riesig sind, dass die
> Kosten zur Eindämmung einfach irrelevant sind.  Aber das hat wenig mit
> realen Problemen heute zu tun.  Vermutlich kann die USA Bin Laden
> eindämmen, aber die Kosten dafür sind offensichtlich nicht
> unerheblich.

Hier ist der Preis, der für die USA zu gewinnen ist, höher als nur der Kopf
von bin Laden. Strichwort: reinen Tisch machen, weltweite Einführung von
Polizeistaatsprinzipien, Profilierung und Wiederwahl unserer
Kriegshelden-Troika (Bush-Schröder-Blair), international Abhängigkeiten
schaffen, usw. usf. Mir fallen Tausend Möglichkeiten ein, die Situation
optimal auszubeuten. Die USA als Staat verhält sich also rational. Ob das
gut für uns ist, bleibt dahingestellt. Aber danach fragt auch keiner...


> >> Ich sagte, es reicht aus, wenn man mit seiner Reaktion dem anderen
> >> schaden kann, auch wenn man ihm nicht soviel schaden kann wie
> >> umgekehrt. Klar, je unsymmetrischer die Relation desto schwerer setzt
> >> sich tit for tat durch.
> >
> > Genau das sage ich doch die ganze Zeit! Du gehst von der illusionären
> > Annahme eines Machtgleichgewichts aller beteiligten Parteien aus.
>
> Nein. Ich sage, dass auch im Falle des Ungleichgewichts tit for tat
> langfristig erfolgreicher ist.

Für wen? Für den, der seinen Finger nicht am Abzug hält ist, mag das ja
noch angehen. Für den, der Gesetze, Polizisten, Zeitungen, Gefängnisse,
Irrenhäuser, Geheimdienste und Armeen befehligt, kann auf den Protest eines
leichter bewaffneten scheißen. Wer bricht wessen Willen? Hinter wessen "Du
MUSST, weil ICH es will!!" steckt die vernichtendere Erpressung? Das ist
unsere Welt, und es wird sich ein Dreck daran ändern.


> Wie erklärst du dir das kapitalistische Rechtsstaaten stärker/reicher
> sind als kommunistische Diktaturen?  Ich erkläre dies damit, dass sie
> optimaler gegenüber den Einzelnen handeln.  Eben weil/indem sie sich
> durch Rechtsstaatlichkeit an ethische Prinzipien binden.

Das hat nichts mit ethischen Prinzipien (im herkömmlichen Sinne) zu tun,
sondern mit volkswirtschaftlichen. Dass westlichen Staaten über mehr
finanzielle und militärische Ressourcen verfügen, hat zwar etwas mit
"Kapitalismus," nicht aber mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Es gibt für die
Maximierung der Staatseinnahmen einen optimalen Steuersatz, der eben nicht
90% beträgt. Wenn man erst einmal genug Cash in der Kasse hat, kann man
sich es dann leisten, seine Rechtsaufassung in andere Länder und Kulturen
(z.B. über militärische Interventionen) zu exportieren. Wer die (Welt-)
Polizei hat, hat das Recht. Das gilt auch für das besetzte Territorium
innerhalb der nationalen Grenzen. Oder meinst du, dir oder deinen Freunden
wird gestattet werden, nach deinen eigenen Gesetzen zu leben, ~selbst wenn~
diese rechtsstaatlichen Prinzipien genügen sollten? Nichts dergleichen wird
unser Rechtsstaat ohne Widerstand zulassen.


> >> Trotzdem kann ich ihm schaden. Er kann zwar drauf pfeifen, aber warum
> >> sollte er das? Auch in asymmetrischen Situationen haben von
> >> Kooperation beide einen Vorteil.
>
> > Wieder gehst du davon aus, dass der Unterlegene etwas anzubieten hat.
>
> Das hat er aber. Du sprachst ja von einem Ungleichgewicht, nicht von
> einer völligen Einseitigkeit in der der Schwächere gar nichts anbieten
> kann.

Es kommt wirklich darauf an, wie viel. Ein Ungleichgewicht umfasst auch den
Extremfall der "völligen Einseitigkeit," den ich mit keinem Wort
ausgeschlossen habe. Was kann ein armer Schlucker, womöglich noch einer,
der keine marktgängigen Berufsfähigkeiten hat, schon einem mächtigen
Konzern anbieten? Wir sprechen hier von graduellen Unterschieden, nicht von
absoluten. Es bleibt dabei, dass man etwas für die Gegenseite wertvolles
besitzen muss, das man ihr durch Nicht-Kooperation vorenthalten kann, um
nicht zum potentiellen Opfer des Mächtigen zu werden. Solange ich keine
Waffen zur Selbstverteidigung besitze, werde ich den Waffen anderer
ausgeliefert sein, die sich einfach nehmen, was sie wollen. Der Staat ist
auf Kooperation i.d.R. nicht angewiesen, einfach deshalb, weil er über mehr
Feuerkraft verfügt.


> > Es ~kann~ für den Stärkeren durchaus rationaler sein, die Kosten
> > einer Kooperation einzusparen, und sich gleich einfach das zu
> > nehmen, was er will. Verstehst du mich?
>
> Ich verstehe dich.  Im Prinzip kann es das, und es gibt durchaus
> Situationen in denen es auch so ist.  Und in diesen Situationen wäre
> es dann auch ethisch gerechtfertigt, so zu handeln.

FÜR DEN "ethisch gerechtfertigt," der das tun kann, ohne langfristig
negative Folgen befürchten zu müssen, weil z.B. sein Gegner schwächer ist.
Für seine Gegner ist es allerdings "ethisch gerechtfertigt," Wege zu
finden, sich dagegen zu wehren. Werte existieren nicht im Vakuum, sondern
sind "agent-relative" (mir fehlt hierfür noch eine deutschsprachige
Entsprechung).


> >>> 1. Warum soll sich der Stärkere um Forderungen von Schwächeren
> >>> scheren??
>
> >> Weil auch er von Kooperation Vorteile erlangt.
>
> > Und wie groß sind diese Vorteile?
>
> Es reicht wenn sie klein sind.

Nein, so ohne weiteres tut es das nicht. Man braucht dazu eine
Entscheidungsmatrix, um die rationalste Alternative zu wählen. Diese könnte
so aussehen:

* Ertrag einer Bestechung/Kooperation
* Kosten einer Bestechung/Kooperation
* Ertrag einer Erpressung/Nicht-Kooperation
* Kosten einer Erpressung/Nicht-Kooperation


> > Man muss hier wirklich eine Szenario-Analyse betrieben, die das
> > Sanktionspotential beider Seiten berücksichtigt, um die für eine
> > Seite rationalste Strategie bestimmen zu können.
>
> Richtig. Und völlig eindeutige Antworten wird man auch dann kaum
> rauskriegen.

Die Eindeutigkeit steigt mit der Menge und der Qualität der Informationen,
zu denen man Zugang hat. Eine Organisation mit einem "Nachrichtendienst"
(im weitesten Sinne), wird deshalb tendenziell immer die rationalste
Strategie wählen können. Wenn mich jemand studieren kann wie eine Ratte in
einem Labor, hat er die Möglichkeit, mich auf vielfältigste Weise zu
manipulieren, um mein Verhalten unbemerkt zum eigenen Vorteil in bestimmte
Bahnen zu lenken. Das System mit der umfangreicheren und differenzierteren
Repräsentation der objektiven Realität wird sich die anderen einverleiben.
So funktioniert das.


> > Sie ist im Grunde nichts anderes als ein durch allerlei
> > Rationalisierungen verschleiertes Appell an das Mitleid
> > bzw. "Gewissen" des Mächtigen.
>
> Das mögen beide so sehen und sogar so darstellen.  Ich sehe es aber
> als völlig rationale Strategie.

Selbstverständlich können Lügen (altero-zentrische Ethik) eine rationale
Strategie sein. Mich persönlich widert die Verlogenheit der
allgegenwärtigen Moral-Rhetorik aber an -- obwohl ich mich manchmal für die
Kunstfertigkeit einer solchen begeistern kann. Bush in letzter Zeit
zuzuhören, ist deswegen eine reine Freude.


> Oh, ich gebe es keineswegs einseitig zugunsten des Anderen aus der
> Hand.  Meine Reputation (als bisher immer vertragstreuer Mensch)
> verleiht mir Macht, und eine wichtige Form von Macht - andere
> vertrauen mir.

Ja, in einer Händlergesellschaft ist so etwas überlebenswichtig.


> Ich habe nicht nur die Macht erhalten, dieses Vertrauen irgendwann
> einmal einmalig aber kräftig zu missbrauchen.  Mir gegenüber werden
> auch weniger Schutzvorrichtungen, welche die Kooperation erschweren,
> verwendet.  Damit bleibt bei meinen Kooperationen mehr für beide
> übrig.

Interessant. Nur wie glaubwürdig der vorgebliche Verzicht auf
Schutzvorrichtungen ist, hängt von der Natur desjenigen ab, der sie
verwendet, und welchen Umfang eine eventuelle Kooperation aufweist. Bei
profanen Alltagsgeschäften, wie z.B. dem Einzelhandel im
Konsumgüterbereich, ist Vertrauen natürlich leichter als z.B. im
Investitionsgüter-Bereich, in dem es um hohe Transaktionsvolumina mit
entsprechenden unternehmenspolitischen Implikationen geht.


> Gewaltinitiierung bleibt letztendlich vorbehalten.  Dies unterscheidet
> den Anarcho-Kapitalismus vom Staatskapitalismus bei dem
> Gewalt vom Staat monopolisiert ist.

Und unter welchen Bedingungen? Wenn du dir diese Option offen hältst, gehen
natürlich bei einfach gestrickten Menschen sofort alle Alarmleuchten an.
Sie werden verstehen wollen, wie hoch für sie das Risiko ist, davon in
negativer Weise betroffen zu werden. Politisch kann es deshalb günstiger
sein, sich "dumm zu stellen," und sich lieber undifferenziert zu einem
Verhaltenskodex zu bekennen, der die Kapazität weiterer Bevölkerungskreisen
nicht allzu sehr überfordert. (Das habe ich auch mit "gaining credibility"
auf meiner leider vernachlässigten Nietzscheaner-Site gemeint:
http://www.musevini.org/04-Ethics.htm)


> Sicherlich. Es gibt Situationen in denen man Macht mit Konfrontation
> effizienter ausweitet.  Dies sind insbesondere bei
> commitment-Strategien der Fall.

Was sind "Commitment-Strategien"?


> >> Ja sicher betreibe ich auch Interessenpolitik.
>
> > Die Frage ist, Mit welchen Mitteln?
>
> Mit denen, die mir rational erscheinen, um meine Interessen
> durchzusetzen.

Das ist vernünftig so, nur macht den Leuten illusionslose Rationalität
angst. Sie hätten es lieber, wenn man sich zu den 10 Geboten oder einer
anderen Art von tradierter Geisteskrankheit bekennt.


> Nein, dass Kooperation Vorteil bringt, kannst du als Definition von
> Kooperation nehmen.

Es ist nicht die Frage, ob Kooperation Vorteile bringt, sondern, ob sie die
im Vergleich zu anderen Strategien ~größten~ Vorteile bringt.


> Allerdings wird die Sache im Kontext komplizierter.  Es kann nützlich
> sein, einen kleinen Vorteil in einer kleinen Kooperation auszuschlagen
> um (Stichwort Abschreckung) langfristig aus anderen Kooperationen mehr
> rauszuholen als man hier verliert.

Richtig. Nur was macht man, um sicherzustellen, dass man den Spatz in der
Hand nicht für die Taube auf dem Dach hergibt? Schon manch einer ist auf
einem langen Weg verhugert. Ein klares Bild von den Alternativen zu
gewinnen und festzustellen, welchem Angebot man am ehesten trauen soll
(oder ob man überhaupt Alternativen hat) ist manchmal nicht einfach.

alexander

 

 

#6 (19.10.01)

Schmelzer > Objektivismus.de

 

"alexander ch. fürstenberg" <RationalEvidence@gmx.de> writes:
>> Notwendiger Teil von wissenschaftlichen Theorien sind
>> z.B. Definitionen. Auch sie beziehen sich auf die Realität - aber sie
>> sind, von ihrer Natur her, Konventionen. D.h. sie sind nicht wahr
>> oder falsch, sondern mehr oder weniger sinnvoll und manchmal
>> inkorrekt.

> (1) Das sehe ich anders. Definitionen können wahr oder falsch sein. Ob sie
> dabei von Konventionen beeinflusst wurden oder nicht, spielt für ihren
> Wahrheitsgehalt keine Rolle. Worauf es ankommt, ist, dass eine Definition
> einen Begriff korrekt identifiziert.

Nun, ich bin Mathematiker, kenne den Begriff "Definition" eher aus der
Mathematik, und dort gibt es einfach keine Bedeutung eines Begriffs
die identifiziert werden könnte bevor der Begriff definiert ist.

> (2) Und was hat dieses Thema jetzt
> damit zu tun, das sich grundsätzlich alle Theorie auf die Praxis bezieht?

Mein Argument ist: die Fragen, inwieweit Gewissheit über eine Aussage
möglich ist, hängt nicht allein davon ab, ob sich die Aussage in
irgendeiner Weise grundsätzlich auf die Praxis bezieht. Gewissheit
über eine Definition oder eine mathematische Aussage kann möglich sein
auch wenn Gewissheit über den Ausgang von Experimenten nicht möglich
ist.

> Wir weichen zu sehr von der Frage ab, ob Gewissheit möglich ist, rsp. der
> Skeptizismus nicht im Widerspruch zu sich selbst steht. Das tut er.

Es gibt nicht "den Skeptizismus". Wenn, dann interessiert hier
Poppers Skeptizismus, der sich auf die Gewissheit allgemeiner
empirischer Theorien bezieht.

>>>> Der Status mathematischer Wahrheiten ist ja durchaus auch ein anderer
>>>> als der physikalischer Theorien.
>>>
>>> Inwiefern?
>>
>> Insofern dass ich 2+2=4 nicht experimentell teste sondern beweise. Es
>> ist keine Hypothese, von der sich morgen bei einem neuen, genaueren
>> Experiment herausstellen könnte dass sie falsch ist.
>
> (1) Dieser Beweis, wie alle mathematischen Beweise, ist zwar ein logischer,
> kann aber auch empirisch getestet werden (indem man einfach nachzählt). (2)
> Stimmt, es ist keine Hypothese, weil der Wahrheitsgehalt dieser Aussage
> bereits hinreichend bestätigt wurde. (3) Wie steht das in Zusammenhang mit
> der Frage, ob Gewissheit möglich ist?

Dass Gewissheit über die Aussage 2+2=4 möglich ist, bestreite ich
nicht. Ich bestreite jedoch, dass Gewissheit über empirische Theorien
möglich ist.

>>>> Der Status philosophischer Thesen
>>>> (wie hier der These dass Sicherheit über empirische Theorien unmöglich
>>>> ist) kann durchaus auch ein anderer sein.
>>>
>>> Inwiefern?
>>
>> Zum Beispiel dass sich von ihnen herausstellen kann, dass sie
>> sinnvolle (oder auch weniger sinnvolle) Konventionen sind, auf die man
>> sich einfach einigen kann.

> Konventionen sind in dem Ausmaß sinnvoll, indem sie wahr und ökonomisch
> sind.

Inwieweit Konventionen wahr oder falsch sein können ist mir völlig unklar.

> Da Konventionen mittels Sprache formuliert werden, und diese
> entweder die Realität korrekt widerspiegelt oder nicht, können diese
> wie alles Begriffliche, richtig oder falsch sein.

Wie soll ich einer Sprache das Attribut "Wahrheit" zuordnen?

In ein und derselben Sprache kann ich die Aussage "A" und die Aussage
"nicht A" formulieren, wenn eine von ihnen wahr ist, ist die andere
falsch. Was ist dann die Sprache?

> Du müsstest mir wirklich noch einmal den grundsätzlichen Unterschied
> zwischen philosophischen und empirischen Theorien in Bezug auf ihr
> Verhältnis zur Realität erklären.

Empirische Theorien machen Voraussagen über den Ausgang von
Experimenten. Zum Beispiel "morgen früh geht die Sonne auf". Ob
diese Aussage wahr ist oder falsch, stellt sich morgen früh heraus.

Philosophische (metaphysische) Theorien machen hingegen keine solchen
empirisch nachprüfbaren Behauptungen.

Dies ist Poppers Abgrenzungskriterium zwischen empirischer
Wissenschaft und Metaphysik.

>> Wenn ich sage, eine meiner Aussagen sei eine sinnvolle Definition oder
>> Konvention, die an sich weder wahr noch falsch ist, aber auf die man
>> sich einigen sollte, bedeutet dies keineswegs, diese Aussage sei nicht
>> ernstzunehmen. Wenn die 2 als 1+1 definiert ist (was man tun kann),
>> ist die Aussage 1+1=2 trotzdem ernst gemeint.
>
> Wie kann den bitte eine Aussage "ernst gemeint" sein, die keinen Anspruch
> auf Wahrheit erhebt?? Wenn du sagst, dir sei nicht einmal selber klar, ob
> deine Aussage wahr sei, warum soll ~ich~ sie dann für wahr, d.h. "sinnvoll"
> halten?!

Unterscheide bitte zwischen wahr und sinnvoll. 1+1=2 ist sinnvoll.
Auch Definitionen sind sinnvoll, obwohl sie nicht "wahr" oder "falsch"
sind, sondern willkürliche Setzungen. Ich hätte statt der 2 auch ein
anderes Symbol für den Nachfolger der 1 verwenden können, sagen wir #.
Dann wäre 1+1=#.

Falsche Aussagen auch sinnvoll. Zumindest ist das der
Standardgebrauch des Wortes "sinnvoll" bei den Logikern.

>> Wenn ich zum Status einzelner Aussagen keine klare Position vertrete,
>> ob sie nun eine nichttriviale absolute Wahrheit seien oder lediglich
>> Konventionen, hat dies auch damit zu tun, dass diese Unterscheidung
>> nicht unbedingt so eindeutig ist wie man denken mag. Hier verweise
>> ich auf Quines Kritik an der Unterscheidung analytisch/synthetisch
>> in "two dogmas of empiricism".

> (1) Ein Mangel an Eindeutigkeit ist ein epistemologisches Problem, das
> keineswegs zu einem grundsätzlichen (oder gar ontologischen) hochstilisiert
> werden darf. Wenn du Schwierigkeiten damit hast, den Wahrheitsstatus einer
> Aussage zu identifizieren, bedeutet das nicht, dass dieser überhaupt nicht
> identifiziert werden kann!

Ich habe keine Schwierigkeiten mit ihm.

Ich habe eine Theorie, und die ist ein System von Aussagen. Von
diesen können einige als Definitionen der Begriffe betrachtet werden,
andere sind dann nichttriviale Beziehungen. Welche Begriffe und
Aussagen ich als grundlegend (Grundbegriffe, Axiome) und welche ich
als abgeleitet (abgeleitete Begriffe, Theoreme) betrachte ist für den
Wahrheitsgehalt der Gesamttheorie nicht wesentlich.

Dies ist einfach eine Freiheit bei der Darstellung der Theorie in der
in der Mathematik üblichen Form.

> Und schon gar nicht, dass anderen dieses Recht
> abgesprochen werden darf, um damit die eigenen Selbstzweifel zur
> allgemeinverbindlichen Norm zu machen.

Die Freiheit bei der Auswahl von Axiomen in der Mathematik ist dort
allgemein anerkannte, allgemeinverbindliche Norm.

> (2) Die Unterscheidung Analytisch/Synthetisch ist eine, die vom
> Objektivismus als falsch abgelehnt wird. Und in ~diese~ Diskussion
> einzusteigen, habe ich zur Zeit wenig Interesse.

Ich halte sie nicht für falsch, sondern für eine Freiheit bei der
Darstellung einer Theorie.

>> B ist eine wahre Aussage. Person A glaubt daran das B wahr ist.
>> Person A vertritt B in einer Diskussion mit Argumenten. A ist
>> trotzdem ungewiss darüber ob B richtig ist, und hört sich deshalb auch
>> Argumente gegen B aufmerksam an.
>> Besteht zwischen diesen Aussagen irgendein Widerspruch? Ich sehe
>> keinen.

> Willst du mich veräppeln? DU, derjenige -- der dieses Szenario schildert --
> kennst ja den (positiven) Wahrheitsgehalt von Aussage B! Dass eine dritte
> Person A an ihrem Wahrheitsgehalt zweifelt, ist zwar möglich, aber hier
> vollkommen irrelevant. Die Frage war, ob man (als nicht-Schizophrener),
> gleichzeitig am Wahrheitsgehalt ein und derselben Aussage Zweifel und
> Gewissheit äußern kann. Das kann man nicht. Entweder du bist felsenfest von
> etwas überzeugt, oder nicht. Gewissheit und Zweifel schließen sich
> gegenseitig aus.

Nochmal die Frage: Besteht hier irgendein logischer Widerspruch? 

A ist sich weder über B noch über ~B völlig sicher.  Eine typische
Situation. Er hält, angesichts der ihm bekannten Fakten und Argumente,
B für richtig. 

>> Ok. Ist die Darstellung des Transzendentalpragmatismus in
>> http://www.uni-koeln.de/ew-fak/seminar/histphil/abphilo/TRANSPRAG.htm
>> einigermassen ok, so dass ich mich bei zukünftiger Kritik darauf
>> beziehen kann?

> Ich kann die Richtigkeit dieser Darstellung nicht in allen Punkten
> bestätigen, da es mir hierzu am notwendigen Fachwissen mangelt. Dann sind
> da noch mit der Transzendentalpragmatik Positionen verbunden, die ich nicht
> teilen kann. []
> Wenig einleuchtend hingegen finde ich: "Man kann keinen Konsens herstellen
> mit jemandem, den man nicht als irgendwie gleichberechtigten
> Argumentationspartner anerkennt, den man nicht zu Wort kommen läßt oder den
> man gar umzubringen versuchte." Viel weiter habe ich nicht gelesen. Mehr
> wollte ich mir nicht antun.

Hervorragend, das fand ich auch nicht einleuchtend, und ich brauche
mir den Rest auch nicht anzutun ;-).  Es ist schon amüsant, zu hören,
Friedensverhandlungen seien keine rationalen Argumentationsituationen.

> Worauf es mir eigentlich ankommt, ist ihre Bezugnahme auf die
> Unhintergehbarkeit der Argumentationssituation. Zentral ist hier für mich
> lediglich folgendes: "Wir werden uns also, wenn wir unseren Standpunkt als
> richtig darstellen wollen, wohl oder übel, dazu entschließen müssen,
> diejenigen Bedingungen als gültig anzuerkennen, welche Argumentation
> überhaupt ermöglichen. [...] Auf diese Weise kann selbst dem radikalen
> Skeptiker nachgewiesen werden, daß er für seinen Zweifel, ja sogar für eine
> Bestreitung irgend einer Behauptung etwa über die Geltung der logischen
> Prinzipien, schon eben diese logischen Prinzipien in Anspruch nehmen muß."
> Auch akzeptabel war in Bezug "auf das Verhältnis unseres eigenen
> Argumentierens zu dessen theoretischen Geltungsbedingungen. Die Norm 1
> [...]: "Wenn wir wirklich ernsthaft etwas wissen wollen, wenn wir an der
> Lösung eines Problems ernsthaft interessiert sind, dann ist es geboten, daß
> wir uns rational argumentierend um die richtige Lösung bemühen." (RL 185)"

Ja, die Idee finde ich auch ganz ok.  Nur, wie du damit den von mir
vertretenen gemässigten Skeptizismus aushebeln willst, ist mir unklar.
Siehe A im obigen Beispiel.  Er ist sich unsicher, ob B nun richtig
ist.  Er sucht im Gespräche Argumente für oder gegen B, um eine
bessere Grundlage für seine Entscheidung zu bekommen.  Entscheiden
muss er sich (soll er nun die Wohnung kaufen oder nicht?).  Gewissheit
ist da für ihn gar kein Diskussionsthema.  Sein Ziel ist, die
Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidung richtig ist, etwas zu
erhöhen.

Eine völlig übliche Argumentationssituation.  Wenn du darauf bestehst,
in Argumentationen nur Aussagen zu machen, von denen man sich völlig
sicher ist, dann bist du der, der die Bedingungen, die Argumentation
in der Praxis überhaupt erst ermöglichen, nicht anerkennt.

>>> Nun, wenn du für diese Aussage keine Sicherheit beanspruchst, so
>>> werde ich im Gegenzug ~für meine~ Aussagen, Sicherheit
>>> beanspruchen.

>> Dieser Anspruch wäre mit Apels Transzendentalpragmatismus
>> begründet?

> Nein, mit dem gesunden Menschenverstand. Du drückst ständig um das
> Eingeständnis herum, dass absolute Gewissheit nicht nur
> erstrebenswert, sondern auch möglich und unhintergehbar ist.

Absolute Gewissheit in der Mathematik ist für mich kein Thema.  (Da
gibt es auch noch die Möglichkeit des Rechenfehlers, aber die ist
philosophisch wenig interessant.)

>>> Deine Selbstzweifel sollten es dir erlauben, meine Aussagen zu
>>> akzeptieren (sie könnten ja schließlich wahr sein).

>> Erlaubt ist es mir natürlich, deine Aussagen zu akzeptieren. Sowohl
>> mit als auch ohne diesen Sicherheitsanspruch.

> Warum sagst du dann nicht einfach "ja"? Für jemanden, der behauptet,
> für seine Aussagen keinen Wahrheitsgehalt zu reklamieren, dürfte das
> doch keinen großen Unterschied machen.

Ich stehe halbverhungert vor einer tiefen Gletscherspalte.  Die Frage
ist, ob ich rüberspringen kann.  Ansonsten verliere ich einen Tag,
wenn ich sie umgehen muss, was mir mit Wahrscheinlichkeit 1:200 das
Leben kosten dürfte.  Eine Vermutung, dass ich es schaffe, mit
geschätzter Sicherheit von 10000:1, bewegt mich dazu rüberzuspringen.

Ich bin nicht völlig sicher, dass ich es schaffe.  Aber ich springe,
und der Unterschied, den es macht, ob die Aussage richtig ist, ist
mein Leben.  Ein sehr grosser Unterschied.

>> Wäre der Sicherheitsanspruch wirklich transzendental letztbegründet,
>> würde ich dies vermutlich auch tun - soweit ich diese Begründung auch
>> verstehe und als gültig akzeptiere.

> Er ist unhintergehbar. Egal was du sagst oder denkst, sagst oder denkst du,
> weil du es für wahr hältst.

Ich habe ja damit auch gar kein Problem.  Natürlich halte ich es (in
gewissem Sinne) für wahr, dass ich es schaffe, rüberzuspringen, wenn
ich springe.  Aber nur insoweit dies nicht im Widerspruch dazu steht,
dass ich meine Zweifel habe und mir die Knie zittern, also ohne
Gewissheitsanspruch.

>> Stirners Juchhe-Argument. Es kann immer nur ein hypothetischer
>> Imperativ rauskommen - wenn ich keinen Spass mehr an der Argumentation
>> mit dir habe, breche ich sie halt ab.

> [???] Was soll das jetzt alles? (1) Wie kommst du jetzt auf kategorische
> Imperative? Welche überhaupt?

Ich hatte das Gefühl, die Transzendentalpragmatiker würden den Regeln,
die sie erhalten, den Status kategorischer (unbedingter) Imperative
zuschreiben wollen.  "Unhintergehbar" deutet in diese Richtung.

> (2) Ich habe keine Ahnung, was Stirners "Juchhe-Argument" ist. Ich
> habe zwar angefangen den Einzigen zu lesen, konnte ihn aber wegen
> des Sprachstils und der sich mir nicht erschließende Ordnung nicht
> bis zum Ende ertragen. Das ist doch nicht einfach nur ein
> Ablenkungsmanöver, oder?

Ich hatte versucht es im nachfolgenden Satz in einem dir
verständlicheren Sprachstil zusammenzufassen.  Ich finde seine
Formulierung auch nicht besonders glücklich:

-------------- begin Stirner
Ein Ruck tut Mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der
Glieder schüttelt die Qual der Gedanken ab, ein Aufspringen schleudert
den Alp der religiösen Welt von der Brust, ein aufjauchzendes Juchhe
wirft jahrelange Lasten ab. Aber die ungeheure Bedeutung des
gedankenlosen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und
Glaubens nicht erkannt werden.

(176) ,,Welche Plumpheit und Frivolität, durch ein Abbrechen die
schwierigsten Probleme lösen, die umfassendsten Aufgaben erledigen zu
wollen!"

Hast Du aber Aufgaben, wenn Du sie Dir nicht stellst? So lange Du sie
stellst, wirst Du nicht von ihnen lassen, und [165] Ich habe ja nichts
dagegen, daß Du denkst und denkend tausend Gedanken erschaffest. Aber
Du, der Du die Aufgaben gestellt hast, sollst Du sie nicht wieder
umwerfen können? Mußt Du an diese Aufgaben gebunden sein, und müssen
sie zu absoluten Aufgaben werden? 
-------------- end Stirner

(Juchhe-Argument heisst die Stelle bei mir privat, weil ich sie immer
durch Volltextsuche nach "Juchhe" wiederfinde.)

> (3) Welcher hypothetische Imperativ?

Die Regeln, die die Transzendentalpragmatiker herleiten, können immer
nur die Form haben "Wenn du mit anderen Menschen reden willst, dann ...",
sie sind somit hypothetische (an Ziele gebundene) Imperative.

> (4) Das mit dem Spaß beruht auf Gegenseitigkeit. Bei mir kommt er
> immer dann abhanden, wenn Diskussionspartner beginnen, Argumente
> durch nicht näher begründete Emotionsbekundungen zu ersetzen.

Mache ich mich dessen bereits schuldig?  Ich hoffe nicht.

>> Noch habe ich aber Spass an dieser Argumentation,
>
> Einverstanden. Auch das beruht auf Gegenseitigkeit.

Na dann ist ja gut ;-).

>> Ich kann mir auch vorstellen, dass das Programm an sich einiges an
>> Letztbegründung bieten könnte - insbesondere die Frage nach der
>> Letztbegründung der Logik/Mathematik scheint mir so lösbar.
>> Vielleicht sogar eine Letztbegründung der wissenschaftlichen Methode,
>> des Wahrheitsbegriffes oder gar des Realismus.
>>
>> Es scheitert aber garantiert an der Letztbegründung empirischer
>> Theorien und ethischer Regeln - die beziehen sich auf Objekte,
>> Handlungen, Interessen, die nicht auf Kommunikation beruhen.
>
> Tut mir leid, ich kann dir nicht folgen: Das Programm (welches?) scheitert
> garantiert an der Letztbegründung empirischer und ethischer Regeln???

Der Transzendentalpragmatismus. Er ist ja an die Hypothese gebunden,
dass ich mit jemandem kommunizieren will.  Handeln (und damit mehr
oder weniger ethisch handeln) und Vermutungen über die Realität
(empirische Regeln) aufstellen muss ich aber auch als einsamer
Schweiger.

> Ich
> dachte, mit empirischen Aussagen hättest du keine Probleme?

Nein, Probleme habe ich nur mit der Behauptung, es gäbe für empirische
Hypothesen Letztbegründungen. 

Eine Letzbegründung (durch die Notwendigkeit, auch unter Bedingungen
der Unsicherheit zu handeln, um zu überleben) könnte man höchstens in
der Richtung erwarten, dass wir empirische Hypothesen aufstellen und
dann handeln als ob sie wahr wären, auch ohne irgendeine Sicherheit zu
haben dass sie wahr sind.  Aber selbst dafür hielte ich
"Letztbegründung" für eine Anmaßung.

> (1) Poppers Skeptizismus betrifft ~nicht~ mathematische oder philosophische
> Theorien? Sagtest du nicht am Anfang, er beträfe überwiegend philosophische
> Theorien?

Dann hätte ich mir einen erheblichen Schnitzer geleistet.  Er selbst
_ist_ eine philosophische Theorie, aber er _betrifft_ empirische Theorien.

> (2) Wie kannst du denn sagen, dass empirische Theorien wahr sein
> können, wenn du leugnest, dass man Sicherheit über ihren Wahrheitsgehalt
> gewinnen könne? Kann man nun ihren Wahrheitsgehalt mit Sicherheit
> feststellen, oder nicht?

Man kann ihn nicht mit Sicherheit feststellen.  Trotzdem kann man sie
(mit Vorbehalt) für wahr halten.

>> Sollte das transzendentalpragmatische Programm z.B. für die
>> Letztbegründung von Mathematik und sogar für Poppers Epistemologie
>> erfolgreich sein, bestände noch keinerlei offensichtlicher Widerspruch
>> zu Popper.

> Wie gesagt, kenne ich den Knaben noch nicht gut genug.

Auf jeden Fall empfehlenswerte Lektüre.  Kuhn und Feyerabend sind auch
interessant, wobei du Feyerabend sicherlich sofort verwerfen wirst,
und Kuhns Schlussfolgerungen wohl auch.  Aber Kuhns Beobachtungen
solltest du ernst nehmen - sie treffen zu.

> (Im übrigen muss ein Widerspruch nicht offensichtlich sein, um zu
> existieren.)

Richtig.  Und das ist halt der Restzweifel, der bei mir auch an
Poppers Philosophie bestehen bleibt. 

> Da für mich Ethik und Rationalität beinahe gleichbedeutend sind,
> könnte man hier sehr wohl von einer "akontextuellen Ethik" sprechen.

Fein.  Dann besteht auf der ethischen Ebene also prinzipielle
Übereinstimmung, die lediglich getrübt wird durch die
Nichtübereinstimmung was die Naturwissenschaft betrifft.

>> Ich habe meine Zweifel an dieser kontextuellen, absoluten Rationalität
>> die aus der menschlichen Natur folgen soll. Die "menschliche Natur"
>> ist sowieso auch nicht akontextuell, sondern entstand im Kontext der
>> Weiterverbreitungsinteressen egoistische Gene. Ich kann diese Gene
>> als Grund dafür erkennen, dass ich leben will, essen will, und lieben
>> will. Aber die Interessen dieser Gene sind deshalb noch lange nicht
>> meine, weswegen ich z.B. Empfängnisverhütung betreibe.
>
> Die Interessen dieser Gene ~müssen~ deine sein, weil dein Körper aufgrund
> der natürlichen Selektion gar nicht anders programmiert sein kann, als dass
> er dich für die Verfolgung seiner genetischen Interessen mit Eudämonie
> belohnt. Vereinfacht gesprochen: Du BIST der Code! Ein Zellverbund, der mit
> anderen Zellverbünden um die Kontrolle über externe Ressourcen konkurriert.

Warte mal.  Ich bin Code, der so programmiert wurde, dass er möglichst
die Ziele des Programmiers (der Gene) erfüllt.  Die Eudämonie dient
dabei als Steuerungsmittel.

Nur kannte der Programmierer nicht die Umgebung, ich der ich lebe,
sondern hat seinen Code eher für die Horde im Urwald geschrieben,
zweitens ist der Code fehlerhaft, drittens kann ich Fähigkeiten, die
mir einprogrammiert wurden, auch missbrauchen - also mir Eudämonie auf
eine Art und Weise verschaffen, die den Interessen des Programmierers
widerspricht.  Insbesondere wusste der Programmierer nichts von
Kondomen.

> Die Strategie der kontrollierten Empfängnis z.B. begrenzt die Zahl
> deiner Nachkommen, was ihnen einen höheren Anteil an den von dir zur
> Verfügung gestellten Ressourcen, und damit deine Unsterblichkeit als
> Code sichert. Hast du dich wirklich näher mit der Soziobiologie
> beschäftigt? Die Basics sollten dir eigentlich vertraut sein...

Klar. Aber wenn ich (als Mann) einen Seitensprung mache, habe ich
dabei nicht vor, der Strategie der kontrollierten Empfängnis zu
folgen.  Und wenn ich dabei ein Kondom benutze, mache ich die
Strategie, die damit eigentlich geplant war, zunichte, hole mir aber
die dafür vorgesehene Eudämonie ab.

> Eudämonie ist die Belohnung für biologisch sinnvolle Verhaltensweisen.

Mit "biologisch sinnvoll" habe ich erhebliche Bauchschmerzen. Für
meine konkreten Gene sinnvoll - vielleicht.  Für die Gene der
Konkurrenz eher schädlich.

>> Was die "wirklich optimale" Strategie ist, könnten wir nur als
>> allwissende Beobachter von aussen beurteilen.

> Die Realität besitzt kein "Außen," höchstens Systeme können
> das. Präziser wäre es zu sagen, dass die Resultate einer Strategie
> erst dann abschließend beurteilt werden können, wenn sie vorliegen.

Auch dann nicht.  Es ist ja nicht klar, was bei einer anderen
Entscheidung passiert wäre.

Wir könnten uns darauf einigen, dass es prinzipiell unmöglich ist,
dies abschliessend zu beurteilen ;-). 

> Ich müsste in deinem Satz auch "wirklich optimale" mit "wirklich
> ideale" ersetzen, denn dem Optimum können wir uns durch Experiment
> und Kalkulation zweifellos nähern. Dazu müssen wir nicht allwissend
> sein.

Wir können es bei "optimale" belassen.  Ich stimme ja zu, dass wir uns
dem Optimum nähern können ohne allwissend zu sein.

>> Der Handelnde selbst ist in seinen Informationen ja
>> eingeschränkt. Dies kann und muss man mit berücksichtigen - Kosten
>> für Informationsbeschaffung und rationales Durchdenken einer Frage
>> sind ja auch Kosten.

> Das stimmt allerdings. Darum kann es auch sinnvoll sein, ab einem
> bestimmten (idealerweise vorher festgelegten Punkt) zur Intuition
> umzuswitchen. Wo dieser Punkt zu setzen ist, hängt davon ab, was auf
> dem Spiel steht. Und was man auf jeden Fall auch berücksichtigen
> muss, ist, dass die Qualität der Intuition vom Trainingszustand der
> individuellen Rationalität abhängt. "Emotionen sind abgestandene
> Gedanken," heißt es im Objektivismus.

Ist was dran, ich halte sie aber eher für Strategien der Gene.

> Auf jeden Fall ist Intuition im Gegensatz zu Rationalität
> Glückssache, die nur dort zum Einsatz kommen sollte, wo ihre
> Unzuverlässigkeit nicht inakzeptabl hohe Kosten verursachen könnte.

Die Frage ist ob die rationale Alternative auf der Basis der
vorhandenen Informationen überhaupt was bringen kann.

>> Ich bin durchaus auch der Meinung, dass Stirner eigentlich nur ein
>> paar Selbstverständlichkeiten klarstellt.

> Das sehe ich auch so. Seine Lektüre bereitet Kopfschmerzen, und gibt
> nicht viel her.

Ich hatte ihn wohl gerade zum richtigen Zeitpunkt gelesen - als mir
diese Fragen wichtig waren aber die Stirnersche Klarstellung nicht
selbstverständlich.

> Wie rührend du deinen Liebling verteidigst. Ich bin halt der
> Meinung, dass Stirner eigentlich nur ein paar
> Selbstverständlichkeiten klarstellt. ;)) Ich bin sicher, hätte er
> mehr zu bieten gehabt, hätte er es sicher auch schriftlich
> festgehalten. Er verweilt mir zu lange beim Fundament.

Ich hatte ja mit meinem Stirner-Artikel auf einen Artikel von Bernd
A. Laska (ef Nr. 11 (2000)) geantwortet, indem er schreibt:
------------
Meine Anfrage beim Ayn Rand Institute über ein evtl. doch irgendwo
überliefertes Urteil Rands über Stirner erbrachte eine leicht
indignierte Antwort von Harry Binswanger, einem ehemals engen
Mitarbeiter Rands und jetzigen führenden Vertreter der Rand'schen
Lehre des Objektivismus: Mit Stirner, der letztlich sogar den Mord
gerechtfertigt habe, habe Rand nichts zu tun haben wollen.
------------

Da wundert es mich, von einem Verteidiger des Objektivismus zu hören,
er habe eigentlich nur ein paar Selbstverständlichkeiten klarstellt.
(Und dies klarzumachen war auch eines der Ziele meines Artikels.)

> Mir geht es ja auch um den umgekehrten Weg, um die ~fundamentalen~
> Werte und Prinzipien, aus denen sich solche nachrangigen Werte oder
> Ziele erst ableiten lassen. Die Komplexität der Wertstruktur
> verringert sich, je näher man am Fundament ist. Und um Komplexität
> zu verringern, denken wir überhaupt in (Begriffen und) Prinzipien.

Ich denke "fundamental" bleiben all die verschiedensten Ziele übrig,
die unsere Gene uns einprogrammiert haben, in der Hoffnung, wir
würden, diesen Zielen folgend, ihrem Vervielfältigungsinteresse
folgen.

Das eine Fundament, auf das zu meine Ziele zurückführen kannst, ist
also das Ziel meiner Gene zur Vervielfältigung.  Punkt. 

Aber meine Ziele sind die, die mir meine Gene einprogrammiert haben,
und nicht die Vervielfältigung der Gene.  Das ist ein wichtiger
prinzipieller Unterschied, weil nicht davon ausgegangen werden kann,
dass die Gene mich optimal programmiert haben.  Damit bricht für mich
die Zurückführung bei dem diffusen Satz der Interessen ab, die mir
meine Gene einprogrammiert haben. 

>> Nicht immer. Vor allem ist ein Zurückführen auf das einheitliche
>> Endziel Eudämonie für eine rationale Diskussion nicht erforderlich.

> Das kommt darauf an, was diskutiert wird. Wenn wir Ethik diskutieren,
> kommen wir nicht umhin, Werte & Tugenden nach ihrer Priorität zu ordnen.

Nun, die "fundamentalsten" Ziele, die wir gerade am einen Ende der
Skala festgestellt haben, und die nur noch mit Biologie erklärt werden
können, haben keinerlei ethische Wertigkeit.  Daher ziehe ich es vor,
sie einfach "Interessen" oder "Ziele" zu nennen, aber nicht "Werte"
oder "Tugenden".

Hier nochmal ein wichtiger Unterschied: Soziobiologie _erklärt_ mir,
warum ich liebe und hasse.  Sie _begründet_ mir jedoch nichts im
ethischen Sinne.  Denn ich habe nicht das Ziel, meine Gene zu
verbreiten, s.o..  Ich verliebe mich und habe dann das Ziel, mein
Liebesobjekt glücklich zu machen.  Und darauf, dass dies für die Gene
nur Mittel zum Zweck, Sex zu machen und sich zu kopieren, ist, pfeife
ich.

In dieser Situation ist mein Bestreben, mein Liebesobjekt glücklich zu
machen, ethisch genauso wertfrei wie mein Hunger.  Es ist einfach mein
Interesse.

Die ethischen Werte und Tugenden entstehen eher am anderen Ende der
Skala - als Ethik/Rationalität unter vorgegebenen Zielen.  Und dort,
im Rahmen fixierter Ziele, können wir in aller Ruhe auch die Werte &
Tugenden nach ihrer Priorität ordnen - je nachdem welche Ordnung
die bessere Strategie liefert.

>> Ich kann deine Zwecke, auch wenn sie nur nachgeordnet sind, im Rahmen
>> einer Diskussion als solche akzeptieren - und versuchen, dir
>> rational-argumentativ klarzumachen, dass du diese Zwecke nicht
>> erreichst, wenn du etwas von mir nicht erwünschtes tust.

> Um darauf etwas sagen zu können, müsstest du mir zuerst klarmachen, was es
> denn ist, was du nicht wünschst. Ich kann keine Gedanken lesen.

Nein, meine Wünsche kann ich auch geheimhalten, und so tun als wäre
dies alles nur ein ganz altruistischer guter Rat.  Dir können meine
Wünsche auch egal sein, du hörst meine Argumentation, dass du deine
Zwecke nicht erreichst, wenn du XYZ tust, und, wenn dir die Argumente
einleuchten, und du diese Zwecke wirklich hast (was ich nur vermuten
kann), wirst du XYZ nicht tun.  Und ich bin zufrieden.

> Ob ich dann im nächsten Schritt deine Wünsche berücksichtige --
> bzw. in welchem Umfang -- hängt davon ab, wie dick ist dein Knüppel
> ist.

Nein. Davon, wie einleuchtend meine Argumente sind.  Gut,
evtl. verwende ich das Argument "wenn du XYZ machst, hole ich meinen
Knüppel raus".  Kann sein, muss aber nicht.

> Oder hast du etwas positiveres zu bieten, als dich mir einfach in
> den Weg zu stellen?

Kann sein, hängt von der Situation ab.

> Kann es sein, dass ich vielleicht zu einem unbekannten Zeitpunkt
> doch noch fester zurückschlagen kann? Wie sieht unser beider
> Sanktionspotential tatsächlich aus? Das sind die bisher ungeklärten
> Fragen, auf die alles hinausläuft. Wie du bisher gesehen hast, habe
> ich diesbezüglich keinen Hang zu sozialromantischen Illusionen.

Ich eigentlich auch nicht.

>>> Diese Identifikation fehlt bei Stirner (aber nicht nur bei ihm).

>> Nun, Stirners "eigene Interessen" Eudämonie zu nennen bringt nicht
>> viel, ist eher irreführend.

> Wo soll ich das getan haben?? Ich sagte doch, dass das Problem bei
> ihm ja grade sei, dass er statt fundamentaler Werte Launen zum
> Standard seiner "Ethik" macht.

Du hast es nicht getan - aber dies wäre eine Möglichkeit, mir
Eudämonie als fundamentales Ziel akzeptabel zu machen.

Und ansonsten hat Stirner keine Ethik vorgeschlagen, sondern den
Status von Ethik klargestellt.  Ethik steht in der Priorität unter den
Launen.

Wenn ich meinen Launen untereinander Prioritäten zuschreibe, ist dies
prinzipiell nichts anderes als eine Laune. 

>> Was erwartest du? Selbst wenn wir uns einigen könnten, dass wir die
>> naturwissenschaftlichen Probleme objektiv lösen könnten:
>> 1.) Menschen sind verschieden, und damit das was zu ihrer Eudämonie
>> führt.

> Du ignorierst hier den Integrationsgrad. Je näher wir in der
> Wertediskussion dem biologischen Fundament kommen, um so ähnlicher
> und gleichförmiger wird die Psychologie verschiedener Menschen. Die
> Individualität ist nur bei den oberflächlichen Werten und
> Verhaltensweisen gegeben, nicht jedoch an ihrer Wurzel.

Sie sind auch in ihrer Wurzel verschieden genug.  Schon die
Unterschiede zwischen Mann und Frau sind erheblich.

>> 2.) Ihre Umgebung ist verschieden, und damit die in ihrer Situation
>> optimalen Strategien, diese herbeizuführen.

> Dennoch haben alle Verhaltensweisen einer Spezies (einen) gemeinsame(n)
> Nenner. Die situationsabhängigen Zielsetzungen des Bewusstseins, sind
> logische Ableitungen grundlegender, biologisch invarianter Zielsetzungen.

Angesichts der Komplexität der Strategien innerhalb einer Art,
man beachte insbesondere auch Falken/Tauben-Gleichgewichte etc.,
sehe ich keinen Grund dafür.

>> 3.) Ganz zu schweigen von der Abhängigkeit der optimalen Strategie
>> von fremden (gegnerischen) Strategien und unserer prinzipiellen
>> Unmöglichkeit, diese in allen Details zu kennen.

> Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann ist es die Existenz von
> böswilligen Gegenabsichten, auf welche Weise sie sich in konkreten
> Falle auch immer manifestieren werden.

Tja, die Existenz schon. Aber welche Strategie genau wählt der andere
nun?

>> Das sind genug prinzipielle Probleme, die dazu führen, dass mehr
>> als ein paar allgemeine Richtlinien (a la Goldene Regel) einfach
>> nicht zu erwarten sind.

> Das sehe ich nicht so. Ein voll integriertes System der Ethik ist
> auf jeden Fall möglich und notwendig, und es wird keineswegs so
> primitiv sein, lediglich aus der Goldenen Regel zu bestehen. Den
> Wettbewerbsvorteil hat der, dessen Ethik logischer und
> differenzierter ist.

Dass es mehr gibt als nur die Goldene Regel ist mir auch klar.  Nur
haben wir ja in der Diskussion schon festgestellt, dass selbst die
Anwendbarkeit der Goldenen Regel von Annahmen über die Umwelt
(insbesondere über unser Kräfteverhältnis) abhängt, und du warst der,
der ihren Anwendungsbereich für kleiner hielt als ich.

Insofern sehe ich hier einen gewissen Widerspruch.

>>> 1) Überwiegend gut für dich (wünschenswert):
>>> a) richtig, b) nützlich, c) rational, d) konstruktiv, e) gut
>>>
>>> 2) Überwiegend schlecht für dich (unerwünscht):
>>> a) falsch, b) schädlich, c) irrational, d) destruktiv, e) böse.
>>
>> Worte der deutschen Sprache in positiv und negativ wertende
>> unterteilen kann ich auch.

>>>> Ich weiche dem aus, was schlechter für mich ist.

>>> Also allem unter Punkt [2]).

>> Was wenn etwas als richtig, schädlich, rational, und destruktiv
>> bewertet wird? Das sind doch die Fragen wo es beginnt interessant zu
>> werden, und deine Einteilung der Wörter hilft dir dabei nicht weiter.

> Ich verstehe die Frage nicht. Meinst du die vorgebliche Möglichkeit einer
> Gleichzeitigkeit sich nicht vertragender Bewertungen?

Na sicher.  Wenn dies nicht möglich wäre, also alles was rational wäre
immer konstruktiv, wäre die Verwendung von zwei Worten für ein und
dasselbe ja Verschwendung. 

> Wenn alle Fakten zusammenhängen, müssen auch alle Werte
> zusammenhängen. Daher müsste man bei scheinbaren Konflikten die
> logische Hierarchie identifizieren, um daraus Handlungsempfehlungen
> ableiten zu können.

Nun, vom Prinzip her muss ich in der konkreten Situation meine
Interessen und die optimale Strategie rausfinden.

Die im Prinzip anwendbaren ethischen Regeln (z.B. die Goldene Regel)
sind nur Faustregeln, müssen dahingehend betrachtet werden, ob in der
konkreten Situation wirklich optimalere Strategien bringen.  Erst
recht gilt dies für Prioritätsregeln zwischen verschiedenen ethischen
Regeln.

Logische Hierarchien dürften hier nur eine geringe Rolle spielen.

>> Sicherlich gibt es im Prinzip Asymmetrien die so riesig sind, dass die
>> Kosten zur Eindämmung einfach irrelevant sind. Aber das hat wenig mit
>> realen Problemen heute zu tun. Vermutlich kann die USA Bin Laden
>> eindämmen, aber die Kosten dafür sind offensichtlich nicht
>> unerheblich.
>
> Hier ist der Preis, der für die USA zu gewinnen ist, höher als nur der Kopf
> von bin Laden. Strichwort: reinen Tisch machen, weltweite Einführung von
> Polizeistaatsprinzipien, Profilierung und Wiederwahl unserer
> Kriegshelden-Troika (Bush-Schröder-Blair), international Abhängigkeiten
> schaffen, usw. usf. Mir fallen Tausend Möglichkeiten ein, die Situation
> optimal auszubeuten. Die USA als Staat verhält sich also rational. Ob das
> gut für uns ist, bleibt dahingestellt. Aber danach fragt auch keiner...

Richtig, nur war dies nicht die Frage.  Es ging um das Potential der
Gegenwehr heute.  Bin Laden ist zwar reich, aber die Kosten für den
Anschlag liegen im Bereich von ein paar Millionen, und Millionäre gibt
es genug auf der Welt.  Auf der anderen Seite steht die Supermacht
überhaupt.  Das Sanktionspotential war trotz dieses extremen
Missverhältnisses offensichtlich da.  Darum ging es mir.

>>> Genau das sage ich doch die ganze Zeit! Du gehst von der illusionären
>>> Annahme eines Machtgleichgewichts aller beteiligten Parteien aus.

>> Nein. Ich sage, dass auch im Falle des Ungleichgewichts tit for tat
>> langfristig erfolgreicher ist.

> Für wen?

Für alle.

> Für den, der seinen Finger nicht am Abzug hält ist, mag das ja noch
> angehen. Für den, der Gesetze, Polizisten, Zeitungen, Gefängnisse,
> Irrenhäuser, Geheimdienste und Armeen befehligt, kann auf den
> Protest eines leichter bewaffneten scheißen. Wer bricht wessen
> Willen? Hinter wessen "Du MUSST, weil ICH es will!!" steckt die
> vernichtendere Erpressung? Das ist unsere Welt, und es wird sich ein
> Dreck daran ändern.

Du verwechselst immer wieder die Möglichkeit, auf den Protest zu
scheissen, mit der Frage, ob es optimal ist, auf den Protest zu
scheissen.

Es ist sicherlich möglich, 70 Jahre lang auf die Wünsche aller Bürger
zu scheissen, hat die SU bewiesen.  Nur optimal war es kaum.

>> Wie erklärst du dir das kapitalistische Rechtsstaaten stärker/reicher
>> sind als kommunistische Diktaturen? Ich erkläre dies damit, dass sie
>> optimaler gegenüber den Einzelnen handeln. Eben weil/indem sie sich
>> durch Rechtsstaatlichkeit an ethische Prinzipien binden.

> Das hat nichts mit ethischen Prinzipien (im herkömmlichen Sinne) zu tun,
> sondern mit volkswirtschaftlichen. Dass westlichen Staaten über mehr
> finanzielle und militärische Ressourcen verfügen, hat zwar etwas mit
> "Kapitalismus," nicht aber mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.

Nein, es hat viel mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. 

> Es gibt für die Maximierung der Staatseinnahmen einen optimalen
> Steuersatz, der eben nicht 90% beträgt.

Klar.

> Wenn man erst einmal genug Cash in der Kasse hat, kann man sich es
> dann leisten, ...

Nochmal, die Frage ist nicht, was man sich leisten kann, sondern was
optimal ist. 

> Oder meinst du, dir oder deinen Freunden wird gestattet werden, nach
> deinen eigenen Gesetzen zu leben, ~selbst wenn~ diese
> rechtsstaatlichen Prinzipien genügen sollten? Nichts dergleichen
> wird unser Rechtsstaat ohne Widerstand zulassen.

Sicher wird er Widerstand leisten.  Vielleicht wird er siegen - obwohl
die IMHO grösste Hürde ist, erstmal eine Bewegung auf die Beine zu
stellen, die er besiegen könnte :-(.

Aber die erste Frage ist doch, ob es überhaupt optimal für ihn ist,
mich zu bekämpfen.

>>> Wieder gehst du davon aus, dass der Unterlegene etwas anzubieten hat.

>> Das hat er aber. Du sprachst ja von einem Ungleichgewicht, nicht von
>> einer völligen Einseitigkeit in der der Schwächere gar nichts anbieten
>> kann.

> Es kommt wirklich darauf an, wie viel.

Richtig.

> Was kann ein armer Schlucker, womöglich noch einer, der keine
> marktgängigen Berufsfähigkeiten hat, schon einem mächtigen Konzern
> anbieten?

Z.B. sich nicht mit Anschuldigungen gegen den Konzern an die
Massenmedien zu wenden. 

>>> Es ~kann~ für den Stärkeren durchaus rationaler sein, die Kosten
>>> einer Kooperation einzusparen, und sich gleich einfach das zu
>>> nehmen, was er will. Verstehst du mich?
>>
>> Ich verstehe dich. Im Prinzip kann es das, und es gibt durchaus
>> Situationen in denen es auch so ist. Und in diesen Situationen wäre
>> es dann auch ethisch gerechtfertigt, so zu handeln.
>
> FÜR DEN "ethisch gerechtfertigt," der das tun kann, ohne langfristig
> negative Folgen befürchten zu müssen, weil z.B. sein Gegner schwächer ist.
> Für seine Gegner ist es allerdings "ethisch gerechtfertigt," Wege zu
> finden, sich dagegen zu wehren. Werte existieren nicht im Vakuum, sondern
> sind "agent-relative" (mir fehlt hierfür noch eine deutschsprachige
> Entsprechung).

Ich denke, hierüber sind wir uns prinzipiell einig.

Der Unterschied in diesem Teilthread ist IMHO lediglich die graduelle
Frage -- ist in _typischen_ Situationen eines Machtungleichgewichts
die Anwendung der Goldenen Regel für den Stärkeren rational oder nicht?

Prinzipiell bleibt wohl hauptsächlich die IMHO bei dir fehlende
Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Optimum als Problem.

Ich denke, die Verwechselung zwischen Möglichkeit und Optimum hat
sogar einen guten Grund.  Und der liegt in einer rationalen
Konfrontationsstrategie, die vor allem dann relevant wird, wenn es
viele andere potentielle Beteiligte gibt - die
sog. Commitment-Strategie.

Also: die Kooperation mit dem einen konkreten Kidnapper würde dem
Staat durchaus Vorteil bringen.  Aber er lehnt die Kooperation ab,
solange es ihm möglich ist (hier kommt die Möglichkeit ins Spiel).
Dies ist im Einzelfall nicht optimal.  Aber damit schreckt er viele
andere potentielle Kidnapper ab, und insgesamt betrachtet ist die
Strategie dann rational. 

Es ist diese Commitment-Strategie, die das Problem für die vielen
einzelnen Schwachen gegen den Staat ist, nicht die fehlende oder zu
geringe Reaktionsmöglichkeit.
 
>> Richtig. Und völlig eindeutige Antworten wird man auch dann kaum
>> rauskriegen.

> Die Eindeutigkeit steigt mit der Menge und der Qualität der Informationen,
> zu denen man Zugang hat. Eine Organisation mit einem "Nachrichtendienst"
> (im weitesten Sinne), wird deshalb tendenziell immer die rationalste
> Strategie wählen können.

Im Prinzip ja.  Aber viele Informationen helfen nicht immer.

>>> Sie ist im Grunde nichts anderes als ein durch allerlei
>>> Rationalisierungen verschleiertes Appell an das Mitleid
>>> bzw. "Gewissen" des Mächtigen.

>> Das mögen beide so sehen und sogar so darstellen. Ich sehe es aber
>> als völlig rationale Strategie.

> Selbstverständlich können Lügen (altero-zentrische Ethik) eine rationale
> Strategie sein. Mich persönlich widert die Verlogenheit der
> allgegenwärtigen Moral-Rhetorik aber an -- obwohl ich mich manchmal für die
> Kunstfertigkeit einer solchen begeistern kann. Bush in letzter Zeit
> zuzuhören, ist deswegen eine reine Freude.

;-)

>> Ich habe nicht nur die Macht erhalten, dieses Vertrauen irgendwann
>> einmal einmalig aber kräftig zu missbrauchen. Mir gegenüber werden
>> auch weniger Schutzvorrichtungen, welche die Kooperation erschweren,
>> verwendet. Damit bleibt bei meinen Kooperationen mehr für beide
>> übrig.

> Interessant. Nur wie glaubwürdig der vorgebliche Verzicht auf
> Schutzvorrichtungen ist, hängt von der Natur desjenigen ab, der sie
> verwendet, und welchen Umfang eine eventuelle Kooperation aufweist.

Mich interessieren nicht vorgebliche Verzichte auf Schutzvorrichtungen.

Mich interessieren nur welche, von denen ich real was habe,
z.B. Kredite ohne Schufa- oder Grundbuch-Eintrag, oder geringere
Preise weil der andere (wegen eingesparter interner
Schutzvorrichtungen) mir ein billigeres Angebot überhaupt erstmal
machen kann.

>> Gewaltinitiierung bleibt letztendlich vorbehalten. Dies unterscheidet
>> den Anarcho-Kapitalismus vom Staatskapitalismus bei dem
>> Gewalt vom Staat monopolisiert ist.

> Und unter welchen Bedingungen? Wenn du dir diese Option offen
> hältst, gehen natürlich bei einfach gestrickten Menschen sofort alle
> Alarmleuchten an.  Sie werden verstehen wollen, wie hoch für sie das
> Risiko ist, davon in negativer Weise betroffen zu werden.

Ja klar, das dürfen sie auch gerne kalkulieren. 

Ich ziele mit meiner Strategie allerdings auf die etwas clevereren
Leute, denen klar ist, dass im Prinzip bei jedem Gewaltinitiierung
letztendlich vorbehalten bleibt, selbst wenn dies bestritten wird.
Und der daher zu jemandem, der dies zugibt, mehr Vertrauen hat als zu
denjenigen, die dies bestreiten.

> Politisch kann es deshalb günstiger sein, sich "dumm zu stellen,"
> und sich lieber undifferenziert zu einem Verhaltenskodex zu
> bekennen, der die Kapazität weiterer Bevölkerungskreisen nicht allzu
> sehr überfordert.

Ja, es kann.

Nur ist das mit der Kapazität der Bevölkerungskreise so eine Sache.
Die Leute sind schlauer als man nach ihrem Wahlverhalten annehmen
sollte.  Auch geht es nicht so sehr um Schlauheit, sondern um
Regelakzeptanz.

Nimm an, du leitest auf komplizierte Weise eine Strategie ab, die sich
in einer einfachen Regel formulieren lässt.  Diese einfache Regel
zu befolgen schaffen auch Dumme, dem Beweis zu folgen nur wenige.
(das sind ja die ethischen Regeln alle). 

>> Sicherlich. Es gibt Situationen in denen man Macht mit
>> Konfrontation effizienter ausweitet. Dies sind insbesondere bei
>> commitment-Strategien der Fall.

> Was sind "Commitment-Strategien"?

Ich lege mich auf etwas fest, z.B. eine Drohung, in der Hoffnung die
Drohung nicht ausführen zu müssen.  Also eine Variante von Bluff, nur
wenn der schlechte Fall eintritt, dann führe ich die Drohung auch aus.
Damit schade ich mir im konkreten Fall, gewinne aber die Reputation
meine Drohungen auch einzuhalten.

> Das ist vernünftig so, nur macht den Leuten illusionslose
> Rationalität angst. Sie hätten es lieber, wenn man sich zu den 10
> Geboten oder einer anderen Art von tradierter Geisteskrankheit
> bekennt.

Such is life. 

>> Nein, dass Kooperation Vorteil bringt, kannst du als Definition von
>> Kooperation nehmen.

> Es ist nicht die Frage, ob Kooperation Vorteile bringt, sondern, ob
> sie die im Vergleich zu anderen Strategien ~größten~ Vorteile
> bringt.

Einverstanden.

Ilja
--
I. Schmelzer, <ilja@ilja-schmelzer.net> , http://ilja-schmelzer.net

 

 

#6 (27.10.01)

Objektivismus.de > Schmelzer

 

> >> Notwendiger Teil von wissenschaftlichen Theorien sind
> >> z.B. Definitionen. Auch sie beziehen sich auf die Realität - aber sie
> >> sind, von ihrer Natur her, Konventionen. D.h. sie sind nicht wahr
> >> oder falsch, sondern mehr oder weniger sinnvoll und manchmal
> >> inkorrekt.
>
> > (1) Das sehe ich anders. Definitionen können wahr oder falsch sein. Ob
sie
> > dabei von Konventionen beeinflusst wurden oder nicht, spielt für ihren
> > Wahrheitsgehalt keine Rolle. Worauf es ankommt, ist, dass eine
Definition
> > einen Begriff korrekt identifiziert.
>
> Nun, ich bin Mathematiker, kenne den Begriff "Definition" eher aus der
> Mathematik, und dort gibt es einfach keine Bedeutung eines Begriffs
> die identifiziert werden könnte bevor der Begriff definiert ist.

Wenn ich Rand richtig verstanden habe, erfolgt die Identifizierung eines
Begriffs nicht sprachlich, die sprachliche Kennzeichnung und Definition
erfolgt vielmehr erst nach der eigentlichen Begriffsbildung, dem
"Erschauen" der Abstraktion.


> Mein Argument ist: die Fragen, inwieweit Gewissheit über eine Aussage
> möglich ist, hängt nicht allein davon ab, ob sich die Aussage in
> irgendeiner Weise grundsätzlich auf die Praxis bezieht. Gewissheit
> über eine Definition oder eine mathematische Aussage kann möglich sein
> auch wenn Gewissheit über den Ausgang von Experimenten nicht möglich
> ist.

Du meinst, Gewissheit über den (zukünftigen) Ausgang von Experimenten kann
nie und nimmer möglich sein? Das stimmt nicht. Es kann z.B. Gewissheit
darüber bestehen, dass der Ausgang eines bisher noch nie getätigten
Experiments offen ist. Oder darüber, dass die Reproduktion des Ergebnisses
eines bereits mehrfach getätigten Experiments mit Sicherheit (oder mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) gelingen wird.


> > Wir weichen zu sehr von der Frage ab, ob Gewissheit möglich ist, rsp.
der
> > Skeptizismus nicht im Widerspruch zu sich selbst steht. Das tut er.
>
> Es gibt nicht "den Skeptizismus". Wenn, dann interessiert hier
> Poppers Skeptizismus, der sich auf die Gewissheit allgemeiner
> empirischer Theorien bezieht.

Worauf sich die verschiedenen Skeptizismus-Varianten auch immer beziehen,
sie haben alle gemeinsam, dass sie die Möglichkeit der Gewissheit über
zumindest einen Teilbereich der Existenz bestreiten... und zwar mit
Gewissheit.


> Dass Gewissheit über die Aussage 2+2=4 möglich ist, bestreite ich
> nicht. Ich bestreite jedoch, dass Gewissheit über empirische Theorien
> möglich ist.

Wir sollten uns zuvor der Abgrenzung Empirisch/Philosophisch zuwenden,
bevor wir das entscheiden.


> >> Zum Beispiel dass sich von ihnen herausstellen kann, dass sie
> >> sinnvolle (oder auch weniger sinnvolle) Konventionen sind, auf die man
> >> sich einfach einigen kann.
>
> > Konventionen sind in dem Ausmaß sinnvoll, indem sie wahr und ökonomisch
> > sind.
>
> Inwieweit Konventionen wahr oder falsch sein können ist mir völlig
unklar.

Indem die Theorien, auf denen sie beruhen, wahr oder falsch sind.


> > Da Konventionen mittels Sprache formuliert werden, und diese
> > entweder die Realität korrekt widerspiegelt oder nicht, können diese
> > wie alles Begriffliche, richtig oder falsch sein.
>
> Wie soll ich einer Sprache das Attribut "Wahrheit" zuordnen?

Einer "Sprache" selbst nicht, aber den Begriffen, die sie repräsentiert.


> In ein und derselben Sprache kann ich die Aussage "A" und die Aussage
> "nicht A" formulieren, wenn eine von ihnen wahr ist, ist die andere
> falsch. Was ist dann die Sprache?

(1) Ich verstehe nicht, was du mir mit dem ersten Satz mitteilen willst.
(2) Aus dem Stehgreif: Sprache ist ein System audio-visueller
Begriffs-Symbole.


> > Du müsstest mir wirklich noch einmal den grundsätzlichen Unterschied
> > zwischen philosophischen und empirischen Theorien in Bezug auf ihr
> > Verhältnis zur Realität erklären.
>
> Empirische Theorien machen Voraussagen über den Ausgang von
> Experimenten. Zum Beispiel "morgen früh geht die Sonne auf". Ob
> diese Aussage wahr ist oder falsch, stellt sich morgen früh heraus.
>
> Philosophische (metaphysische) Theorien machen hingegen keine solchen
> empirisch nachprüfbaren Behauptungen.

Lass uns das mal an einem (von dir gewählten) Beispiel testen.


> Dies ist Poppers Abgrenzungskriterium zwischen empirischer
> Wissenschaft und Metaphysik.

Setzt Popper alle Philosophie mit "Metaphysik" gleich oder nur
Teilbereiche? Wenn nur Teilbereiche, welche sind für ihn dann Wissenschaft?


> >> Wenn ich sage, eine meiner Aussagen sei eine sinnvolle Definition oder
> >> Konvention, die an sich weder wahr noch falsch ist, aber auf die man
> >> sich einigen sollte, bedeutet dies keineswegs, diese Aussage sei nicht
> >> ernstzunehmen. Wenn die 2 als 1+1 definiert ist (was man tun kann),
> >> ist die Aussage 1+1=2 trotzdem ernst gemeint.
> >
> > Wie kann den bitte eine Aussage "ernst gemeint" sein, die keinen
Anspruch
> > auf Wahrheit erhebt?? Wenn du sagst, dir sei nicht einmal selber klar,
ob
> > deine Aussage wahr sei, warum soll ~ich~ sie dann für wahr, d.h.
"sinnvoll"
> > halten?!
>
> Unterscheide bitte zwischen wahr und sinnvoll. 1+1=2 ist sinnvoll.
> Auch Definitionen sind sinnvoll, obwohl sie nicht "wahr" oder "falsch"
> sind, sondern willkürliche Setzungen. Ich hätte statt der 2 auch ein
> anderes Symbol für den Nachfolger der 1 verwenden können, sagen wir #.
> Dann wäre 1+1=#.

(1) Wofür sollen denn Definitionen "willkürliche Setzungen" sein?? (2) Die
audio-visuellen Symbole, die Sprache die du für die Kennzeichnung von
Begriffen (Seiende) verwendest, sind hier kein Thema. (3) Du hast immer
noch nicht die Frage beantwortet, warum ich eine Aussage von dir für wahr
halten soll, die du nicht einmal selber für wahr hältst! (4) Wenn du "wahr"
mit "sinnvoll" ersetzt, das Sinnvolle für dich aber nur willkürliche
Konvention ist, was hält mich dann davon ab, beliebigen Quatsch als
"sinnvoll" darzustellen? Wann ist denn etwas ~nicht~ sinnvoll?


> Falsche Aussagen [sind?] auch sinnvoll. Zumindest ist das der
> Standardgebrauch des Wortes "sinnvoll" bei den Logikern.

Dann setzt du also "sinnvoll" mit "widerspruchsfrei" gleich? Losgelöst von
jeder empirischen Basis, nur die Konsistenz verschiedener Aussagen
untereinander? Ich brauche dir wohl nicht zu erklären, das ein solcher
Rationalismus zu realitätsfernen Ideen führen kann (wie z.B. Theologie u.ä.
Geisteskrankheiten).


> >> Wenn ich zum Status einzelner Aussagen keine klare Position vertrete,
> >> ob sie nun eine nichttriviale absolute Wahrheit seien oder lediglich
> >> Konventionen, hat dies auch damit zu tun, dass diese Unterscheidung
> >> nicht unbedingt so eindeutig ist wie man denken mag. Hier verweise
> >> ich auf Quines Kritik an der Unterscheidung analytisch/synthetisch
> >> in "two dogmas of empiricism".
>
> > (1) Ein Mangel an Eindeutigkeit ist ein epistemologisches Problem, das
> > keineswegs zu einem grundsätzlichen (oder gar ontologischen)
hochstilisiert
> > werden darf. Wenn du Schwierigkeiten damit hast, den Wahrheitsstatus
einer
> > Aussage zu identifizieren, bedeutet das nicht, dass dieser überhaupt
nicht
> > identifiziert werden kann!
>
> Ich habe keine Schwierigkeiten mit ihm.

Du sagtest doch, du könntest zum (Wahrheits-) Status einzelner Aussagen
keine klare Position vertreten? Als musst du Schwierigkeiten damit haben,
seinen Wahrheitsstatus zu identifizieren. Wie kannst du nun behaupten, du
hättest damit ~keine~ Schwierigkeiten??


> Ich habe eine Theorie, und die ist ein System von Aussagen. Von
> diesen können einige als Definitionen der Begriffe betrachtet werden,
> andere sind dann nichttriviale Beziehungen. Welche Begriffe und
> Aussagen ich als grundlegend (Grundbegriffe, Axiome) und welche ich
> als abgeleitet (abgeleitete Begriffe, Theoreme) betrachte ist für den
> Wahrheitsgehalt der Gesamttheorie nicht wesentlich.

Was willst du mir mit all dem sagen? Meine Aussage war, dass du ein
epistemologisches Problem zu keinem grundsätzlich unlösbaren
hochstilisieren darfst. Du bist darauf überhaupt nicht eingegangen.


> > Und schon gar nicht, dass anderen dieses Recht
> > abgesprochen werden darf, um damit die eigenen Selbstzweifel zur
> > allgemeinverbindlichen Norm zu machen.
>
> Die Freiheit bei der Auswahl von Axiomen in der Mathematik ist dort
> allgemein anerkannte, allgemeinverbindliche Norm.

Mathematik ist zwar eine "Fach-Sprache," aber dennoch eine Sprache, die den
allgemeinen Denkgesetzen unterworfen ist, die auf Axiomen beruhen, die
NICHT willkürlich sind! Ich weiß nicht, wie das in der Mathematik ist, aber
nach meinem Verständnis sind Axiome alles andere als willkürliche
Setzungen. Wie auch immer die Lage in den Spezialgebieten des Wissens
aussehen mag, die den Denkgesetzen inhärenten Axiome sind fundamentaler.


> >> B ist eine wahre Aussage. Person A glaubt daran das B wahr ist.
> >> Person A vertritt B in einer Diskussion mit Argumenten. A ist
> >> trotzdem ungewiss darüber ob B richtig ist, und hört sich deshalb auch
> >> Argumente gegen B aufmerksam an.
> >> Besteht zwischen diesen Aussagen irgendein Widerspruch? Ich sehe
> >> keinen.
>
> > Willst du mich veräppeln? DU, derjenige -- der dieses Szenario
schildert --
> > kennst ja den (positiven) Wahrheitsgehalt von Aussage B! Dass eine
dritte
> > Person A an ihrem Wahrheitsgehalt zweifelt, ist zwar möglich, aber hier
> > vollkommen irrelevant. Die Frage war, ob man (als nicht-Schizophrener),
> > gleichzeitig am Wahrheitsgehalt ein und derselben Aussage Zweifel und
> > Gewissheit äußern kann. Das kann man nicht. Entweder du bist felsenfest
von
> > etwas überzeugt, oder nicht. Gewissheit und Zweifel schließen sich
> > gegenseitig aus.
>
> Nochmal die Frage: Besteht hier irgendein logischer Widerspruch?

JA! (1) Du, der Erzähler weißt, dass B wahr ist. Wenn du jetzt akzeptieren
würdest, dass B gleichzeitig unwahr ist, bestünde hier ein logischer
Widerspruch wir er nicht klarer sein könnte: A = ~A. (2) A verwendet
Argumente, die er für wahr hält (sonst würde er sie nicht verwenden). Wenn
er seine Argumente gleichzeitig für nicht wahr hält, liegt hier ein
Widerspruch vor, nämlich der zwischen Gewissheit und Zweifel.


> A ist sich weder über B noch über ~B völlig sicher.  Eine typische
> Situation. Er hält, angesichts der ihm bekannten Fakten und Argumente,
> B für richtig.

Wie kann er B für richtig halten, und sich darüber gleichzeitig nicht
sicher sein? Ist dir überhaupt klar, was du da sagst?


> > Wenig einleuchtend hingegen finde ich: "Man kann keinen Konsens
herstellen
> > mit jemandem, den man nicht als irgendwie gleichberechtigten
> > Argumentationspartner anerkennt, den man nicht zu Wort kommen läßt oder
den
> > man gar umzubringen versuchte." Viel weiter habe ich nicht gelesen.
Mehr
> > wollte ich mir nicht antun.
>
> Hervorragend, das fand ich auch nicht einleuchtend, und ich brauche
> mir den Rest auch nicht anzutun ;-).  Es ist schon amüsant, zu hören,
> Friedensverhandlungen seien keine rationalen Argumentationsituationen.

Ja. Dass man sich gegenseitig Schaden zufügen kann, ist sogar eine
notwendige Vorbedingung für die rationale Argumentation im Rahmen von
Friedensverhandlungen.


> Ja, die Idee finde ich auch ganz ok.  Nur, wie du damit den von mir
> vertretenen gemässigten Skeptizismus aushebeln willst, ist mir unklar.
> Siehe A im obigen Beispiel.  Er ist sich unsicher, ob B nun richtig
> ist.  Er sucht im Gespräche Argumente für oder gegen B, um eine
> bessere Grundlage für seine Entscheidung zu bekommen.  Entscheiden
> muss er sich (soll er nun die Wohnung kaufen oder nicht?).  Gewissheit
> ist da für ihn gar kein Diskussionsthema.  Sein Ziel ist, die
> Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidung richtig ist, etwas zu
> erhöhen.
>
> Eine völlig übliche Argumentationssituation.  Wenn du darauf bestehst,
> in Argumentationen nur Aussagen zu machen, von denen man sich völlig
> sicher ist, dann bist du der, der die Bedingungen, die Argumentation
> in der Praxis überhaupt erst ermöglichen, nicht anerkennt.

Falsch. Selbst die Aussage, man sei sich nicht sicher, wird mit Sicherheit
vertreten! Was du versuchst hier mit mir abzuziehen, ist ein
intellektueller Taschenspielertrick, bei dem du meine Gewissheit zu Gunsten
deiner Gewissheit reduzieren willst.

Wenn du damit erreichen willst, dass ich deinen Argumenten gegenüber
aufgeschlossener bin, dann lass dir versichert sein, dass solche Appelle
bei mir auf Granit stoßen. Du erzielst damit nur, dass ich misstrauisch
werde, und mich frage, warum du das wohl nötig hast. Wenn du mich von einer
bestimmten Position überzeugen willst, dann tue das, was im Diskurs geboten
ist, nämlich entweder empirische Fakten nachzuweisen oder mit Logik zu
begründen. Den Psycho-Quatsch lass aber bitte sein.


> > Nein, mit dem gesunden Menschenverstand. Du drückst ständig um das
> > Eingeständnis herum, dass absolute Gewissheit nicht nur
> > erstrebenswert, sondern auch möglich und unhintergehbar ist.
>
> Absolute Gewissheit in der Mathematik ist für mich kein Thema.  (Da
> gibt es auch noch die Möglichkeit des Rechenfehlers, aber die ist
> philosophisch wenig interessant.)

Sie ist nicht nur dort kein Thema.

Wenn Sie in der Mathematik möglich ist, sehe ich keinen Grund, warum sie
nicht auch in anderen Gebieten möglich sein sollte.


> > Warum sagst du dann nicht einfach "ja"? Für jemanden, der behauptet,
> > für seine Aussagen keinen Wahrheitsgehalt zu reklamieren, dürfte das
> > doch keinen großen Unterschied machen.

Darauf hast du übrigens nicht geantwortet. Bitte hole das nach. Die Antwort
auf diese Frage interessiert mich nämlich brennend!


> Ich stehe halbverhungert vor einer tiefen Gletscherspalte.  Die Frage
> ist, ob ich rüberspringen kann.  Ansonsten verliere ich einen Tag,
> wenn ich sie umgehen muss, was mir mit Wahrscheinlichkeit 1:200 das
> Leben kosten dürfte.  Eine Vermutung, dass ich es schaffe, mit
> geschätzter Sicherheit von 10000:1, bewegt mich dazu rüberzuspringen.
>
> Ich bin nicht völlig sicher, dass ich es schaffe.  Aber ich springe,
> und der Unterschied, den es macht, ob die Aussage richtig ist, ist
> mein Leben.  Ein sehr grosser Unterschied.

Du bist dir sicher, dass die Wahrscheinlichkeit es zu schaffen 10.000:1
beträgt. Und auf Grund dieser Gewissheit handelst du.


> > Er ist unhintergehbar. Egal was du sagst oder denkst, sagst oder denkst
du,
> > weil du es für wahr hältst.
>
> Ich habe ja damit auch gar kein Problem.  Natürlich halte ich es (in
> gewissem Sinne) für wahr, dass ich es schaffe, rüberzuspringen, wenn
> ich springe.  Aber nur insoweit dies nicht im Widerspruch dazu steht,
> dass ich meine Zweifel habe und mir die Knie zittern, also ohne
> Gewissheitsanspruch.

Besteht nun in bezug auf deine Wahrscheinlichkeitsschätzung Gewissheit oder
Zweifel? Statt bei der Bewertung einer Aussage zu bleiben, bringst du
ständig neue ins Spiel.


> > (3) Welcher hypothetische Imperativ?
>
> Die Regeln, die die Transzendentalpragmatiker herleiten, können immer
> nur die Form haben "Wenn du mit anderen Menschen reden willst, dann ...",
> sie sind somit hypothetische (an Ziele gebundene) Imperative.

Das geht viel tiefer. Wie das in Apels Transzendentalpragmatik aussieht,
müsste ich zwar erst nachschauen, aber die Gültigkeit dieser Gesetze
erstreckt sich nach meiner Auffassung nicht nur auf die interpersonale,
sondern auch auf die intrapersonale Kommunikation, also auch das Denken.
Das Denken ist ja ein "sprechen mit sich selbst." Außerdem ist mir
"hypothetisch" hier zu schwach. Ich würde "konditional" bevorzugen, weil es
sich um eine definitive Ursache-Wirkungs-Feststellung handelt, die erwiesen
ist.


> > (4) Das mit dem Spaß beruht auf Gegenseitigkeit. Bei mir kommt er
> > immer dann abhanden, wenn Diskussionspartner beginnen, Argumente
> > durch nicht näher begründete Emotionsbekundungen zu ersetzen.
>
> Mache ich mich dessen bereits schuldig?  Ich hoffe nicht.

Geht grade noch. :) Deine Verunsicherungsversuche via Skeptizismus werden
mir jetzt aber doch langsam lästig... Probier's lieber mit Argumenten für
das was du mir nahe legen willst aus.


> >> Ich kann mir auch vorstellen, dass das Programm an sich einiges an
> >> Letztbegründung bieten könnte - insbesondere die Frage nach der
> >> Letztbegründung der Logik/Mathematik scheint mir so lösbar.
> >> Vielleicht sogar eine Letztbegründung der wissenschaftlichen Methode,
> >> des Wahrheitsbegriffes oder gar des Realismus.
> >>
> >> Es scheitert aber garantiert an der Letztbegründung empirischer
> >> Theorien und ethischer Regeln - die beziehen sich auf Objekte,
> >> Handlungen, Interessen, die nicht auf Kommunikation beruhen.
> >
> > Tut mir leid, ich kann dir nicht folgen: Das Programm (welches?)
scheitert
> > garantiert an der Letztbegründung empirischer und ethischer Regeln???
>
> Der Transzendentalpragmatismus. Er ist ja an die Hypothese gebunden,
> dass ich mit jemandem kommunizieren will.  Handeln (und damit mehr
> oder weniger ethisch handeln) und Vermutungen über die Realität
> (empirische Regeln) aufstellen muss ich aber auch als einsamer
> Schweiger.

Als einsamer Schweiger denkst du aber! Wenn die angebliche
Nichtanwendbarkeit auf die intrapersonale Kommunikation dein einziges
Argument gegen die von mir universal verwendete Regel des
Transzendentalpragmatismus ist, dann kannst du damit meine Letztbegründung
ethischer Regeln nicht aushebeln. Tut mir echt leid. Sieht nicht gut aus
für dich.


> > Ich
> > dachte, mit empirischen Aussagen hättest du keine Probleme?
>
> Nein, Probleme habe ich nur mit der Behauptung, es gäbe für empirische
> Hypothesen Letztbegründungen.
>
> Eine Letzbegründung (durch die Notwendigkeit, auch unter Bedingungen
> der Unsicherheit zu handeln, um zu überleben) könnte man höchstens in
> der Richtung erwarten, dass wir empirische Hypothesen aufstellen und
> dann handeln als ob sie wahr wären, auch ohne irgendeine Sicherheit zu
> haben dass sie wahr sind.  Aber selbst dafür hielte ich
> "Letztbegründung" für eine Anmaßung.

Wie gesagt, du stellst implizit eine Wahrscheinlichkeitsberechnung auf,
derer du dir nicht anders als gewiss sein kannst.


> > (1) Poppers Skeptizismus betrifft ~nicht~ mathematische oder
philosophische
> > Theorien? Sagtest du nicht am Anfang, er beträfe überwiegend
philosophische
> > Theorien?
>
> Dann hätte ich mir einen erheblichen Schnitzer geleistet.  Er selbst
> _ist_ eine philosophische Theorie, aber er _betrifft_ empirische
Theorien.

Und als philosophische Theorie beansprucht er für sich das, was er
empirischen Theorien abspricht?  Ich vermag immer noch keinen grundlegenden
Unterschied zwischen empirischen und philosophischen Theorien hinsichtlich
ihres Realitätsbezugs zu erkennen. (Der eigentliche Unterschied scheint ein
lediglich gradueller zu sein, der im variierenden Abstraktionsgrad
begründet liegt.) Wenn diese Unterscheidung, wie ich annehme, nicht
wesentlich ist, dann fällt Poppers Skeptizismus letztlich auf sich selbst
zurück. Genau das, was ich schon die ganze Zeit sage!


> > (2) Wie kannst du denn sagen, dass empirische Theorien wahr sein
> > können, wenn du leugnest, dass man Sicherheit über ihren
Wahrheitsgehalt
> > gewinnen könne? Kann man nun ihren Wahrheitsgehalt mit Sicherheit
> > feststellen, oder nicht?
>
> Man kann ihn nicht mit Sicherheit feststellen.  Trotzdem kann man sie
> (mit Vorbehalt) für wahr halten.

Man kann sich also sicher sein, dass man etwas mit Vorbehalt für wahr hält.


> Auf jeden Fall empfehlenswerte Lektüre.  Kuhn und Feyerabend sind auch
> interessant, wobei du Feyerabend sicherlich sofort verwerfen wirst,
> und Kuhns Schlussfolgerungen wohl auch.  Aber Kuhns Beobachtungen
> solltest du ernst nehmen - sie treffen zu.

Kein Interesse an postmodernem Gedankengut. Die knappe Zeit die ich habe,
verwende ich lieber auf sinnvollere Lektüre.


> > (Im übrigen muss ein Widerspruch nicht offensichtlich sein, um zu
> > existieren.)
>
> Richtig.  Und das ist halt der Restzweifel, der bei mir auch an
> Poppers Philosophie bestehen bleibt.

Gibt es eigentlich etwas, woran du ~nicht~ zweifelst?


> > Da für mich Ethik und Rationalität beinahe gleichbedeutend sind,
> > könnte man hier sehr wohl von einer "akontextuellen Ethik" sprechen.
>
> Fein.  Dann besteht auf der ethischen Ebene also prinzipielle
> Übereinstimmung, die lediglich getrübt wird durch die
> Nichtübereinstimmung was die Naturwissenschaft betrifft.

Welche Übereinstimmung auf der ethischen Ebene??
Welche Nichtübereinstimmung, was die Naturwissenschaft betrifft??


> > Die Interessen dieser Gene ~müssen~ deine sein, weil dein Körper
aufgrund
> > der natürlichen Selektion gar nicht anders programmiert sein kann, als
dass
> > er dich für die Verfolgung seiner genetischen Interessen mit Eudämonie
> > belohnt. Vereinfacht gesprochen: Du BIST der Code! Ein Zellverbund, der
mit
> > anderen Zellverbünden um die Kontrolle über externe Ressourcen
konkurriert.
>
> Warte mal.  Ich bin Code, der so programmiert wurde, dass er möglichst
> die Ziele des Programmiers (der Gene) erfüllt.  Die Eudämonie dient
> dabei als Steuerungsmittel.

Ja, sie ist psychologisch die oberste Zielgröße (wobei "die Gene" selbst
der Code sind, ihr "Programmierer" ist die natürliche Auslese).


> Nur kannte der Programmierer nicht die Umgebung, ich der ich lebe,
> sondern hat seinen Code eher für die Horde im Urwald geschrieben,
> zweitens ist der Code fehlerhaft, drittens kann ich Fähigkeiten, die
> mir einprogrammiert wurden, auch missbrauchen - also mir Eudämonie auf
> eine Art und Weise verschaffen, die den Interessen des Programmierers
> widerspricht.  Insbesondere wusste der Programmierer nichts von
> Kondomen.

(1) "Der Programmierer" ist die Umwelt des Organismus, deine Umgebung, in
der du lebst. (2) a) Es stimmt schon, dass der Code etwas schwerfällig ist,
andererseits bringt der des Menschen ein recht gutes Anpassungsprogramm
hervor, nämlich das Vernunftvermögen. b) Wenn du sagst "fehlerhaft," musst
du auch sagen, in bezug auf welche Aufgabe. Hier kommen wir in den Bereich
des Vor-Rationalen hinein, an dem Rationalität erst gemessen wird. Die Evol
utionsbiologie hat diesen vorrationalen Wert als "inklusive Fitness" (bzw.
andere mit diesem Konzept verwandte Werte) identifiziert. (3) Prinzipiell
stimmt auch das. Diese Irrationalität wird üblicherweise durch eine
fehlerbehaftete Repräsentation der Realität ("Pseudo-Philosophie")
verursacht, die nicht immer durch interne Funktions-Störungen verursacht
wurde, sondern -- noch häufiger -- durch sozial introjezierte Ideologien
konkurrierender Codes. Das meine ich mit "competitive persuasion": Lügen,
die dich andere zu ihrem Vorteil glauben lassen, wie z.B. altero-zentrische
Ethik.


> > Die Strategie der kontrollierten Empfängnis z.B. begrenzt die Zahl
> > deiner Nachkommen, was ihnen einen höheren Anteil an den von dir zur
> > Verfügung gestellten Ressourcen, und damit deine Unsterblichkeit als
> > Code sichert. Hast du dich wirklich näher mit der Soziobiologie
> > beschäftigt? Die Basics sollten dir eigentlich vertraut sein...
>
> Klar. Aber wenn ich (als Mann) einen Seitensprung mache, habe ich
> dabei nicht vor, der Strategie der kontrollierten Empfängnis zu
> folgen.  Und wenn ich dabei ein Kondom benutze, mache ich die
> Strategie, die damit eigentlich geplant war, zunichte, hole mir aber
> die dafür vorgesehene Eudämonie ab.

Deine bewusste Absicht zielt immer lediglich auf die Maximierung von
Eudämonie ab, und nicht darauf, was damit biologisch bezweckt werden soll.
Dein Organismus will sich immer nur die "Eudämonie abholen," und auf welche
Weise er das tut, hangt von der Programmierung des Unterbewusstseins ab.
Das was dir Spaß macht, kann nach meiner Feststellung in (3) rational oder
irrational sein.


> > Eudämonie ist die Belohnung für biologisch sinnvolle Verhaltensweisen.
>
> Mit "biologisch sinnvoll" habe ich erhebliche Bauchschmerzen. Für
> meine konkreten Gene sinnvoll - vielleicht.  Für die Gene der
> Konkurrenz eher schädlich.

Durch den Selektionsprozess kann nur eine Strategie überlebt haben: dass
dich als Individuum immer nur ausschließlich das transpersonelle (!)
Fortbestehen ~deines eigenen~ Codes  interessieren soll -- d.h., nicht nur
durch deinen, sondern auch durch den Körper deiner Nachkommen. Das
Fortbestehen anderer Codes interessiert dich nur, wenn diese das
Fortbestehen "deines" Codes sichern. Wenn dir diese Ressourcen streitig
machen, bekommen sie den Status "Feind" zugewiesen, wenn sie dir den
Fortbestand ermöglichen, den Staus "Freund."


> > Die Realität besitzt kein "Außen," höchstens Systeme können
> > das. Präziser wäre es zu sagen, dass die Resultate einer Strategie
> > erst dann abschließend beurteilt werden können, wenn sie vorliegen.
>
> Auch dann nicht.  Es ist ja nicht klar, was bei einer anderen
> Entscheidung passiert wäre.

Richtig, vollkommen klar kann das in der menschlichen Praxis beim
gegenwärtigen Stand der Technologie nicht sein. Wir müssen in diesem Fall
eben in Wahrscheinlichkeiten denken. Was wäre bei Entscheidung X die
wahrscheinlichste Folge gewesen?


> Wir könnten uns darauf einigen, dass es prinzipiell unmöglich ist,
> dies abschliessend zu beurteilen ;-).

Das sehe ich anders. In einem determinierten Universum ist das prinzipiell
möglich. Hier unterscheidet sich meine Auffassung von der Sciabarras.


> Wir können es bei "optimale" belassen.  Ich stimme ja zu, dass wir uns
> dem Optimum nähern können ohne allwissend zu sein.

Allwissenheit ist immer nur für die Existenz als Ganzes unmöglich, nicht
aber für ihre Teilbereiche. Prinzipiell kann ich also in bezug auf einen
sehr kleinen Bereich der externen Realität schon "allwissend" sein, indem
er sich vollkommen in mir spiegelt. Kohlenstoffbasierten Wesen sind da
natürlich biologische Grenzen gesetzt. Ein künstliches Bewusstsein hingegen
könnte theoretisch so groß werden, dass es irgendwann einmal keine externe
Realität mehr gibt. (Das sind natürlich lediglich wilde Spekulationen von
mir. Es wäre interessant die Frage zu klären, wie groß denn so ein
"Seins-Spiegel" überhaupt sein darf.)


> > Das stimmt allerdings. Darum kann es auch sinnvoll sein, ab einem
> > bestimmten (idealerweise vorher festgelegten Punkt) zur Intuition
> > umzuswitchen. Wo dieser Punkt zu setzen ist, hängt davon ab, was auf
> > dem Spiel steht. Und was man auf jeden Fall auch berücksichtigen
> > muss, ist, dass die Qualität der Intuition vom Trainingszustand der
> > individuellen Rationalität abhängt. "Emotionen sind abgestandene
> > Gedanken," heißt es im Objektivismus.
>
> Ist was dran, ich halte sie aber eher für Strategien der Gene.

Irgendwie ist so ziemlich jeder Antrieb im Leben eines Organismus eine
Strategie eigener oder fremder Gene. Worauf es ankommt, ist, ob die
Emotionen und die Gedanken, auf denen sie beruhen, eigene oder
introjezierte sind, ob sie zu haben, rational oder irrational für einen
selbst ist.


> > Auf jeden Fall ist Intuition im Gegensatz zu Rationalität
> > Glückssache, die nur dort zum Einsatz kommen sollte, wo ihre
> > Unzuverlässigkeit nicht inakzeptabl hohe Kosten verursachen könnte.
>
> Die Frage ist ob die rationale Alternative auf der Basis der
> vorhandenen Informationen überhaupt was bringen kann.

Man muss immer mit dem arbeiten, was einem zur Verfügung steht. Neue
Informationen führen zu objektiveren Einschätzungen und rationaleren
Handlungs-Strategien.


> Ich hatte ja mit meinem Stirner-Artikel auf einen Artikel von Bernd
> A. Laska (ef Nr. 11 (2000)) geantwortet, indem er schreibt:
> ------------
> Meine Anfrage beim Ayn Rand Institute über ein evtl. doch irgendwo
> überliefertes Urteil Rands über Stirner erbrachte eine leicht
> indignierte Antwort von Harry Binswanger, einem ehemals engen
> Mitarbeiter Rands und jetzigen führenden Vertreter der Rand'schen
> Lehre des Objektivismus: Mit Stirner, der letztlich sogar den Mord
> gerechtfertigt habe, habe Rand nichts zu tun haben wollen.
> ------------
>
> Da wundert es mich, von einem Verteidiger des Objektivismus zu hören,
> er habe eigentlich nur ein paar Selbstverständlichkeiten klarstellt.

Meinst du mich? Ich bezeichne mich zwar als Objektivisten, mein
Objektivismus ist aber nicht der Objektivismus Ayn Rands, sondern eben
meiner. Die Grundannahmen des Objektivismus teile ich aber dennoch mit den
Amerikanern. Es gibt in bezug auf seine Weiterentwicklung noch sehr viel zu
tun. Stehst du mit Bernd Laska in Kontakt? Sein LSR-Projekt ist mir
sympathisch.


> > Mir geht es ja auch um den umgekehrten Weg, um die ~fundamentalen~
> > Werte und Prinzipien, aus denen sich solche nachrangigen Werte oder
> > Ziele erst ableiten lassen. Die Komplexität der Wertstruktur
> > verringert sich, je näher man am Fundament ist. Und um Komplexität
> > zu verringern, denken wir überhaupt in (Begriffen und) Prinzipien.
>
> Ich denke "fundamental" bleiben all die verschiedensten Ziele übrig,
> die unsere Gene uns einprogrammiert haben, in der Hoffnung, wir
> würden, diesen Zielen folgend, ihrem Vervielfältigungsinteresse
> folgen.
>
> Das eine Fundament, auf das zu meine Ziele zurückführen kannst, ist
> also das Ziel meiner Gene zur Vervielfältigung.  Punkt.

Etwas genauer: Das eine Fundament, auf das ich deine rationalen Ziele
zurückführen kann, ist das Ziel deiner Gene zur Vervielfältigung. Das eine
Fundament, auf das ich deine irrationalen Ziele zurückführen kann, ist das
Ziel ~fremder~ Gene zur Vervielfältigung. Darin hat unser ökonomische
Klassenkampf und die ganze Klassendynamik ihren Ursprung.


> Aber meine Ziele sind die, die mir meine Gene einprogrammiert haben,
> und nicht die Vervielfältigung der Gene.  Das ist ein wichtiger
> prinzipieller Unterschied, weil nicht davon ausgegangen werden kann,
> dass die Gene mich optimal programmiert haben.  Damit bricht für mich
> die Zurückführung bei dem diffusen Satz der Interessen ab, die mir
> meine Gene einprogrammiert haben.

Betreffend der Rationalität deines Programms siehe oben.


> Nun, die "fundamentalsten" Ziele, die wir gerade am einen Ende der
> Skala festgestellt haben, und die nur noch mit Biologie erklärt werden
> können, haben keinerlei ethische Wertigkeit.  Daher ziehe ich es vor,
> sie einfach "Interessen" oder "Ziele" zu nennen, aber nicht "Werte"
> oder "Tugenden".

Meinetwegen. Die Begriffe müssten in der Tat besser abgegrenzt werden
(weshalb ich auch immer auf klare Definitionen poche). Mit der ethischen
Wertigkeit irrst du aber. Aus diesen "Interessen" entwachsen erst die
ethischen Werte. Die Verbindung mit solchen ist immer da, ob du nun einer
altero-zentrischen Ethik aufgesessen bist, oder deine eigenen Interessen
verfolgst.


> Hier nochmal ein wichtiger Unterschied: Soziobiologie _erklärt_ mir,
> warum ich liebe und hasse.  Sie _begründet_ mir jedoch nichts im
> ethischen Sinne.  Denn ich habe nicht das Ziel, meine Gene zu
> verbreiten, s.o..  Ich verliebe mich und habe dann das Ziel, mein
> Liebesobjekt glücklich zu machen.  Und darauf, dass dies für die Gene
> nur Mittel zum Zweck, Sex zu machen und sich zu kopieren, ist, pfeife
> ich.

Wenn dich die ausgesetzte Belohnung interessiert, solltest du die Regeln
kennen, nach denen sie verteilt wird. Außerdem verstehe ich den Unterschied
nicht, den du zwischen "Erklärung" und "Begründung" zu sehen meinst.


> In dieser Situation ist mein Bestreben, mein Liebesobjekt glücklich zu
> machen, ethisch genauso wertfrei wie mein Hunger.  Es ist einfach mein
> Interesse.

Wen meinst du damit, wenn du sagst, "mein Interesse"? Spaß zu haben ist nur
ein psychologisches Interesse, dem genetische zu Grunde liegen.


> Die ethischen Werte und Tugenden entstehen eher am anderen Ende der
> Skala - als Ethik/Rationalität unter vorgegebenen Zielen.  Und dort,
> im Rahmen fixierter Ziele, können wir in aller Ruhe auch die Werte &
> Tugenden nach ihrer Priorität ordnen - je nachdem welche Ordnung
> die bessere Strategie liefert.

Am Ende welcher Skala? Ich verstehe dich nicht. Die Werte und Tugenden
müssen ~durchgehend~ nach ihrer Priorität geordnet werden! Sie existieren
nicht im Vakuum, sie sind nicht losgelöst von fundamentaleren (fixierten)
Zwecken, sondern stehen mit ihnen in einem untrennbaren Zusammenhang.


> > Um darauf etwas sagen zu können, müsstest du mir zuerst klarmachen, was
es
> > denn ist, was du nicht wünschst. Ich kann keine Gedanken lesen.
>
> Nein, meine Wünsche kann ich auch geheimhalten, und so tun als wäre
> dies alles nur ein ganz altruistischer guter Rat.  Dir können meine
> Wünsche auch egal sein, du hörst meine Argumentation, dass du deine
> Zwecke nicht erreichst, wenn du XYZ tust, und, wenn dir die Argumente
> einleuchten, und du diese Zwecke wirklich hast (was ich nur vermuten
> kann), wirst du XYZ nicht tun.  Und ich bin zufrieden.

Aha. Du hast also keinen Durchblick. Vielleicht solltest du dich einfach
locker machen, und erst einmal versuchen zu verstehen was ich tue, bevor du
entscheidest, ob auch ein legitimierbarer Grund zur Durchkreuzung besteht.
Wenn man sich in Grenzbereiche des bestehenden Wissens wagt, kann sich
vieles ganz anders ergeben, als man zunächst denkt. Es bleibt abzuwarten,
für wen das welche Auswirkungen hat.


> > Ob ich dann im nächsten Schritt deine Wünsche berücksichtige --
> > bzw. in welchem Umfang -- hängt davon ab, wie dick ist dein Knüppel
> > ist.
>
> Nein. Davon, wie einleuchtend meine Argumente sind.  Gut,
> evtl. verwende ich das Argument "wenn du XYZ machst, hole ich meinen
> Knüppel raus".  Kann sein, muss aber nicht.

Beruht auf Gegenseitigkeit. Ich ziehe Süßigkeiten Knüppeln natürlich vor.


> > Oder hast du etwas positiveres zu bieten, als dich mir einfach in
> > den Weg zu stellen?
>
> Kann sein, hängt von der Situation ab.

Und von der Verständigung darüber. Vielleicht haben wir es hier mit einem
neuen Phänomen zu tun, dem mit den vorhandenen Kategorien nicht beizukommen
ist?


> > Wo soll ich das getan haben?? Ich sagte doch, dass das Problem bei
> > ihm ja grade sei, dass er statt fundamentaler Werte Launen zum
> > Standard seiner "Ethik" macht.
>
> Du hast es nicht getan - aber dies wäre eine Möglichkeit, mir
> Eudämonie als fundamentales Ziel akzeptabel zu machen.

Sie kann für dich gar nicht nicht akzeptabel sein, wenn du den Begriff
richtig erfasst hast. Das gilt für alle Menschen.


> Und ansonsten hat Stirner keine Ethik vorgeschlagen, sondern den
> Status von Ethik klargestellt.  Ethik steht in der Priorität unter den
> Launen.

Wenn du Ethik als Identifikation von optimalen Zweck-Mittel-Beziehungen
begreifst, wirst du sehen, dass es sich hier nicht um eine "Un-Ethik"
handelt, sondern um eine akontextuelle, auf Emotionalismus beruhende Ethik,
die trotz ihrer Irrationalität dennoch eine Ethik ist. Du kannst der
Notwendigkeit zu werten, und damit so etwas wie eine Ethik zu haben, nicht
entfliehen.


> Wenn ich meinen Launen untereinander Prioritäten zuschreibe, ist dies
> prinzipiell nichts anderes als eine Laune.

Nein. Das ist der erste Schritt zu einer kontextuellen, voll integrierten
Ethik. Wenn du nicht tiefer gehst, bleibt das natürlich alles von seiner
Basis abgetrennt.


> > Du ignorierst hier den Integrationsgrad. Je näher wir in der
> > Wertediskussion dem biologischen Fundament kommen, um so ähnlicher
> > und gleichförmiger wird die Psychologie verschiedener Menschen. Die
> > Individualität ist nur bei den oberflächlichen Werten und
> > Verhaltensweisen gegeben, nicht jedoch an ihrer Wurzel.
>
> Sie sind auch in ihrer Wurzel verschieden genug.  Schon die
> Unterschiede zwischen Mann und Frau sind erheblich.

Evolutionär stabiler Code ist auf seiner fundamentalsten Ebene
gleichförmig, egal welchen Organismus welcher Spezies oder welchen
Geschlechts er auch benutzt. Die Geschlechtsidentität bestimmt dabei einige
tief wachsende Äste der Wertestruktur, das ändert aber nichts an der mit
dem Abstraktionsgrad zunehmenden Gleichförmigkeit aller Werte. Trotz
individuell ausgeprägter Oberfläche, bleibt der Kern immer gleich.


> > Dennoch haben alle Verhaltensweisen einer Spezies (einen) gemeinsame(n)
> > Nenner. Die situationsabhängigen Zielsetzungen des Bewusstseins, sind
> > logische Ableitungen grundlegender, biologisch invarianter
Zielsetzungen.
>
> Angesichts der Komplexität der Strategien innerhalb einer Art,
> man beachte insbesondere auch Falken/Tauben-Gleichgewichte etc.,
> sehe ich keinen Grund dafür.

Keinen Grund wofür?? Für den "gemeinsamen Nenner"? Bedenke, dass ich von
sehr, sehr fundamentalen Zielsetzungen spreche, wenn ich von den allen
Lebewesen gemeinsamen "Kern-Verhaltensweisen" spreche.


> > Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann ist es die Existenz von
> > böswilligen Gegenabsichten, auf welche Weise sie sich in konkreten
> > Falle auch immer manifestieren werden.
>
> Tja, die Existenz schon. Aber welche Strategie genau wählt der andere
> nun?

Ohne mich jetzt genau darüber auszulassen; man kann Strategien wählen, die
die gegnerische Strategie immer für sich arbeiten lassen, ohne dass deren
Details von Bedeutung wären.


> > Das sehe ich nicht so. Ein voll integriertes System der Ethik ist
> > auf jeden Fall möglich und notwendig, und es wird keineswegs so
> > primitiv sein, lediglich aus der Goldenen Regel zu bestehen. Den
> > Wettbewerbsvorteil hat der, dessen Ethik logischer und
> > differenzierter ist.
>
> Dass es mehr gibt als nur die Goldene Regel ist mir auch klar.  Nur
> haben wir ja in der Diskussion schon festgestellt, dass selbst die
> Anwendbarkeit der Goldenen Regel von Annahmen über die Umwelt
> (insbesondere über unser Kräfteverhältnis) abhängt, und du warst der,
> der ihren Anwendungsbereich für kleiner hielt als ich.
>
> Insofern sehe ich hier einen gewissen Widerspruch.

Wessen "ihren Anwendungsbereich"? Den der Goldenen Regel? Zu was besteht
hier der Widerspruch bitte? Wenn du deine Gedankengänge zu sehr abkürzt,
kann ich dir nicht folgen.


> >> Was wenn etwas als richtig, schädlich, rational, und destruktiv
> >> bewertet wird? Das sind doch die Fragen wo es beginnt interessant zu
> >> werden, und deine Einteilung der Wörter hilft dir dabei nicht weiter.
>
> > Ich verstehe die Frage nicht. Meinst du die vorgebliche Möglichkeit
einer
> > Gleichzeitigkeit sich nicht vertragender Bewertungen?
>
> Na sicher.  Wenn dies nicht möglich wäre, also alles was rational wäre
> immer konstruktiv, wäre die Verwendung von zwei Worten für ein und
> dasselbe ja Verschwendung.

Nein. Du musst solche Bewertungen immer im Kontext betrachten: Rational für
wen oder was? Konstruktiv wofür? Wenn du alle Bewertungen -- so wie es sein
sollte -- nach (dem) einen Endzweck ausrichtest, wird es niemals
Widersprüche geben. D.h. das Richtige wird nützlich sein, das Nützliche
rational, das Rationale konstruktiv, und schließlich das Konstruktive gut
(in Bezug auf X). Die Wörter, die ich dir in den zwei Kategorien
zusammengefasst habe, identifizieren den Erwünschtheits-Status
verschiedener Seins-Bereiche oder -Ebenen in Epistemologie und Ethik. Unter
ihnen besteht ein Zusammenhang, nicht aber eine Identität. Alles z.B. nur
in "gut" und "schlecht" zu unterteilen, ist zwar das, worauf es letztlich
ankommt (alle Bewertungen lassen sich darauf zurückführen), aber für die
Navigation im Alltag ungeeignet, weil zu abstrakt.


> > Wenn alle Fakten zusammenhängen, müssen auch alle Werte
> > zusammenhängen. Daher müsste man bei scheinbaren Konflikten die
> > logische Hierarchie identifizieren, um daraus Handlungsempfehlungen
> > ableiten zu können.
>
> Nun, vom Prinzip her muss ich in der konkreten Situation meine
> Interessen und die optimale Strategie rausfinden.

Das habe ich nie bestritten.


> Die im Prinzip anwendbaren ethischen Regeln (z.B. die Goldene Regel)
> sind nur Faustregeln, müssen dahingehend betrachtet werden, ob in der
> konkreten Situation wirklich optimalere Strategien bringen.

Dieser Satz ist unverständlich. Bitte neu formulieren.


Erst
> recht gilt dies für Prioritätsregeln zwischen verschiedenen ethischen
> Regeln.
>
> Logische Hierarchien dürften hier nur eine geringe Rolle spielen.

Ganz im Gegenteil. Wenn ich deine etwas unklare Aussage richtig gedeutet
habe, behauptest du, Strategien (Tugenden) ließen sich nicht hierarchisch
ordnen. Das ist falsch, weil immer einige abstrakter, fundamentaler
(wichtiger) oder umfassender sind, als andere. Prinzipien und Strategien
haben z.B. einen Vorrang vor Regeln oder Taktiken. Dir ist sicherlich das
Sprichwort bekannt, dass die Priorität eines gewonnenen Krieges vor dem der
gewonnenen Schlacht feststellt.


> Richtig, nur war dies nicht die Frage.  Es ging um das Potential der
> Gegenwehr heute.  Bin Laden ist zwar reich, aber die Kosten für den
> Anschlag liegen im Bereich von ein paar Millionen, und Millionäre gibt
> es genug auf der Welt.  Auf der anderen Seite steht die Supermacht
> überhaupt.  Das Sanktionspotential war trotz dieses extremen
> Missverhältnisses offensichtlich da.  Darum ging es mir.

Okay. Eine Supermacht wird langfristig fast immer stärker sein, als eine
kleine miese Terroristenbande. Es ist mir entfallen: wie sind wir noch
einmal auf dieses Thema gekommen?


> >> Nein. Ich sage, dass auch im Falle des Ungleichgewichts tit for tat
> >> langfristig erfolgreicher ist.
>
> > Für wen?
>
> Für alle.

Stimmt nicht. Du machst es dir zu einfach. Als Faustregel ist TFT zwar
okay, man muss aber weiterdenken, wenn es um höhere Einsätze geht.


> Du verwechselst immer wieder die Möglichkeit, auf den Protest zu
> scheissen, mit der Frage, ob es optimal ist, auf den Protest zu
> scheissen.
>
> Es ist sicherlich möglich, 70 Jahre lang auf die Wünsche aller Bürger
> zu scheissen, hat die SU bewiesen.  Nur optimal war es kaum.

Wir sprechen hier immer von Netto-Gewinnen und Netto-Verlusten, vom
Langfristigen und über Prinzipien. Du wirfst alles mögliche in einen Topf,
ohne ausreichend zu differenzieren. Wenn in deinem Beispiel das Volk der SU
die Macht hatte, das Sowjet-Regime zu kippen, dann war es eben stärker.
Dass es seine Stärke nicht früher eingesetzt hat, bedeutet nicht, das es
schwächer war, sondern, dass es Opfer seines falschen Bewusstseins gewesen
ist. Das tatsächliche Machtverhältnis und die tatsächlichen
Interessengegensätze wurden durch eine Ideologie verschleiert.


> > Das hat nichts mit ethischen Prinzipien (im herkömmlichen Sinne) zu
tun,
> > sondern mit volkswirtschaftlichen. Dass westlichen Staaten über mehr
> > finanzielle und militärische Ressourcen verfügen, hat zwar etwas mit
> > "Kapitalismus," nicht aber mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.
>
> Nein, es hat viel mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.

Ich benötige schon eine Begründung, um dein Urteil als wahr anerkennen zu
können. Mit einem "nein" ist es bei mir nicht getan. Führe dir Beispiele
wie Singapur vor Augen.


> > Es gibt für die Maximierung der Staatseinnahmen einen optimalen
> > Steuersatz, der eben nicht 90% beträgt.
>
> Klar.

Und der Staat der das erkannt hat, wird seine Finanzlage und damit seine
militärischen Möglichkeiten verbessern können.


> > Wenn man erst einmal genug Cash in der Kasse hat, kann man sich es
> > dann leisten, ...
>
> Nochmal, die Frage ist nicht, was man sich leisten kann, sondern was
> optimal ist.

...kann es sich leisten, höhere Investitionen in optimale Anlagen zu
tätigen. Du brauchst mich nicht zu ermahnen, an die Optimierung der Rendite
zu denken. Das tue ich immer.


> > Oder meinst du, dir oder deinen Freunden wird gestattet werden, nach
> > deinen eigenen Gesetzen zu leben, ~selbst wenn~ diese
> > rechtsstaatlichen Prinzipien genügen sollten? Nichts dergleichen
> > wird unser Rechtsstaat ohne Widerstand zulassen.
>
> Sicher wird er Widerstand leisten.  Vielleicht wird er siegen - obwohl
> die IMHO grösste Hürde ist, erstmal eine Bewegung auf die Beine zu
> stellen, die er besiegen könnte :-(.

Diese Herausforderung sehe ich auch. Fakt ist, dass es einige Phänomene in
unserer Gesellschaft gibt, die geradezu nach einem Gegengewicht schreien,
dass es für gründlich denkende Menschen keinen sicheren Hafen gibt, keine
ausschließlich vernunftorientierte Alternative. Deshalb bin ich zum
gegenwärtigen Zeitpunkt für richtungsweisende Unterstützung zur Überwindung
dieses Problems aufgeschlossen.


> Aber die erste Frage ist doch, ob es überhaupt optimal für ihn ist,
> mich zu bekämpfen.

Das könnte in der Tat eine sehr ungünstige Haltung sein, die aber auch
nicht notwendig werden muss. Jemanden zu bekämpfen, der sich für die
Wahrheit entschieden hat, kommt langfristig immer einem Selbstmord gleich.
Diese Erfahrung hat die Kirche in der Vergangenheit machen müssen.


> > Was kann ein armer Schlucker, womöglich noch einer, der keine
> > marktgängigen Berufsfähigkeiten hat, schon einem mächtigen Konzern
> > anbieten?
>
> Z.B. sich nicht mit Anschuldigungen gegen den Konzern an die
> Massenmedien zu wenden.

Okay. Das ist tatsächlich eine real existierende Gefahr, die von Menschen
ausgeht, die sich in die Ecke gedrängt oder sich anders in ihrer Existenz
bedroht fühlen. Ich stimme mit dir überein, dass sich auch für solche
Menschen ein Wohlverhalten gegenüber einer stärkeren Partei lohnen könnte,
die mindestens die Gründe für die Anschuldigungen erkennbar beseitigt oder
sogar weitergehend tätig wird.


> >>> Es ~kann~ für den Stärkeren durchaus rationaler sein, die Kosten
> >>> einer Kooperation einzusparen, und sich gleich einfach das zu
> >>> nehmen, was er will. Verstehst du mich?
> >>
> >> Ich verstehe dich. Im Prinzip kann es das, und es gibt durchaus
> >> Situationen in denen es auch so ist. Und in diesen Situationen wäre
> >> es dann auch ethisch gerechtfertigt, so zu handeln.

[Ich habe deine Antwort zur Erinnerung stehen lassen.]


> Der Unterschied in diesem Teilthread ist IMHO lediglich die graduelle
> Frage -- ist in _typischen_ Situationen eines Machtungleichgewichts
> die Anwendung der Goldenen Regel für den Stärkeren rational oder nicht?

Das bezweifele ich, und sogar du selbst hast mir dabei recht gegeben: siehe
oben!


> Prinzipiell bleibt wohl hauptsächlich die IMHO bei dir fehlende
> Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Optimum als Problem.

Willst du damit einen Nebenkriegsschauplatz eröffnen? Ich spreche immer nur
über die Wahrscheinlichkeit, welche Strategie für wen das Optimum
darstellt.


> Ich denke, die Verwechselung zwischen Möglichkeit und Optimum hat
> sogar einen guten Grund.  Und der liegt in einer rationalen
> Konfrontationsstrategie, die vor allem dann relevant wird, wenn es
> viele andere potentielle Beteiligte gibt - die
> sog. Commitment-Strategie.
>
> Also: die Kooperation mit dem einen konkreten Kidnapper würde dem
> Staat durchaus Vorteil bringen.  Aber er lehnt die Kooperation ab,
> solange es ihm möglich ist (hier kommt die Möglichkeit ins Spiel).
> Dies ist im Einzelfall nicht optimal.  Aber damit schreckt er viele
> andere potentielle Kidnapper ab, und insgesamt betrachtet ist die
> Strategie dann rational.

(1) Richtig. Sich auf Erpressungen einzulassen, ist nur selten klug. Man
muss schon mal in den sauren Apfel beißen. (2) Ich spreche immer nur von
NETTO-Erfolgen! Du unterstellst mir, meine Aussagen seien auf das
Kurzfristige abgestellt. Meine Betonung des Kontexts muss mittlerweile so
deutlich geworden sein, dass ich mich frage, wie du zu dieser grotesken
Fehleinschätzung gelangen kannst.


> Es ist diese Commitment-Strategie, die das Problem für die vielen
> einzelnen Schwachen gegen den Staat ist, nicht die fehlende oder zu
> geringe Reaktionsmöglichkeit.

Viele einzelne Schwache könne sich zu einem großen Starken verbünden und
die gleiche Strategie fahren. (Du selbst hast oben das Volk der SU als
Beispiel für Risikobereitschaft beim Sturz der Altregierung angeführt.)
Oder Einzelne können ihre Commitment-Strategie bis auf Äußerste eskalieren
(wie wir gesehen haben), mit der demokratische Staaten nicht mithalten
können.


> > Die Eindeutigkeit steigt mit der Menge und der Qualität der
Informationen,
> > zu denen man Zugang hat. Eine Organisation mit einem
"Nachrichtendienst"
> > (im weitesten Sinne), wird deshalb tendenziell immer die rationalste
> > Strategie wählen können.
>
> Im Prinzip ja.  Aber viele Informationen helfen nicht immer.

Besonders, wenn man nicht weiß, welcher Teil noch fehlt. Grobe
Fehleinschätzungen sind trotz Datenflut möglich.


> Mich interessieren nicht vorgebliche Verzichte auf Schutzvorrichtungen.
>
> Mich interessieren nur welche, von denen ich real was habe,
> z.B. Kredite ohne Schufa- oder Grundbuch-Eintrag, oder geringere
> Preise weil der andere (wegen eingesparter interner
> Schutzvorrichtungen) mir ein billigeres Angebot überhaupt erstmal
> machen kann.

Macht Sinn. Das Dumme ist nur, dass bei manchen dieser Maßnahmen ein
Kollektiv die Kosten trägt, so dass das Kostensenkungspotential deines
Wohlverhaltens nicht nur bei den (Un-) Verantwortlichen wenig Eindruck
schindet, sondern dieses auch nicht an dich weitergegeben werden kann.


> > Und unter welchen Bedingungen? Wenn du dir diese Option offen
> > hältst, gehen natürlich bei einfach gestrickten Menschen sofort alle
> > Alarmleuchten an.  Sie werden verstehen wollen, wie hoch für sie das
> > Risiko ist, davon in negativer Weise betroffen zu werden.
>
> Ja klar, das dürfen sie auch gerne kalkulieren.
>
> Ich ziele mit meiner Strategie allerdings auf die etwas clevereren
> Leute, denen klar ist, dass im Prinzip bei jedem Gewaltinitiierung
> letztendlich vorbehalten bleibt, selbst wenn dies bestritten wird.
> Und der daher zu jemandem, der dies zugibt, mehr Vertrauen hat als zu
> denjenigen, die dies bestreiten.

Dein Wort in Galts Ohr. Ich finde zwar jemanden, der mir keine PC-Märchen
erzählt auch glaubwürdiger, nur glaube ich, dass die Bevölkerungsmehrheit
so voller Illusionen bezüglich Ethik ist, dass das in der breiten
Öffentlichkeit gegenwärtig eher negativ ankommt. Langfristig müsste sich
aber Wahrheit und Aufklärung gegenüber Lüge und Konformismus durchsetzen.


> > Politisch kann es deshalb günstiger sein, sich "dumm zu stellen,"
> > und sich lieber undifferenziert zu einem Verhaltenskodex zu
> > bekennen, der die Kapazität weiterer Bevölkerungskreisen nicht allzu
> > sehr überfordert.
>
> Ja, es kann.
>
> Nur ist das mit der Kapazität der Bevölkerungskreise so eine Sache.
> Die Leute sind schlauer als man nach ihrem Wahlverhalten annehmen
> sollte.  Auch geht es nicht so sehr um Schlauheit, sondern um
> Regelakzeptanz.
>
> Nimm an, du leitest auf komplizierte Weise eine Strategie ab, die sich
> in einer einfachen Regel formulieren lässt.  Diese einfache Regel
> zu befolgen schaffen auch Dumme, dem Beweis zu folgen nur wenige.
> (das sind ja die ethischen Regeln alle).

Das ist mir zu abstrakt. Kannst du ein Beispiel anführen?

Worum es mir ging: Jemand, der sich zum undifferenzierten Altruismus
bekennt, ist für die Öffentlichkeit i.d.R. attraktiver, als jemand, der
sich zum Egoismus bekennt, weil man bei diesem erst über seine
"Gefährlichkeit" bzw. Ungefährlichkeit nachdenken muss. Das ist etwas,
womit sich nicht allzu viele allzu gerne beschäftigen (was man an der
verbreiteten Nichtbeachtung von Wahlprogrammen ablesen kann).


> >> Sicherlich. Es gibt Situationen in denen man Macht mit
> >> Konfrontation effizienter ausweitet. Dies sind insbesondere bei
> >> commitment-Strategien der Fall.
>
> > Was sind "Commitment-Strategien"?
>
> Ich lege mich auf etwas fest, z.B. eine Drohung, in der Hoffnung die
> Drohung nicht ausführen zu müssen.  Also eine Variante von Bluff, nur
> wenn der schlechte Fall eintritt, dann führe ich die Drohung auch aus.

Wenn man bereit ist, es durchzuziehen, ist es kein Bluff. Dabei spielt es
keine Rolle, welche Hoffnungen du diesbezüglich hegst.


> Damit schade ich mir im konkreten Fall, gewinne aber die Reputation
> meine Drohungen auch einzuhalten.

Richtig. Wie bei Selbstmord-Attentätern oder Kamikaze-Piloten.


> >> Nein, dass Kooperation Vorteil bringt, kannst du als Definition von
> >> Kooperation nehmen.
>
> > Es ist nicht die Frage, ob Kooperation Vorteile bringt, sondern, ob
> > sie die im Vergleich zu anderen Strategien ~größten~ Vorteile
> > bringt.
>
> Einverstanden.

Fantastisch! Dann wirst du ja deine Verabsolutierung des
Kooperations-Gebots bald fallen lassen. Warum dauert das bei dir nur so
lange?

Schönes Zitat zum Schluss: "Die Wahrheit ist absolut und objektiv. Wäre sie
es nicht, könnten wir uns niemals irren. Dann wären unsere Irrtümer genauso
gut wie unsere Wahrheiten." (Popper, Sir K.R. "Alles Leben ist
Problemlösen")

Mit objektivem Absolutismus,
alexander

 

 

#7 (29.10.01)

Schmelzer > Objektivismus.de

 

"alexander ch. fürstenberg" <RationalEvidence@gmx.de> writes:
> Du meinst, Gewissheit über den (zukünftigen) Ausgang von Experimenten kann
> nie und nimmer möglich sein? Das stimmt nicht. Es kann z.B. Gewissheit
> darüber bestehen, dass der Ausgang eines bisher noch nie getätigten
> Experiments offen ist.

Sowas läuft für mich eher unter Wortspielereien.

> Oder darüber, dass die Reproduktion des Ergebnisses eines bereits
> mehrfach getätigten Experiments mit Sicherheit (oder mit an
> Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) gelingen wird.

Mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit habe ich kein
Problem. Es ist jedoch eine Phrase - denn es gibt keinen, der diese
Wahrscheinlichkeit ausrechnen könnte, zumindest nicht mit Sicherheit.

> Worauf sich die verschiedenen Skeptizismus-Varianten auch immer
> beziehen, sie haben alle gemeinsam, dass sie die Möglichkeit der
> Gewissheit über zumindest einen Teilbereich der Existenz
> bestreiten... und zwar mit Gewissheit.

Wie wärs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit?

>> Inwieweit Konventionen wahr oder falsch sein können ist mir völlig
>> unklar.

> Indem die Theorien, auf denen sie beruhen, wahr oder falsch sind.

In der Mathematik nennt man Definitionen in Fällen, in denen sie auf
falschen Theorien beruhen, inkorrekt.

>>> Da Konventionen mittels Sprache formuliert werden, und diese
>>> entweder die Realität korrekt widerspiegelt oder nicht, können diese
>>> wie alles Begriffliche, richtig oder falsch sein.

>> Wie soll ich einer Sprache das Attribut "Wahrheit" zuordnen?

> Einer "Sprache" selbst nicht, aber den Begriffen, die sie repräsentiert.

Auch bei den Begriffen sieht es nicht unbedingt besser aus.

>> In ein und derselben Sprache kann ich die Aussage "A" und die Aussage
>> "nicht A" formulieren, wenn eine von ihnen wahr ist, ist die andere
>> falsch. Was ist dann die Sprache?

> (1) Ich verstehe nicht, was du mir mit dem ersten Satz mitteilen willst.
> (2) Aus dem Stehgreif: Sprache ist ein System audio-visueller
> Begriffs-Symbole.

Die Frage war, ob die Sprache in so einem Fall (meinetwegen auch die
in den Aussagen "A" bzw. "nicht A" verwendeten Begriffe) wahr oder
falsch sind.

>> Empirische Theorien machen Voraussagen über den Ausgang von
>> Experimenten. Zum Beispiel "morgen früh geht die Sonne auf". Ob
>> diese Aussage wahr ist oder falsch, stellt sich morgen früh heraus.
>> Philosophische (metaphysische) Theorien machen hingegen keine solchen
>> empirisch nachprüfbaren Behauptungen.

> Lass uns das mal an einem (von dir gewählten) Beispiel testen.

"Es gibt eine Realität" als philosophische Theorie.  Der berühmte
Stein, der einem Solipsisten auf den Zeh fällt, beweist ihm ja
bekanntlich nichts - er bildet ihn sich ja nur ein.

>> Dies ist Poppers Abgrenzungskriterium zwischen empirischer
>> Wissenschaft und Metaphysik.

> Setzt Popper alle Philosophie mit "Metaphysik" gleich oder nur
> Teilbereiche? Wenn nur Teilbereiche, welche sind für ihn dann
> Wissenschaft?

Also eine Abgrenzung zwischen Metaphysik und Philosophie kenne ich von
ihm nicht.  Er betont aber, was ich für inhaltlich wichtiger halte,
immer wieder die Notwendigkeit von Metaphysik als Bestandteil
wissenschaftlicher Theorien.

>> Unterscheide bitte zwischen wahr und sinnvoll. 1+1=2 ist sinnvoll.
>> Auch Definitionen sind sinnvoll, obwohl sie nicht "wahr" oder "falsch"
>> sind, sondern willkürliche Setzungen. Ich hätte statt der 2 auch ein
>> anderes Symbol für den Nachfolger der 1 verwenden können, sagen wir #.
>> Dann wäre 1+1=#.

> (1) Wofür sollen denn Definitionen "willkürliche Setzungen" sein?? (2) Die
> audio-visuellen Symbole, die Sprache die du für die Kennzeichnung von
> Begriffen (Seiende) verwendest, sind hier kein Thema.

Sie sind notwendigerweise Thema, da es ohne sie nun einmal nicht geht.

> (3) Du hast immer noch nicht die Frage beantwortet, warum ich eine
> Aussage von dir für wahr halten soll, die du nicht einmal selber für
> wahr hältst!

Entschuldigung, ich lege Wert auf die Unterscheidung zwischen
Definition und nichttrivialer Aussage.  Die Definition, den Nachfolger
der 1 mit 2 zu bezeichnen, ist korrekt und sinnvoll. Hat man sich auf
sie geeinigt, ist "2 ist Nachfolger von 1" im Rahmen dieser Einigung
meinetwegen auch eine (triviale) Wahrheit.

> (4) Wenn du "wahr" mit "sinnvoll" ersetzt, das Sinnvolle für dich
> aber nur willkürliche Konvention ist, was hält mich dann davon ab,
> beliebigen Quatsch als "sinnvoll" darzustellen? Wann ist denn etwas
> ~nicht~ sinnvoll?

Das will ich eben keineswegs machen, deswegen ja meine Vorbehalte
dagegen, bei Definitionen von Wahrheit zu sprechen.

In formalen Sprachen hat man es einfacher, da kann man einfach zwei
Zeichen einführen:

"2 =def Nachfolger von 1" ist eine Definition des Symbols '2' ohne
Wahrheitswert,

"2 ist Nachfolger von 1" ist eine wahre Aussage, die direkt aus der
Definition folgt.

>> Falsche Aussagen [sind?] auch sinnvoll. Zumindest ist das der
>> Standardgebrauch des Wortes "sinnvoll" bei den Logikern.

> Dann setzt du also "sinnvoll" mit "widerspruchsfrei" gleich?

Nein, etwas was zu Widersprüchen führt ist falsch.  Aber etwas was
falsch ist ist (nach dem logischen Begriff) sinnvoll.  Wobei der
Begriff "sinnvoll" in der Logik, auf Aussagen bezogen, eine etwas
andere Bedeutung hat als der Alltagsbegriff, aber auch als der Begriff
"sinnvoll" wie ich ihn auf Definitionen beziehe.

> Losgelöst von jeder empirischen Basis, nur die Konsistenz
> verschiedener Aussagen untereinander? Ich brauche dir wohl nicht zu
> erklären, das ein solcher Rationalismus zu realitätsfernen Ideen
> führen kann (wie z.B. Theologie u.ä.  Geisteskrankheiten).

Eine widerspruchsfreie Theorie ist ein wichtiges Konzept.  Nur eine
widerspruchsfreie Theorie kann wahr sein.  Um Teil der empirischen
Wissenschaft nach Popper zu sein, braucht sie aber den Bezug zur
Realität.

>>> (1) Ein Mangel an Eindeutigkeit ist ein epistemologisches Problem,
>>> das keineswegs zu einem grundsätzlichen (oder gar ontologischen)
>>> hochstilisiert werden darf. Wenn du Schwierigkeiten damit hast,
>>> den Wahrheitsstatus einer Aussage zu identifizieren, bedeutet das
>>> nicht, dass dieser überhaupt nicht identifiziert werden kann!

>> Ich habe keine Schwierigkeiten mit ihm.

> Du sagtest doch, du könntest zum (Wahrheits-) Status einzelner Aussagen
> keine klare Position vertreten? Als musst du Schwierigkeiten damit haben,
> seinen Wahrheitsstatus zu identifizieren. Wie kannst du nun behaupten, du
> hättest damit ~keine~ Schwierigkeiten??

Missverständnis, ich habe keine Schwierigkeiten damit, zwischen meinen
persönlichen Problemen, den Wahrheitsstatus einer Aussage zu
identifizieren, und der grundsätzlichen Existenz eines Wahrheitsstatus
dieser Aussage zu unterscheiden.

>> Ich habe eine Theorie, und die ist ein System von Aussagen. Von
>> diesen können einige als Definitionen der Begriffe betrachtet werden,
>> andere sind dann nichttriviale Beziehungen. Welche Begriffe und
>> Aussagen ich als grundlegend (Grundbegriffe, Axiome) und welche ich
>> als abgeleitet (abgeleitete Begriffe, Theoreme) betrachte ist für den
>> Wahrheitsgehalt der Gesamttheorie nicht wesentlich.

> Was willst du mir mit all dem sagen? Meine Aussage war, dass du ein
> epistemologisches Problem zu keinem grundsätzlich unlösbaren
> hochstilisieren darfst. Du bist darauf überhaupt nicht eingegangen.

Ich wollte dir das epistemologische Problem erläutern.  Grundsätzlich
bin ich Realist, die Differenz zum Objektivismus liegt nicht darin.

>>> Und schon gar nicht, dass anderen dieses Recht abgesprochen werden
>>> darf, um damit die eigenen Selbstzweifel zur
>>> allgemeinverbindlichen Norm zu machen.

>> Die Freiheit bei der Auswahl von Axiomen in der Mathematik ist dort
>> allgemein anerkannte, allgemeinverbindliche Norm.

> Mathematik ist zwar eine "Fach-Sprache," aber dennoch eine Sprache,
> die den allgemeinen Denkgesetzen unterworfen ist, die auf Axiomen
> beruhen, die NICHT willkürlich sind! Ich weiß nicht, wie das in der
> Mathematik ist, aber nach meinem Verständnis sind Axiome alles
> andere als willkürliche Setzungen. Wie auch immer die Lage in den
> Spezialgebieten des Wissens aussehen mag, die den Denkgesetzen
> inhärenten Axiome sind fundamentaler.

Vom Status her sind sie willkürliche Setzungen, die sich in
Anwendungen bewährt haben.

>>>> B ist eine wahre Aussage. Person A glaubt daran das B wahr ist.
>>>> Person A vertritt B in einer Diskussion mit Argumenten. A ist
>>>> trotzdem ungewiss darüber ob B richtig ist, und hört sich deshalb auch
>>>> Argumente gegen B aufmerksam an.
>>>> Besteht zwischen diesen Aussagen irgendein Widerspruch?

> JA! (1) Du, der Erzähler weißt, dass B wahr ist. Wenn du jetzt akzeptieren
> würdest, dass B gleichzeitig unwahr ist, bestünde hier ein logischer
> Widerspruch wir er nicht klarer sein könnte: A = ~A.

Tue ich aber nicht.

> (2) A verwendet Argumente, die er für wahr hält (sonst würde er sie
> nicht verwenden). Wenn er seine Argumente gleichzeitig für nicht
> wahr hält, liegt hier ein Widerspruch vor, nämlich der zwischen
> Gewissheit und Zweifel.

Argumente haben die Form C=>B.  C ist eine wahr Aussage, Person A
glaubt daran das C wahr ist, und daher hält Person A die Argumentation
C=>B für ein gutes Argument für die Wahrheit von B.

Da hier nirgends eine Gewissheit bei A vorliegt, liegt hier auch kein
Widerspruch vor.

>> A ist sich weder über B noch über ~B völlig sicher. Eine typische
>> Situation. Er hält, angesichts der ihm bekannten Fakten und Argumente,
>> B für richtig.

> Wie kann er B für richtig halten, und sich darüber gleichzeitig nicht
> sicher sein? Ist dir überhaupt klar, was du da sagst?

Es ist die übliche menschliche Entscheidungssituation.  Du kannst
gerne anstelle der Wortwahl "er hält B für richtig" eine andere
vorschlagen, z.B. "er vermutet B", wenn du findest, "er hält B für
richtig" drücke Gewissheit aus.  Nach meinem Sprachgefühl drückt diese
Formulierung keine Gewissheit aus.

>> Eine völlig übliche Argumentationssituation. Wenn du darauf bestehst,
>> in Argumentationen nur Aussagen zu machen, von denen man sich völlig
>> sicher ist, dann bist du der, der die Bedingungen, die Argumentation
>> in der Praxis überhaupt erst ermöglichen, nicht anerkennt.

> Falsch. Selbst die Aussage, man sei sich nicht sicher, wird mit
> Sicherheit vertreten! Was du versuchst hier mit mir abzuziehen, ist
> ein intellektueller Taschenspielertrick, bei dem du meine Gewissheit
> zu Gunsten deiner Gewissheit reduzieren willst.

Also, wenn ich statt der (unsicheren) Aussage X immer sage "ich
vermute X bin mir aber nicht sicher", wird dies mit der Zeit etwas
lästig, ausserdem bringt es niemandem was.  Abgesehen davon, dass die
interessante Frage ist, ob X gilt, und nicht, was irgendjemand darüber
vermutet.  Entschuldigung, den Hinweis darauf dass man die Aussage
"ich vermute X bin mir aber nicht sicher" mit Gewissheit vortragen
kann ist für mich ein Taschenspielertrick.  Abgesehen davon, dass
der andere sie dir keinesfall mit Gewissheit glauben kann.

> Wenn du damit erreichen willst, dass ich deinen Argumenten gegenüber
> aufgeschlossener bin, dann lass dir versichert sein, dass solche Appelle
> bei mir auf Granit stoßen. Du erzielst damit nur, dass ich misstrauisch
> werde, und mich frage, warum du das wohl nötig hast. Wenn du mich von einer
> bestimmten Position überzeugen willst, dann tue das, was im Diskurs geboten
> ist, nämlich entweder empirische Fakten nachzuweisen oder mit Logik zu
> begründen. Den Psycho-Quatsch lass aber bitte sein.

Ich habe hier überhaupt keine Psycho-Quatsch gebracht.

>> Absolute Gewissheit in der Mathematik ist für mich kein Thema. (Da
>> gibt es auch noch die Möglichkeit des Rechenfehlers, aber die ist
>> philosophisch wenig interessant.)

> Sie ist nicht nur dort kein Thema.  Wenn Sie in der Mathematik
> möglich ist, sehe ich keinen Grund, warum sie nicht auch in anderen
> Gebieten möglich sein sollte.

Dies bringt sie aber keinen Schritt näher.

>>> Warum sagst du dann nicht einfach "ja"? Für jemanden, der behauptet,
>>> für seine Aussagen keinen Wahrheitsgehalt zu reklamieren, dürfte das
>>> doch keinen großen Unterschied machen.

> Darauf hast du übrigens nicht geantwortet. Bitte hole das nach. Die
> Antwort auf diese Frage interessiert mich nämlich brennend!

Eigentlich war das folgende als Antwort gedacht - eine Situation, in
der ich auf Wahrheit meiner Entscheidung nur _hoffen_, sie aber nicht
reklamieren kann, aber die Wahrheit für mich _lebenswichtig_ ist, so
dass ich keineswegs einfach so "einfach ja" oder "einfach nein" sage:

>> Ich stehe halbverhungert vor einer tiefen Gletscherspalte. Die Frage
>> ist, ob ich rüberspringen kann. Ansonsten verliere ich einen Tag,
>> wenn ich sie umgehen muss, was mir mit Wahrscheinlichkeit 1:200 das
>> Leben kosten dürfte. Eine Vermutung, dass ich es schaffe, mit
>> geschätzter Sicherheit von 10000:1, bewegt mich dazu rüberzuspringen.
>> Ich bin nicht völlig sicher, dass ich es schaffe. Aber ich springe,
>> und der Unterschied, den es macht, ob die Aussage richtig ist, ist
>> mein Leben. Ein sehr grosser Unterschied.

> Du bist dir sicher, dass die Wahrscheinlichkeit es zu schaffen 10.000:1
> beträgt. Und auf Grund dieser Gewissheit handelst du.

Nein, dies ist meine grobe Abschätzung.  Wenn ich mir darüber sicher
sein könnte, wäre das Leben verdammt leicht.

>>> Er ist unhintergehbar. Egal was du sagst oder denkst, sagst oder
>>> denkst du, weil du es für wahr hältst.

>> Ich habe ja damit auch gar kein Problem. Natürlich halte ich es (in
>> gewissem Sinne) für wahr, dass ich es schaffe, rüberzuspringen, wenn
>> ich springe. Aber nur insoweit dies nicht im Widerspruch dazu steht,
>> dass ich meine Zweifel habe und mir die Knie zittern, also ohne
>> Gewissheitsanspruch.

> Besteht nun in bezug auf deine Wahrscheinlichkeitsschätzung
> Gewissheit oder Zweifel?

Für die 10000:1 besteht erst recht Zweifel.  Der Mensch ist notorisch
schwach bei der Abschätzung kleiner Wahrscheinlichkeiten.  Kann
genausogut 1000000:1 oder 1000:1 sein, ich habe nichtmal 1000 Sprünge
über eine Spalte dieser Grösse gemacht um dies empirisch beurteilen zu
können.

>>> (3) Welcher hypothetische Imperativ?

>> Die Regeln, die die Transzendentalpragmatiker herleiten, können
>> immer nur die Form haben "Wenn du mit anderen Menschen reden
>> willst, dann ...", sie sind somit hypothetische (an Ziele
>> gebundene) Imperative.

> Das geht viel tiefer. Wie das in Apels Transzendentalpragmatik
> aussieht, müsste ich zwar erst nachschauen, aber die Gültigkeit
> dieser Gesetze erstreckt sich nach meiner Auffassung nicht nur auf
> die interpersonale, sondern auch auf die intrapersonale
> Kommunikation, also auch das Denken.  Das Denken ist ja ein
> "sprechen mit sich selbst." Außerdem ist mir "hypothetisch" hier zu
> schwach. Ich würde "konditional" bevorzugen, weil es sich um eine
> definitive Ursache-Wirkungs-Feststellung handelt, die erwiesen ist.

"Hypothetische Imperative" stammt von Kant, ansonsten meinetwegen auch
konditionale.

>> Der Transzendentalpragmatismus. Er ist ja an die Hypothese
>> gebunden, dass ich mit jemandem kommunizieren will. Handeln (und
>> damit mehr oder weniger ethisch handeln) und Vermutungen über die
>> Realität (empirische Regeln) aufstellen muss ich aber auch als
>> einsamer Schweiger.

> Als einsamer Schweiger denkst du aber! Wenn die angebliche
> Nichtanwendbarkeit auf die intrapersonale Kommunikation dein
> einziges Argument gegen die von mir universal verwendete Regel des
> Transzendentalpragmatismus ist, dann kannst du damit meine
> Letztbegründung ethischer Regeln nicht aushebeln. Tut mir echt
> leid. Sieht nicht gut aus für dich.

Warte mal, die Begründung ethischer Regeln haben wir ja schon auf die
empirische Wissenschaft zurückgeführt.  Schliesslich muss man, wenn
man die optimale (=ethische) Strategie herausbekommen will, eine
Theorie über die reale Welt zugrundelegen.

Du darfst also erstmal die absolute Wahrheit für die empirische
Wissenschaft herausfinden, und da sieht es sehr schlecht für dich aus.

>>> Ich dachte, mit empirischen Aussagen hättest du keine Probleme?

>> Nein, Probleme habe ich nur mit der Behauptung, es gäbe für
>> empirische Hypothesen Letztbegründungen.  Eine Letzbegründung
>> (durch die Notwendigkeit, auch unter Bedingungen der Unsicherheit
>> zu handeln, um zu überleben) könnte man höchstens in der Richtung
>> erwarten, dass wir empirische Hypothesen aufstellen und dann
>> handeln als ob sie wahr wären, auch ohne irgendeine Sicherheit zu
>> haben dass sie wahr sind. Aber selbst dafür hielte ich
>> "Letztbegründung" für eine Anmaßung.

> Wie gesagt, du stellst implizit eine Wahrscheinlichkeitsberechnung auf,
> derer du dir nicht anders als gewiss sein kannst.

Nichts liegt der Realität solcher Überschlagsrechnungen (wenn man sie
überhaupt explizit durchführt) ferner.

>> Dann hätte ich mir einen erheblichen Schnitzer geleistet. Er selbst
>> _ist_ eine philosophische Theorie, aber er _betrifft_ empirische
>> Theorien.

> Und als philosophische Theorie beansprucht er für sich das, was er
> empirischen Theorien abspricht?

Ja. 

> Ich vermag immer noch keinen grundlegenden Unterschied zwischen
> empirischen und philosophischen Theorien hinsichtlich ihres
> Realitätsbezugs zu erkennen. (Der eigentliche Unterschied scheint
> ein lediglich gradueller zu sein, der im variierenden
> Abstraktionsgrad begründet liegt.)

Nein, der Unterschied liegt darin, dass die empirische Theorie durch
ein Experiment morgen falsifiziert werden kann, während dies bei
philosophischen Theorien nicht der Fall ist.

> Wenn diese Unterscheidung, wie ich annehme, nicht wesentlich ist,
> dann fällt Poppers Skeptizismus letztlich auf sich selbst zurück.

Sie ist aber sehr wesentlich.

>> Man kann ihn nicht mit Sicherheit feststellen. Trotzdem kann man sie
>> (mit Vorbehalt) für wahr halten.

> Man kann sich also sicher sein, dass man etwas mit Vorbehalt für
> wahr hält.

Meinetwegen.  Man kann meinetwegen mit Sicherheit Aussagen über
persönliche Gefühle treffen.  Damit hast du aber lediglich eine sicher
Aussage über dein persönliches Gefühl der Theorie gegenüber.

>> Auf jeden Fall empfehlenswerte Lektüre. Kuhn und Feyerabend sind auch
>> interessant, wobei du Feyerabend sicherlich sofort verwerfen wirst,
>> und Kuhns Schlussfolgerungen wohl auch. Aber Kuhns Beobachtungen
>> solltest du ernst nehmen - sie treffen zu.

> Kein Interesse an postmodernem Gedankengut. Die knappe Zeit die ich
> habe, verwende ich lieber auf sinnvollere Lektüre.

Nochmal, auch wenn Kuhns Schlussfolgerungen z.T. zu weitgehend sind,
sind Kuhns Beobachtungen sehr sinnvoll. 

>>> (Im übrigen muss ein Widerspruch nicht offensichtlich sein, um zu
>>> existieren.)

>> Richtig. Und das ist halt der Restzweifel, der bei mir auch an
>> Poppers Philosophie bestehen bleibt.

> Gibt es eigentlich etwas, woran du ~nicht~ zweifelst?

Ich halte sehr vieles für mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit wahr, und habe nicht vor, all diese vielen Sachen
irgendwann einmal zu bezweifeln, also auch nur eine Sekunde darauf zu
verschwenden, darüber nachzudenken, ob sie auch falsch sein könnten.

Nur, ich leiste mir einen generellen skeptischen Vorbehalt.  Wenn
jemand mit wirklich guten Argumenten dagegen kommt, und es ihm
gelingt, mein Interesse zu wecken, behalte ich mir vor, jedes einzelne
zu bezweifeln.  Praktisch ist dieser Vorbehalt wenig wesentlich.

>>> Da für mich Ethik und Rationalität beinahe gleichbedeutend sind,
>>> könnte man hier sehr wohl von einer "akontextuellen Ethik" sprechen.

>> Fein. Dann besteht auf der ethischen Ebene also prinzipielle
>> Übereinstimmung, die lediglich getrübt wird durch die
>> Nichtübereinstimmung was die Naturwissenschaft betrifft.

> Welche Übereinstimmung auf der ethischen Ebene??

Dass man, wenn man von den Interessen des Individuums ausgeht, und
nach der Strategie handelt, mit der man diese Interessen optimiert,
ethisch handelt.

> Welche Nichtübereinstimmung, was die Naturwissenschaft betrifft??

Dass man für Voraussagen naturwissenschaftlichen Inhalts Gewissheit
erhalten könne.

>>> Die Interessen dieser Gene ~müssen~ deine sein,

>> Nur kannte der Programmierer nicht die Umgebung, ich der ich lebe,
>> sondern hat seinen Code eher für die Horde im Urwald geschrieben,
>> zweitens ist der Code fehlerhaft, drittens kann ich Fähigkeiten, die
>> mir einprogrammiert wurden, auch missbrauchen - also mir Eudämonie auf
>> eine Art und Weise verschaffen, die den Interessen des Programmierers
>> widerspricht.

> (1) "Der Programmierer" ist die Umwelt des Organismus, deine Umgebung, in
> der du lebst.

Ich meinte hier die Gene.

> (2) a) Es stimmt schon, dass der Code etwas schwerfällig ist,
> andererseits bringt der des Menschen ein recht gutes
> Anpassungsprogramm hervor, nämlich das Vernunftvermögen. b) Wenn du
> sagst "fehlerhaft," musst du auch sagen, in bezug auf welche
> Aufgabe.

Die "Aufgabe" ist klar - möglichst weite Verbreitung von Kopien der
Gene.

> (3) Prinzipiell stimmt auch das. Diese Irrationalität wird
> üblicherweise durch eine fehlerbehaftete Repräsentation der Realität
> ("Pseudo-Philosophie") verursacht, die nicht immer durch interne
> Funktions-Störungen verursacht wurde, sondern -- noch häufiger --
> durch sozial introjezierte Ideologien konkurrierender Codes.

Eine andere Frage, um die es nicht geht.  Mein Verhalten, beim
Seitensprung Kondome zu benutzen ist rational, ich kriege meine
Eudämonie ja ab.

>> Klar. Aber wenn ich (als Mann) einen Seitensprung mache, habe ich
>> dabei nicht vor, der Strategie der kontrollierten Empfängnis zu
>> folgen.

> Deine bewusste Absicht zielt immer lediglich auf die Maximierung von
> Eudämonie ab, und nicht darauf, was damit biologisch bezweckt werden
> soll.  Dein Organismus will sich immer nur die "Eudämonie abholen,"
> und auf welche Weise er das tut, hangt von der Programmierung des
> Unterbewusstseins ab.  Das was dir Spaß macht, kann nach meiner
> Feststellung in (3) rational oder irrational sein.

Wenn ich beim Seitensprung Kondome benutze, handle ich rational.  Vom
Standpunkt meiner Gene handle ich aber schlecht, ich verbreite sie
nicht.

>>> Eudämonie ist die Belohnung für biologisch sinnvolle Verhaltensweisen.

>> Mit "biologisch sinnvoll" habe ich erhebliche Bauchschmerzen. Für
>> meine konkreten Gene sinnvoll - vielleicht. Für die Gene der
>> Konkurrenz eher schädlich.

> Durch den Selektionsprozess kann nur eine Strategie überlebt haben:
> dass dich als Individuum immer nur ausschließlich das
> transpersonelle (!)  Fortbestehen ~deines eigenen~ Codes
> interessieren soll -- d.h., nicht nur durch deinen, sondern auch
> durch den Körper deiner Nachkommen.

Die Weiterverbreitung meiner Gene interessiert mich aber nicht,
sondern nur das Vergnügen, was mir meine Gene dafür geliefert haben,
dass ich gewisse Seitensprünge begehe - wobei die armen Gene zu ihrem
Pech nicht in der Lage waren, mich von der Kondombenutzung abzuhalten.
Ihr Pech - sie werden sich weniger weiter verbreiten, mir egal.
Andere Gene haben mehr Glück, ihre Träger fangen sich aber nach der
siebenten weiterverbreiteten Kopie AIDS ein und krepieren kläglich.

Und du willst mir erzählen, ich handle irrational und diese armen
Idioten rational?

>> Wir könnten uns darauf einigen, dass es prinzipiell unmöglich ist,
>> dies abschliessend zu beurteilen ;-).

> Das sehe ich anders. In einem determinierten Universum ist das
> prinzipiell möglich. Hier unterscheidet sich meine Auffassung von
> der Sciabarras.

Da macht dir schon die Wettervorhersage einen Strich durch die
Rechnung (auch "deterministisches Chaos" genannt).

>> Ich hatte ja mit meinem Stirner-Artikel auf einen Artikel von Bernd
>> A. Laska (ef Nr. 11 (2000)) geantwortet, indem er schreibt:
>> ------------
>> Meine Anfrage beim Ayn Rand Institute über ein evtl. doch irgendwo
>> überliefertes Urteil Rands über Stirner erbrachte eine leicht
>> indignierte Antwort von Harry Binswanger, einem ehemals engen
>> Mitarbeiter Rands und jetzigen führenden Vertreter der Rand'schen
>> Lehre des Objektivismus: Mit Stirner, der letztlich sogar den Mord
>> gerechtfertigt habe, habe Rand nichts zu tun haben wollen.
>> ------------
>> Da wundert es mich, von einem Verteidiger des Objektivismus zu hören,
>> er habe eigentlich nur ein paar Selbstverständlichkeiten klarstellt.

> Meinst du mich? Ich bezeichne mich zwar als Objektivisten, mein
> Objektivismus ist aber nicht der Objektivismus Ayn Rands, sondern eben
> meiner. Die Grundannahmen des Objektivismus teile ich aber dennoch mit den
> Amerikanern. Es gibt in bezug auf seine Weiterentwicklung noch sehr viel zu
> tun. Stehst du mit Bernd Laska in Kontakt? Sein LSR-Projekt ist mir
> sympathisch.

Mir auch, aber Kontakt habe ich nicht.

>>> Mir geht es ja auch um den umgekehrten Weg, um die ~fundamentalen~
>>> Werte und Prinzipien, aus denen sich solche nachrangigen Werte oder
>>> Ziele erst ableiten lassen.

>> Ich denke "fundamental" bleiben all die verschiedensten Ziele übrig,
>> die unsere Gene uns einprogrammiert haben, in der Hoffnung, wir
>> würden, diesen Zielen folgend, ihrem Vervielfältigungsinteresse
>> folgen.

>> Das eine Fundament, auf das zu meine Ziele zurückführen kannst, ist
>> also das Ziel meiner Gene zur Vervielfältigung. Punkt.

> Etwas genauer: Das eine Fundament, auf das ich deine rationalen Ziele
> zurückführen kann, ist das Ziel deiner Gene zur Vervielfältigung. Das eine
> Fundament, auf das ich deine irrationalen Ziele zurückführen kann, ist das
> Ziel ~fremder~ Gene zur Vervielfältigung. Darin hat unser ökonomische
> Klassenkampf und die ganze Klassendynamik ihren Ursprung.

Du erkennst also den Unterschied zwischen den mir einprogrammierten
Zielen (wie u.a. Seitensprünge) und dem Ziel meiner Gene zur
Vervielfältigung immer noch nicht an? 

Meine Kondombenutzung ist rational - aber nur für mich, aber nicht für
das Vervielfältigungziel meiner Gene.  Fremde Programme sind dabei
irrelevant.

>> Nun, die "fundamentalsten" Ziele, die wir gerade am einen Ende der
>> Skala festgestellt haben, und die nur noch mit Biologie erklärt werden
>> können, haben keinerlei ethische Wertigkeit. Daher ziehe ich es vor,
>> sie einfach "Interessen" oder "Ziele" zu nennen, aber nicht "Werte"
>> oder "Tugenden".

> Meinetwegen. Die Begriffe müssten in der Tat besser abgegrenzt werden
> (weshalb ich auch immer auf klare Definitionen poche). Mit der ethischen
> Wertigkeit irrst du aber.

Mein Interesse an einem Seitensprung hat also einen ethischen Wert?
Nunja, wenn du es so nennen willst, nenne dieses Interesse meinetwegen
ethisch.  Ich nenne andere Fragen ethisch - z.B. dass ich dabei
Kondome benutze, dass ich meiner Frau kein falsches Treueversprechen
gegeben habe usw. usf.

>> Hier nochmal ein wichtiger Unterschied: Soziobiologie _erklärt_ mir,
>> warum ich liebe und hasse. Sie _begründet_ mir jedoch nichts im
>> ethischen Sinne. Denn ich habe nicht das Ziel, meine Gene zu
>> verbreiten, s.o.. Ich verliebe mich und habe dann das Ziel, mein
>> Liebesobjekt glücklich zu machen. Und darauf, dass dies für die Gene
>> nur Mittel zum Zweck, Sex zu machen und sich zu kopieren, ist, pfeife
>> ich.

> Wenn dich die ausgesetzte Belohnung interessiert, solltest du die
> Regeln kennen, nach denen sie verteilt wird. Außerdem verstehe ich
> den Unterschied nicht, den du zwischen "Erklärung" und "Begründung"
> zu sehen meinst.

Mit der Erklärung des Bedürfnisses nach einem Seitensprung bin ich
zufrieden. Aber wenn ich vor einer Entscheidung stehe, ob ich nun
einen Seitensprung begehen soll oder nicht, ist diese Erklärung völlig
irrelevant.  Sie kann mir nichts begründen, sie ist kein relevantes
Argument, den Seitensprung zu begehen, wenn er anderen meiner
Interessen entgegensteht.

>> In dieser Situation ist mein Bestreben, mein Liebesobjekt glücklich
>> zu machen, ethisch genauso wertfrei wie mein Hunger. Es ist einfach
>> mein Interesse.

> Wen meinst du damit, wenn du sagst, "mein Interesse"? Spaß zu haben
> ist nur ein psychologisches Interesse, dem genetische zu Grunde
> liegen.

Ja, nur sind die zugrundeliegenden evolutionsbiologischen Interessen
meiner Gene eben nicht meine Interessen.

>> Die ethischen Werte und Tugenden entstehen eher am anderen Ende der
>> Skala - als Ethik/Rationalität unter vorgegebenen Zielen. Und dort,
>> im Rahmen fixierter Ziele, können wir in aller Ruhe auch die Werte &
>> Tugenden nach ihrer Priorität ordnen - je nachdem welche Ordnung
>> die bessere Strategie liefert.

> Am Ende welcher Skala? Ich verstehe dich nicht. Die Werte und Tugenden
> müssen ~durchgehend~ nach ihrer Priorität geordnet werden! Sie existieren
> nicht im Vakuum, sie sind nicht losgelöst von fundamentaleren (fixierten)
> Zwecken, sondern stehen mit ihnen in einem untrennbaren Zusammenhang.

Vom "fundamentalen" Zweck der Genverbreitung sind ethische Fragen
völlig getrennt. 

>>> Um darauf etwas sagen zu können, müsstest du mir zuerst
>>> klarmachen, was es denn ist, was du nicht wünschst. Ich kann keine
>>> Gedanken lesen.

>> Nein, meine Wünsche kann ich auch geheimhalten, und so tun als wäre
>> dies alles nur ein ganz altruistischer guter Rat. Dir können meine
>> Wünsche auch egal sein, du hörst meine Argumentation, dass du deine
>> Zwecke nicht erreichst, wenn du XYZ tust, und, wenn dir die Argumente
>> einleuchten, und du diese Zwecke wirklich hast (was ich nur vermuten
>> kann), wirst du XYZ nicht tun. Und ich bin zufrieden.

> Aha. Du hast also keinen Durchblick.

Stellt sich hinterher heraus - wenn du die für mich unangenehme
Handlung XYZ nicht begehst, weil mein Argument dich davon abgehalten
hat, hatte ich genügend Durchblick um optimal zu handeln.

> Vielleicht solltest du dich einfach locker machen, und erst einmal
> versuchen zu verstehen was ich tue, bevor du entscheidest, ob auch
> ein legitimierbarer Grund zur Durchkreuzung besteht.

In der Situation dieses Gedankenexperiments eben nicht.

>> Und ansonsten hat Stirner keine Ethik vorgeschlagen, sondern den
>> Status von Ethik klargestellt. Ethik steht in der Priorität unter den
>> Launen.

> Wenn du Ethik als Identifikation von optimalen Zweck-Mittel-Beziehungen
> begreifst, wirst du sehen, dass es sich hier nicht um eine "Un-Ethik"
> handelt, sondern um eine akontextuelle, auf Emotionalismus beruhende Ethik,
> die trotz ihrer Irrationalität dennoch eine Ethik ist. Du kannst der
> Notwendigkeit zu werten, und damit so etwas wie eine Ethik zu haben, nicht
> entfliehen.

Stirner wertet ja auch - er macht auch gar keinen Hehl daraus.  Nur
wertet er nicht als "böse" sondern "dumm".

>> Wenn ich meinen Launen untereinander Prioritäten zuschreibe, ist dies
>> prinzipiell nichts anderes als eine Laune.

> Nein. Das ist der erste Schritt zu einer kontextuellen, voll integrierten
> Ethik. Wenn du nicht tiefer gehst, bleibt das natürlich alles von seiner
> Basis abgetrennt.

Grosse Worte, nichts dahinter.

>> Sie sind auch in ihrer Wurzel verschieden genug. Schon die
>> Unterschiede zwischen Mann und Frau sind erheblich.
>
> Evolutionär stabiler Code ist auf seiner fundamentalsten Ebene
> gleichförmig, egal welchen Organismus welcher Spezies oder welchen
> Geschlechts er auch benutzt. Die Geschlechtsidentität bestimmt dabei einige
> tief wachsende Äste der Wertestruktur, das ändert aber nichts an der mit
> dem Abstraktionsgrad zunehmenden Gleichförmigkeit aller Werte. Trotz
> individuell ausgeprägter Oberfläche, bleibt der Kern immer gleich.

Der "gleiche Kern" ist das Interesse an der Kopie der Gene.  Das ist
alles.  Die Strategien dazu (und damit das, was mit Eudämonie belohnt
wird) sind verschieden.  Und damit ist der Satz von Bedürfnissen,
deren Erfüllung Eudämonie ergibt, extrem verschieden.

>> Angesichts der Komplexität der Strategien innerhalb einer Art,
>> man beachte insbesondere auch Falken/Tauben-Gleichgewichte etc.,
>> sehe ich keinen Grund dafür.

> Keinen Grund wofür?? Für den "gemeinsamen Nenner"?

Ja.

> Bedenke, dass ich von sehr, sehr fundamentalen Zielsetzungen
> spreche, wenn ich von den allen Lebewesen gemeinsamen
> "Kern-Verhaltensweisen" spreche.

Ja.  Trotzdem ist dies bei verschiedenen Individuen sehr verschieden
ausgelegt.

>>> Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann ist es die Existenz von
>>> böswilligen Gegenabsichten, auf welche Weise sie sich in konkreten
>>> Falle auch immer manifestieren werden.

>> Tja, die Existenz schon. Aber welche Strategie genau wählt der andere
>> nun?

> Ohne mich jetzt genau darüber auszulassen; man kann Strategien
> wählen, die die gegnerische Strategie immer für sich arbeiten
> lassen, ohne dass deren Details von Bedeutung wären.

Schön wäre es, wenn es solche gäbe.  Aber jede Strategie kann auf ihre
eigene Kopie treffen.  Dann klappt das "die anderen für sich arbeiten
lassen" nur wenn man selbst auch für sie arbeitet.

>>> Das sehe ich nicht so. Ein voll integriertes System der Ethik ist
>>> auf jeden Fall möglich und notwendig, und es wird keineswegs so
>>> primitiv sein, lediglich aus der Goldenen Regel zu bestehen. Den
>>> Wettbewerbsvorteil hat der, dessen Ethik logischer und
>>> differenzierter ist.

>> Dass es mehr gibt als nur die Goldene Regel ist mir auch klar. Nur
>> haben wir ja in der Diskussion schon festgestellt, dass selbst die
>> Anwendbarkeit der Goldenen Regel von Annahmen über die Umwelt
>> (insbesondere über unser Kräfteverhältnis) abhängt, und du warst der,
>> der ihren Anwendungsbereich für kleiner hielt als ich.
>> Insofern sehe ich hier einen gewissen Widerspruch.

> Wessen "ihren Anwendungsbereich"? Den der Goldenen Regel?

Ja.

> Zu was besteht hier der Widerspruch bitte?

Zu deinem voll integrierten System der Ethik, welches die Goldene
Regel und noch viel mehr enthält.  Normalerweise haben komplexere
Strukturen geringere Anwendungsbereiche.

>>> Ich verstehe die Frage nicht. Meinst du die vorgebliche
>>> Möglichkeit einer Gleichzeitigkeit sich nicht vertragender
>>> Bewertungen?

>> Na sicher. Wenn dies nicht möglich wäre, also alles was rational
>> wäre immer konstruktiv, wäre die Verwendung von zwei Worten für ein
>> und dasselbe ja Verschwendung.

> Nein. Du musst solche Bewertungen immer im Kontext betrachten: Rational für
> wen oder was? Konstruktiv wofür? Wenn du alle Bewertungen -- so wie es sein
> sollte -- nach (dem) einen Endzweck ausrichtest, wird es niemals
> Widersprüche geben. D.h. das Richtige wird nützlich sein, das Nützliche
> rational, das Rationale konstruktiv, und schließlich das Konstruktive gut
> (in Bezug auf X).

Bestreite ich.  Das Optimum wird immer den Charakter eines
Kompromisses haben, bei dem einige Wünsche unerfüllt bleiben.  Die
Widersprüche sind in der optimalen Lösung klar erkennbar und auch
beschreibbar.

>> Die im Prinzip anwendbaren ethischen Regeln (z.B. die Goldene
>> Regel) sind nur Faustregeln, müssen dahingehend betrachtet werden,
>> ob sie in der konkreten Situation wirklich optimale Strategien
>> bringen.  Erst recht gilt dies für Prioritätsregeln zwischen
>> verschiedenen ethischen Regeln.  Logische Hierarchien dürften hier
>> nur eine geringe Rolle spielen.

> Ganz im Gegenteil. Wenn ich deine etwas unklare Aussage richtig
> gedeutet habe, behauptest du, Strategien (Tugenden) ließen sich
> nicht hierarchisch ordnen. Das ist falsch, weil immer einige
> abstrakter, fundamentaler (wichtiger) oder umfassender sind, als
> andere. Prinzipien und Strategien haben z.B. einen Vorrang vor
> Regeln oder Taktiken. Dir ist sicherlich das Sprichwort bekannt,
> dass die Priorität eines gewonnenen Krieges vor dem der gewonnenen
> Schlacht feststellt.

Ich wollte eher darauf hinweisen, dass die Hierarchien zwischen ihnen
noch weniger universell sind als die Regeln selbst.

>> Richtig, nur war dies nicht die Frage. Es ging um das Potential der
>> Gegenwehr heute. Bin Laden ist zwar reich, aber die Kosten für den
>> Anschlag liegen im Bereich von ein paar Millionen, und Millionäre gibt
>> es genug auf der Welt. Auf der anderen Seite steht die Supermacht
>> überhaupt. Das Sanktionspotential war trotz dieses extremen
>> Missverhältnisses offensichtlich da. Darum ging es mir.
>
> Okay. Eine Supermacht wird langfristig fast immer stärker sein, als eine
> kleine miese Terroristenbande. Es ist mir entfallen: wie sind wir noch
> einmal auf dieses Thema gekommen?

Die Frage war, ob die Goldene Regel anwendbar ist, wenn grosse
Machtunterschiede bestehen.  Meine These war, dass auch bei extremen
Machtunterschieden normalerweise ein Sanktionspotential des
Schwächeren besteht, und in diesem Fall die Goldene Regel Vorteile
bringt, auch für den Stärkeren.

Bin Laden war Beispiel für das Sanktionspotential Schwächerer heute.

>> Du verwechselst immer wieder die Möglichkeit, auf den Protest zu
>> scheissen, mit der Frage, ob es optimal ist, auf den Protest zu
>> scheissen.
>> Es ist sicherlich möglich, 70 Jahre lang auf die Wünsche aller Bürger
>> zu scheissen, hat die SU bewiesen. Nur optimal war es kaum.
>
> Wir sprechen hier immer von Netto-Gewinnen und Netto-Verlusten, vom
> Langfristigen und über Prinzipien. Du wirfst alles mögliche in einen Topf,
> ohne ausreichend zu differenzieren. Wenn in deinem Beispiel das Volk der SU
> die Macht hatte, das Sowjet-Regime zu kippen, dann war es eben stärker.

Die hatte es ja nicht.

> Dass es seine Stärke nicht früher eingesetzt hat, bedeutet nicht, das es
> schwächer war, sondern, dass es Opfer seines falschen Bewusstseins gewesen
> ist. Das tatsächliche Machtverhältnis und die tatsächlichen
> Interessengegensätze wurden durch eine Ideologie verschleiert.

Falsch. Die Ideologie hat den Leuten eingeredet, es wäre ihre Macht,
aber sie wussten sehr wohl, dass es nicht ihre Macht ist.  Es war die
diktatorische Macht der KP.  Sie hat auf die Interessen der Massen
geschissen, _konnte_ das weil sie stärker war.

Die Massen haben sich mit ihrem Sanktionspotential gerächt.  Faulheit
am Arbeitsplatz, Diebstahl, Korruption.  Amerika hat die Interessen
seiner Bürger weitaus eher berücksichtigt, und wurde daher auch nicht
durch seine Bürger abgestraft.  Ob die amerikanische Regierung es
gekonnt hätte, so zu handeln wie Stalin, ist eine andere Frage.  Fakt
ist, dass so zu handeln wie Stalin eben langfristig keine erfolgreiche
Strategie ist.

>>> Das hat nichts mit ethischen Prinzipien (im herkömmlichen Sinne)
>>> zu tun, sondern mit volkswirtschaftlichen. Dass westlichen Staaten
>>> über mehr finanzielle und militärische Ressourcen verfügen, hat
>>> zwar etwas mit "Kapitalismus," nicht aber mit Rechtsstaatlichkeit
>>> zu tun.

>> Nein, es hat viel mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.

> Ich benötige schon eine Begründung, um dein Urteil als wahr
> anerkennen zu können. Mit einem "nein" ist es bei mir nicht
> getan. Führe dir Beispiele wie Singapur vor Augen.

Ich schrieb nichts von Demokratie.  Mit der Situation in Singapur was
Rechtsstaatlichkeit betrifft bin ich nicht sehr vertraut.
Rechtsstaatlichkeit hat schon von vornherein viel mit Kapitalismus zu
tun, weil Nicht-Rechtsstaaten sich fast immer am Eigentum ihrer Bürger
vergreifen und sich daher Kapitalismus kaum frei entwickeln kann.

>>> Es gibt für die Maximierung der Staatseinnahmen einen optimalen
>>> Steuersatz, der eben nicht 90% beträgt.
>>
>> Klar.

> Und der Staat der das erkannt hat, wird seine Finanzlage und damit seine
> militärischen Möglichkeiten verbessern können.

Richtig. Und es gibt für die Maximierung von Sicherheit auch optimale
Strafen, Prozessordnungen etc, die eben nicht in 25 Jahren GULAG für
einen politischen Witz ohne Gericht bestehen. 

>> Aber die erste Frage ist doch, ob es überhaupt optimal für ihn ist,
>> mich zu bekämpfen.

> Das könnte in der Tat eine sehr ungünstige Haltung sein, die aber auch
> nicht notwendig werden muss. Jemanden zu bekämpfen, der sich für die
> Wahrheit entschieden hat, kommt langfristig immer einem Selbstmord gleich.
> Diese Erfahrung hat die Kirche in der Vergangenheit machen müssen.

Ich biete ihm von vornherein eine Kooperation an, mit der er leben
kann.  Der einzige Grund, darauf nicht einzugehen, ist der IMHO
irrationale Glauben, dass mein Modell nicht funktioniert.

>>>>> Es ~kann~ für den Stärkeren durchaus rationaler sein, die Kosten
>>>>> einer Kooperation einzusparen, und sich gleich einfach das zu
>>>>> nehmen, was er will. Verstehst du mich?
>>>>
>>>> Ich verstehe dich. Im Prinzip kann es das, und es gibt durchaus
>>>> Situationen in denen es auch so ist. Und in diesen Situationen wäre
>>>> es dann auch ethisch gerechtfertigt, so zu handeln.
>
>> Der Unterschied in diesem Teilthread ist IMHO lediglich die graduelle
>> Frage -- ist in _typischen_ Situationen eines Machtungleichgewichts
>> die Anwendung der Goldenen Regel für den Stärkeren rational oder nicht?
>
> Das bezweifele ich, und sogar du selbst hast mir dabei recht gegeben: siehe
> oben!

Ich sehe keinen Widerspruch - oben steht "im Prinzip", unten steht
"typische Situation". 

>> Prinzipiell bleibt wohl hauptsächlich die IMHO bei dir fehlende
>> Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Optimum als Problem.

> Willst du damit einen Nebenkriegsschauplatz eröffnen?

Nicht unbedingt. 

>> Es ist diese Commitment-Strategie, die das Problem für die vielen
>> einzelnen Schwachen gegen den Staat ist, nicht die fehlende oder zu
>> geringe Reaktionsmöglichkeit.

> Viele einzelne Schwache könne sich zu einem großen Starken verbünden
> und die gleiche Strategie fahren.  Oder Einzelne können ihre
> Commitment-Strategie bis auf Äußerste eskalieren (wie wir gesehen
> haben), mit der demokratische Staaten nicht mithalten können.

Einigkeit.

> Langfristig müsste sich aber Wahrheit und Aufklärung gegenüber Lüge
> und Konformismus durchsetzen.

In einer Demokratie sehe ich da wenig Hoffnung.  Der demokratische
Wahlkampf leidet am Problem der rationalen Ignoranz: für den Einzelnen
lohnt es sich nicht, sich über das beste Wahlprogramm Gedanken zu
machen, da seine Stimme sowieso nichts entscheidet.  Und selbst wenn,
hat er von seiner Leistung nur einen 1:80Mio Anteil am geschaffenen
Nutzen, also ein klassisches common good problem.

>> Nimm an, du leitest auf komplizierte Weise eine Strategie ab, die sich
>> in einer einfachen Regel formulieren lässt. Diese einfache Regel
>> zu befolgen schaffen auch Dumme, dem Beweis zu folgen nur wenige.
>> (das sind ja die ethischen Regeln alle).

> Das ist mir zu abstrakt. Kannst du ein Beispiel anführen?

Nimm unsere lange Diskussion zur Frage, wann die Goldene Regel
rational anwendbar ist.  Die Regel selbst kann jedes Kind auswendig.

>>>> Nein, dass Kooperation Vorteil bringt, kannst du als Definition
>>>> von Kooperation nehmen.

>>> Es ist nicht die Frage, ob Kooperation Vorteile bringt, sondern,
>>> ob sie die im Vergleich zu anderen Strategien ~größten~ Vorteile
>>> bringt.

>> Einverstanden.

> Fantastisch! Dann wirst du ja deine Verabsolutierung des
> Kooperations-Gebots bald fallen lassen. Warum dauert das bei dir nur
> so lange?

Ich habe nie was verabsolutiert, schon gar nicht ein
Kooperations-Gebot.  Du solltest aus dem oberen Teil wissen, dass ich
nichts vom Verabsolutieren meiner Meinungen ausserhalb von Mathematik
halte.

> Schönes Zitat zum Schluss: "Die Wahrheit ist absolut und objektiv. Wäre sie
> es nicht, könnten wir uns niemals irren. Dann wären unsere Irrtümer genauso
> gut wie unsere Wahrheiten." (Popper, Sir K.R. "Alles Leben ist
> Problemlösen")

Sehe ich auch so.

Ilja
--
I. Schmelzer, <ilja@ilja-schmelzer.net> , http://ilja-schmelzer.net

 

 

#8 (06.11.01)

Objektivismus.de > Schmelzer

 

> > Du meinst, Gewissheit über den (zukünftigen) Ausgang von Experimenten
kann
> > nie und nimmer möglich sein? Das stimmt nicht. Es kann z.B. Gewissheit
> > darüber bestehen, dass der Ausgang eines bisher noch nie getätigten
> > Experiments offen ist.
>
> Sowas läuft für mich eher unter Wortspielereien.

Wenn du dir nicht sicher bist, ob das lediglich Wortspielereien sind oder
nicht, lass dir durch mich an dieser Stelle versichert sein, dass das
definitiv nicht der Fall ist!


> > Oder darüber, dass die Reproduktion des Ergebnisses eines bereits
> > mehrfach getätigten Experiments mit Sicherheit (oder mit an
> > Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) gelingen wird.
>
> Mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit habe ich kein
> Problem. Es ist jedoch eine Phrase - denn es gibt keinen, der diese
> Wahrscheinlichkeit ausrechnen könnte, zumindest nicht mit Sicherheit.

Man kann alles mit Sicherheit ausrechnen, auch die empirisch festgestellten
Standardabweichungen um einen Wert herum. Diese Phrase könnte z.B.
bedeuten: Gewissheit, dass die Wahrscheinlichkeit 99,75% +/- 0,25% beträgt.


> > Worauf sich die verschiedenen Skeptizismus-Varianten auch immer
> > beziehen, sie haben alle gemeinsam, dass sie die Möglichkeit der
> > Gewissheit über zumindest einen Teilbereich der Existenz
> > bestreiten... und zwar mit Gewissheit.
>
> Wie wärs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit?

Von mir aus auch die Gewissheit über die an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit. Das Element der Gewissheit kannst du im Denken aber nie
entfernen, höchstens zurückdrängen. Bleiben wird es dennoch immer, auf
welcher Ebene das auch immer sein wird.


> >> Inwieweit Konventionen wahr oder falsch sein können ist mir völlig
> >> unklar.
>
> > Indem die Theorien, auf denen sie beruhen, wahr oder falsch sind.
>
> In der Mathematik nennt man Definitionen in Fällen, in denen sie auf
> falschen Theorien beruhen, inkorrekt.

Wie nennt man dann Definitionen, die auf wahren Theorien beruhen?
"Korrekt"? Wenn etwas nicht korrekt ist, muss es im Gegenzug dazu etwas
geben, was korrekt ist. Oder worauf wolltest du damit hinaus? Etwa, dass
man zwar immer sagen könne, etwas sei unwahr, nie aber, es sei wahr??
Sticht dir denn die Absurdität dieser Auffassung nicht sofort ins Auge?


> >> Wie soll ich einer Sprache das Attribut "Wahrheit" zuordnen?
>
> > Einer "Sprache" selbst nicht, aber den Begriffen, die sie
repräsentiert.

[Diese Unterscheidung ist wichtig. Du kannst nicht sagen, ein Label sei
falsch, wenn du nicht berücksichtigst, was es bezeichnen soll.]

> Auch bei den Begriffen sieht es nicht unbedingt besser aus.

Doch, hier schon. Denn es gibt Wörter (also audio-visuelle Symbole), die
keine genuinen Begriffe repräsentieren, sondern Pseudobegriffe, die in der
Realität keine Entsprechung haben, also nicht auf Wahrnehmungsdaten
zurückgeführt werden können. Diese "Begriffe" sind falsch.


> >> In ein und derselben Sprache kann ich die Aussage "A" und die Aussage
> >> "nicht A" formulieren, wenn eine von ihnen wahr ist, ist die andere
> >> falsch. Was ist dann die Sprache?
>
> > (1) Ich verstehe nicht, was du mir mit dem ersten Satz mitteilen
willst.
> > (2) Aus dem Stehgreif: Sprache ist ein System audio-visueller
> > Begriffs-Symbole.
>
> Die Frage war, ob die Sprache in so einem Fall (meinetwegen auch die
> in den Aussagen "A" bzw. "nicht A" verwendeten Begriffe) wahr oder
> falsch sind.

Siehe oben.


> >> Empirische Theorien machen Voraussagen über den Ausgang von
> >> Experimenten. Zum Beispiel "morgen früh geht die Sonne auf". Ob
> >> diese Aussage wahr ist oder falsch, stellt sich morgen früh heraus.
> >> Philosophische (metaphysische) Theorien machen hingegen keine solchen
> >> empirisch nachprüfbaren Behauptungen.
>
> > Lass uns das mal an einem (von dir gewählten) Beispiel testen.
>
> "Es gibt eine Realität" als philosophische Theorie.  Der berühmte
> Stein, der einem Solipsisten auf den Zeh fällt, beweist ihm ja
> bekanntlich nichts - er bildet ihn sich ja nur ein.

(1) Der Solipsismus ist eine Pervertierung des Denkens, der man mit
logischer Argumentation nicht beikommen kann. Für mich zählt er deshalb zu
den "Philosophien," die eigentlich Geisteskrankheiten sind. (Durch das
philosophisch konsistente Handeln seines Wirts und dessen unvermeidlichem
Tod muss sich diese aber selbst am Ausbreiten hindern.) (2) Dass es eine
Realität gibt, steckt implizit in jeder Aussage, da diese ja immer
behauptet, eine Aussage über die Realität zu sein. Darum identifiziert der
Objektivismus "Existenz existiert" auch zu einem der drei unbestreitbaren
Grundaxiome.


> >> Dies ist Poppers Abgrenzungskriterium zwischen empirischer
> >> Wissenschaft und Metaphysik.
>
> > Setzt Popper alle Philosophie mit "Metaphysik" gleich oder nur
> > Teilbereiche? Wenn nur Teilbereiche, welche sind für ihn dann
> > Wissenschaft?
>
> Also eine Abgrenzung zwischen Metaphysik und Philosophie kenne ich von
> ihm nicht.  Er betont aber, was ich für inhaltlich wichtiger halte,
> immer wieder die Notwendigkeit von Metaphysik als Bestandteil
> wissenschaftlicher Theorien.

(1) Die Frage war die nach seiner Abgrenzung von Metaphysik und
Wissenschaft, nicht von Metaphysik und Philosophie! Du kannst also ~nicht~
erklären, wo empirische Aussagen anfangen, und philosophische beginnen?! Du
führst mich mit dieser Pseudo-Unterscheidung die ganze Zeit an der Nase
herum! Unglaublich. Jetzt bleibe ich erst recht bei meiner Position! (2)
Wenn in ~jeder~ wissenschaftlichen Theorie nicht belegbare, metaphysische
Bestandteile enthalten sind, dann kann ja niemals irgendeine wahre Aussage
formuliert werden! Das stünde dann nicht nur in Widerspruch zu Poppers
Zitat am Ende dieser Mail, sondern auch zur Notwendigkeit, überhaupt wahr
von falsch zu unterscheiden. Warum werfen wir dann nicht gleich die
Unterscheidung Wahr/Unwahr über Bord, und labern einfach nur so dahin,
Geräusche emittierend, die keinerlei Bedeutung mehr haben? Das ist krank!


> >> Unterscheide bitte zwischen wahr und sinnvoll. 1+1=2 ist sinnvoll.
> >> Auch Definitionen sind sinnvoll, obwohl sie nicht "wahr" oder "falsch"
> >> sind, sondern willkürliche Setzungen. Ich hätte statt der 2 auch ein
> >> anderes Symbol für den Nachfolger der 1 verwenden können, sagen wir #.
> >> Dann wäre 1+1=#.
>
> > (1) Wofür sollen denn Definitionen "willkürliche Setzungen" sein?? (2)
Die
> > audio-visuellen Symbole, die Sprache die du für die Kennzeichnung von
> > Begriffen (Seiende) verwendest, sind hier kein Thema.
>
> Sie sind notwendigerweise Thema, da es ohne sie nun einmal nicht geht.

Ob Chinesisch oder Deutsch oder Englisch, ob Keilschrift oder Kyrillisch
oder Hieroglyphen, ist NICHT essenziell, sondern nur, welche Begriffe
diese Sprachen oder Schriftzeichen bezeichnen! Es tut überhaupt nichts zur
Sache, welches Symbolsystem du verwendest, selbst wenn wir die
Notwendigkeit eines solchen anerkennen.


> > (3) Du hast immer noch nicht die Frage beantwortet, warum ich eine
> > Aussage von dir für wahr halten soll, die du nicht einmal selber für
> > wahr hältst!
>
> Entschuldigung, ich lege Wert auf die Unterscheidung zwischen
> Definition und nichttrivialer Aussage.  Die Definition, den Nachfolger
> der 1 mit 2 zu bezeichnen, ist korrekt und sinnvoll. Hat man sich auf
> sie geeinigt, ist "2 ist Nachfolger von 1" im Rahmen dieser Einigung
> meinetwegen auch eine (triviale) Wahrheit.

(1) Korrespondiert bei dir nun "sinnvoll" mit "wahr" oder nicht? Oder kann
bei dir etwas Unwahres "sinnvoll" sein? (2) Abgesehen davon interessiert es
mich in diesem Kontext nicht die Bohne, dass du ein Zeichensystem oder eine
Definition für "sinnvoller" hältst als ein anderes. Mich interessiert nur,
ob das was diese Zeichen oder Definitionen repräsentieren, wahr oder unwahr
ist. Wenn du dich um die Aussage herumdrückst, dass das was du sagst wahr
IST, werde ich mit Sicherheit dabei bleiben, das für wahr zu halten, was
~ich~ gesagt habe. Du hast mir also immer noch nicht die Frage beantwortet,
warum ich eine Aussage von dir für wahr halten soll, für die du noch nicht
einmal selber Wahrheit reklamierst!


> > (4) Wenn du "wahr" mit "sinnvoll" ersetzt, das Sinnvolle für dich
> > aber nur willkürliche Konvention ist, was hält mich dann davon ab,
> > beliebigen Quatsch als "sinnvoll" darzustellen? Wann ist denn etwas
> > ~nicht~ sinnvoll?
>
> Das will ich eben keineswegs machen, deswegen ja meine Vorbehalte
> dagegen, bei Definitionen von Wahrheit zu sprechen.
>
> In formalen Sprachen hat man es einfacher, da kann man einfach zwei
> Zeichen einführen:
>
> "2 =def Nachfolger von 1" ist eine Definition des Symbols '2' ohne
> Wahrheitswert,
>
> "2 ist Nachfolger von 1" ist eine wahre Aussage, die direkt aus der
> Definition folgt.

Blabla. Was macht bei dir den Unterschied zwischen einer "sinnvollen" und
einer "sinnlosen" Definition oder -- allgemeiner -- Aussage aus? Ich will
verstehen, was in deinem Hirn vorgeht, wenn du mit mir kommunizierst.


> >> Falsche Aussagen [sind?] auch sinnvoll. Zumindest ist das der
> >> Standardgebrauch des Wortes "sinnvoll" bei den Logikern.
>
> > Dann setzt du also "sinnvoll" mit "widerspruchsfrei" gleich?
>
> Nein, etwas was zu Widersprüchen führt ist falsch.  Aber etwas was
> falsch ist ist (nach dem logischen Begriff) sinnvoll.  Wobei der
> Begriff "sinnvoll" in der Logik, auf Aussagen bezogen, eine etwas
> andere Bedeutung hat als der Alltagsbegriff, aber auch als der Begriff
> "sinnvoll" wie ich ihn auf Definitionen beziehe.

Wie kann etwas Widersprüchliches "sinnvoll" sein?? Gibt mir bitte ein
Beispiel hierfür.


> > Losgelöst von jeder empirischen Basis, nur die Konsistenz
> > verschiedener Aussagen untereinander? Ich brauche dir wohl nicht zu
> > erklären, das ein solcher Rationalismus zu realitätsfernen Ideen
> > führen kann (wie z.B. Theologie u.ä.  Geisteskrankheiten).
>
> Eine widerspruchsfreie Theorie ist ein wichtiges Konzept.  Nur eine
> widerspruchsfreie Theorie kann wahr sein.  Um Teil der empirischen
> Wissenschaft nach Popper zu sein, braucht sie aber den Bezug zur
> Realität.

Langsam beginne ich aber Zweifel zu hegen, ob nach (deiner Darstellung von)
Popper, überhaupt irgend etwas irgend einen Bezug zur Realität haben kann.
(1) Deinem ersten und zweiten Satz stimme ich vorbehaltlos zu. (2) Du
verwendest schon wieder die Unterscheidung empirische Wissenschaft versus
Metaphysik, obwohl du bereits gestanden hast, dass du keine Ahnung hast,
wie man diese voneinander abgrenzt. Gibt es nach Popper so etwas wie eine
von philosophischen Aussagen "unverseuchte" empirische Wissenschaft oder
nicht?


> >>> (1) Ein Mangel an Eindeutigkeit ist ein epistemologisches Problem,
> >>> das keineswegs zu einem grundsätzlichen (oder gar ontologischen)
> >>> hochstilisiert werden darf. Wenn du Schwierigkeiten damit hast,
> >>> den Wahrheitsstatus einer Aussage zu identifizieren, bedeutet das
> >>> nicht, dass dieser überhaupt nicht identifiziert werden kann!
>
> >> Ich habe keine Schwierigkeiten mit ihm.
>
> > Du sagtest doch, du könntest zum (Wahrheits-) Status einzelner Aussagen
> > keine klare Position vertreten? Als musst du Schwierigkeiten damit
haben,
> > seinen Wahrheitsstatus zu identifizieren. Wie kannst du nun behaupten,
du
> > hättest damit ~keine~ Schwierigkeiten??
>
> Missverständnis, ich habe keine Schwierigkeiten damit, zwischen meinen
> persönlichen Problemen, den Wahrheitsstatus einer Aussage zu
> identifizieren, und der grundsätzlichen Existenz eines Wahrheitsstatus
> dieser Aussage zu unterscheiden.

Du gibst also zu, dass alle Aussagen einen definitiven Wahrheitsstaus
besitzen (unabhängig davon, ob wir ihn nun identifizieren können oder
nicht)? Das wäre schon mal ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Besserung.


> >> Ich habe eine Theorie, und die ist ein System von Aussagen. Von
> >> diesen können einige als Definitionen der Begriffe betrachtet werden,
> >> andere sind dann nichttriviale Beziehungen. Welche Begriffe und
> >> Aussagen ich als grundlegend (Grundbegriffe, Axiome) und welche ich
> >> als abgeleitet (abgeleitete Begriffe, Theoreme) betrachte ist für den
> >> Wahrheitsgehalt der Gesamttheorie nicht wesentlich.
>
> > Was willst du mir mit all dem sagen? Meine Aussage war, dass du ein
> > epistemologisches Problem zu keinem grundsätzlich unlösbaren
> > hochstilisieren darfst. Du bist darauf überhaupt nicht eingegangen.
>
> Ich wollte dir das epistemologische Problem erläutern.  Grundsätzlich
> bin ich Realist, die Differenz zum Objektivismus liegt nicht darin.

(1) Wenn du Realist bist, dann musst du die ~definitive~ Klärung des
Wahrheitsstaus von Aussagen grundsätzlich für möglich halten. Wie passt das
mit deinem popperschem Skeptizismus zusammen? (2) Worin liegt also die
Differenz zum Objektivismus?


> > Mathematik ist zwar eine "Fach-Sprache," aber dennoch eine Sprache,
> > die den allgemeinen Denkgesetzen unterworfen ist, die auf Axiomen
> > beruhen, die NICHT willkürlich sind! Ich weiß nicht, wie das in der
> > Mathematik ist, aber nach meinem Verständnis sind Axiome alles
> > andere als willkürliche Setzungen. Wie auch immer die Lage in den
> > Spezialgebieten des Wissens aussehen mag, die den Denkgesetzen
> > inhärenten Axiome sind fundamentaler.
>
> Vom Status her sind sie willkürliche Setzungen, die sich in
> Anwendungen bewährt haben.

Allein die Unterscheidung, ob etwas willkürlich ist oder nicht, beruht auf
diesen Axiomen. Allein die Unterscheidung, ob sich etwas bewährt hat oder
nicht, beruht auf diesen Axiomen. Allein dass du denkst und sprichst,
beruht auf diesen Axiomen. Du kannst nicht einmal das von mir behauptete
negieren, ohne implizit die Gültigkeit dieser Axiome anerkennen zu müssen.
Es gibt überhaupt keine Chance, sie irgendwie zu bestreiten, ohne sie zu
bestätigen. Dringe ich zu dir vor?


> >>>> B ist eine wahre Aussage. Person A glaubt daran das B wahr ist.
> >>>> Person A vertritt B in einer Diskussion mit Argumenten. A ist
> >>>> trotzdem ungewiss darüber ob B richtig ist, und hört sich deshalb
auch
> >>>> Argumente gegen B aufmerksam an.
> >>>> Besteht zwischen diesen Aussagen irgendein Widerspruch?
>
> > JA! (1) Du, der Erzähler weißt, dass B wahr ist. Wenn du jetzt
akzeptieren
> > würdest, dass B gleichzeitig unwahr ist, bestünde hier ein logischer
> > Widerspruch wir er nicht klarer sein könnte: A = ~A.
>
> Tue ich aber nicht.

Was tust du nicht? Wissen, dass B wahr ist? Also bist nicht du es, der
sagt, B sei wahr, sondern Person A. Ich werde gleich darauf zurückkommen...


> > (2) A verwendet Argumente, die er für wahr hält (sonst würde er sie
> > nicht verwenden). Wenn er seine Argumente gleichzeitig für nicht
> > wahr hält, liegt hier ein Widerspruch vor, nämlich der zwischen
> > Gewissheit und Zweifel.
>
> Argumente haben die Form C=>B.  C ist eine wahr Aussage, Person A
> glaubt daran das C wahr ist, und daher hält Person A die Argumentation
> C=>B für ein gutes Argument für die Wahrheit von B.
>
> Da hier nirgends eine Gewissheit bei A vorliegt, liegt hier auch kein
> Widerspruch vor.

Wer sagt hier also, dass C eine wahre Aussage ist? Unter (1) bestreitest
du, dass du derjenige bist, der diese Feststellung trifft, also muss es
unsere Person A sein, die das tut.

Person A ist sich also der Wahrheit von Aussage C gewiss. Wenn "B weil C"
logisch zwingend ist, muss damit die Gewissheit über C auf B transferiert
werden. Person A ist sich jetzt also der Wahrheit von B gewiss.

Es besteht demzufolge für Person A kein Grund, sich Argumente gegen B
anzuhören, wenn die Gewissheit über den Wahrheitsgehalt von C bzw. der
Logik der Überleitung zu B nicht durch Widerlegung vernichtet werden kann.
Ein Appell an die Selbstzweifel wird bei einer rationalen Person ungehört
verhallen, wenn dieses nicht mit einer empirischen und/oder logischen
Widerlegung einhergeht.


> > Wie kann er B für richtig halten, und sich darüber gleichzeitig nicht
> > sicher sein? Ist dir überhaupt klar, was du da sagst?
>
> Es ist die übliche menschliche Entscheidungssituation.  Du kannst
> gerne anstelle der Wortwahl "er hält B für richtig" eine andere
> vorschlagen, z.B. "er vermutet B", wenn du findest, "er hält B für
> richtig" drücke Gewissheit aus.  Nach meinem Sprachgefühl drückt diese
> Formulierung keine Gewissheit aus.

Nach meinem "Sprachgefühl" nicht. Etwas für richtig halten, ist stärker als
eine bloße "Vermutung."


> >> Eine völlig übliche Argumentationssituation. Wenn du darauf bestehst,
> >> in Argumentationen nur Aussagen zu machen, von denen man sich völlig
> >> sicher ist, dann bist du der, der die Bedingungen, die Argumentation
> >> in der Praxis überhaupt erst ermöglichen, nicht anerkennt.
>
> > Falsch. Selbst die Aussage, man sei sich nicht sicher, wird mit
> > Sicherheit vertreten! Was du versuchst hier mit mir abzuziehen, ist
> > ein intellektueller Taschenspielertrick, bei dem du meine Gewissheit
> > zu Gunsten deiner Gewissheit reduzieren willst.
>
> [1] Also, wenn ich statt der (unsicheren) Aussage X immer sage "ich
> vermute X bin mir aber nicht sicher", wird dies mit der Zeit etwas
> lästig, ausserdem bringt es niemandem was. [2] Abgesehen davon, dass die
> interessante Frage ist, ob X gilt, und nicht, was irgendjemand darüber
> vermutet. [3] Entschuldigung, den Hinweis darauf dass man die Aussage
> "ich vermute X bin mir aber nicht sicher" mit Gewissheit vortragen
> kann ist für mich ein Taschenspielertrick. [4] Abgesehen davon, dass
> der andere sie dir keinesfall mit Gewissheit glauben kann.

(1) Wir müssen in der Kommunikation davon ausgehen, dass eine Aussage genau
so gemeint ist, wie sie formuliert wurde. Missverständnisse hat derjenige
zu verantworten, der sich unpräzise ausdrückt. Erst kommst du mir mit, "A
hält B für richtig." Dann mit "A vermutet B." Daraus wurde schließlich, "A
vermutet B, ist sich aber nicht sicher." Was soll das? Ich kann dich nicht
ernst nehmen, wenn du mit ständig neuen Mutationen antanzt. Ich erwarte,
dass du dich so früh wie möglich so genau wie möglich festlegst, damit ich
genau weiß, welche Argumentation ich vorzubringen habe. (2) Du bringst mich
wirklich auf die Palme. Wir versuchen hier doch zu klären, ob es kein
Widerspruch ist, dass eine Person bezüglich einer Aussage zur gleichen Zeit
sicher und unsicher ist. Diese ganze Geschichte ist lediglich ein Beispiel,
bei dem für X (oder B oder C) eine beliebige Aussage stehen kann. Wenn du
konkrete Fragen diskutieren willst, kannst du diese gerne vorbringen. (3)
Warum? (4) Das mir der andere was genau bitte keinesfalls mit Gewissheit
glauben kann?? Du musst dich schon klar ausdrücken, wenn du darauf wert
legst, von mir als Diskurspartner angenommen zu werden.


> > Wenn du damit erreichen willst, dass ich deinen Argumenten gegenüber
> > aufgeschlossener bin, dann lass dir versichert sein, dass solche
Appelle
> > bei mir auf Granit stoßen. Du erzielst damit nur, dass ich misstrauisch
> > werde, und mich frage, warum du das wohl nötig hast. Wenn du mich von
einer
> > bestimmten Position überzeugen willst, dann tue das, was im Diskurs
geboten
> > ist, nämlich entweder empirische Fakten nachzuweisen oder mit Logik zu
> > begründen. Den Psycho-Quatsch lass aber bitte sein.
>
> Ich habe hier überhaupt keine Psycho-Quatsch gebracht.

Ich habe dir bereits erklärt, warum ich das für ein intellektuelles
Betrugsmanöver halte. Dein Ziel scheint zu sein, pauschal das Vertrauen in
meinen Verstand zu untergraben, damit ich deinem Verstand mehr Vertrauen
schenke, als meinem. So läuft das bei mir aber nicht. Ich habe dir oben den
Weg gewiesen, mich von deiner Position zu überzeugen. Einen anderen gibt es
für Objektivisten nicht, und ein aufrichtiger Diskurspartner wird einen
anderen auch nicht beschreiten wollen.


> >> Absolute Gewissheit in der Mathematik ist für mich kein Thema. (Da
> >> gibt es auch noch die Möglichkeit des Rechenfehlers, aber die ist
> >> philosophisch wenig interessant.)
>
> > Sie ist nicht nur dort kein Thema.  Wenn Sie in der Mathematik
> > möglich ist, sehe ich keinen Grund, warum sie nicht auch in anderen
> > Gebieten möglich sein sollte.
>
> Dies bringt sie aber keinen Schritt näher.

Wen "sie"? Die Gewissheit? Näher an was? Ich habe nicht die geringste
Ahnung, was du mir damit sagen willst. Bitte verschone mich mit solchen
inhaltsleeren Watte-Sätzen!


> >>> Warum sagst du dann nicht einfach "ja"? Für jemanden, der behauptet,
> >>> für seine Aussagen keinen Wahrheitsgehalt zu reklamieren, dürfte das
> >>> doch keinen großen Unterschied machen.
>
> > Darauf hast du übrigens nicht geantwortet. Bitte hole das nach. Die
> > Antwort auf diese Frage interessiert mich nämlich brennend!
>
> Eigentlich war das folgende als Antwort gedacht - eine Situation, in
> der ich auf Wahrheit meiner Entscheidung nur _hoffen_, sie aber nicht
> reklamieren kann, aber die Wahrheit für mich _lebenswichtig_ ist, so
> dass ich keineswegs einfach so "einfach ja" oder "einfach nein" sage:

Entscheidungen können nicht "wahr," sondern nur richtig oder falsch sein.
Ich will mal zu deinen Gunsten davon ausgehen, dass du damit "Aussage"
gemeint hast. Wenn die Wahrheit einer Aussage für dich tatsächlich
lebenswichtig ist, solltest du es nicht bei einer "Hoffnung" belassen,
sondern meine Position erwägen.


> > Du bist dir sicher, dass die Wahrscheinlichkeit es zu schaffen 10.000:1
> > beträgt. Und auf Grund dieser Gewissheit handelst du.
>
> Nein, dies ist meine grobe Abschätzung.  Wenn ich mir darüber sicher
> sein könnte, wäre das Leben verdammt leicht.

[...]

> > Besteht nun in bezug auf deine Wahrscheinlichkeitsschätzung
> > Gewissheit oder Zweifel?
>
> Für die 10000:1 besteht erst recht Zweifel.  Der Mensch ist notorisch
> schwach bei der Abschätzung kleiner Wahrscheinlichkeiten.  Kann
> genausogut 1000000:1 oder 1000:1 sein, ich habe nichtmal 1000 Sprünge
> über eine Spalte dieser Grösse gemacht um dies empirisch beurteilen zu
> können.

Du kannst die "Grobheit" deiner Abschätzung auf eine Spanne eingrenzen, der
du dir gewiss sein kannst, und ich behaupte, dass das auf einer bestimmten
Bewusstseinebene auch tatsächlich geschieht. Wie objektiv diese Abschätzung
ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt.


> >> Der Transzendentalpragmatismus. Er ist ja an die Hypothese
> >> gebunden, dass ich mit jemandem kommunizieren will. Handeln (und
> >> damit mehr oder weniger ethisch handeln) und Vermutungen über die
> >> Realität (empirische Regeln) aufstellen muss ich aber auch als
> >> einsamer Schweiger.
>
> > Als einsamer Schweiger denkst du aber! Wenn die angebliche
> > Nichtanwendbarkeit auf die intrapersonale Kommunikation dein
> > einziges Argument gegen die von mir universal verwendete Regel des
> > Transzendentalpragmatismus ist, dann kannst du damit meine
> > Letztbegründung ethischer Regeln nicht aushebeln. Tut mir echt
> > leid. Sieht nicht gut aus für dich.
>
> Warte mal, die Begründung ethischer Regeln haben wir ja schon auf die
> empirische Wissenschaft zurückgeführt.  Schliesslich muss man, wenn
> man die optimale (=ethische) Strategie herausbekommen will, eine
> Theorie über die reale Welt zugrundelegen.

Und? Nicht nur das ich das nicht bestritten habe, du bist auch mit keinem
Wort auf meine obige Aussage eingegangen.


> Du darfst also erstmal die absolute Wahrheit für die empirische
> Wissenschaft herausfinden, und da sieht es sehr schlecht für dich aus.

Hast du nicht gesagt, die Feststellung der absoluten Wahrheit für
empirische Aussagen sei nach Popper grundsätzlich unproblematisch? Ich
schließe mich dem an -- obgleich ich auch anerkenne, dass die
Fehleranfälligkeit mit der Anzahl der Induktionsebenen anwächst.


> >>> Ich dachte, mit empirischen Aussagen hättest du keine Probleme?
>
> >> Nein, Probleme habe ich nur mit der Behauptung, es gäbe für
> >> empirische Hypothesen Letztbegründungen.  Eine Letzbegründung
> >> (durch die Notwendigkeit, auch unter Bedingungen der Unsicherheit
> >> zu handeln, um zu überleben) könnte man höchstens in der Richtung
> >> erwarten, dass wir empirische Hypothesen aufstellen und dann
> >> handeln als ob sie wahr wären, auch ohne irgendeine Sicherheit zu
> >> haben dass sie wahr sind. Aber selbst dafür hielte ich
> >> "Letztbegründung" für eine Anmaßung.
>
> > Wie gesagt, du stellst implizit eine Wahrscheinlichkeitsberechnung auf,
> > derer du dir nicht anders als gewiss sein kannst.
>
> Nichts liegt der Realität solcher Überschlagsrechnungen (wenn man sie
> überhaupt explizit durchführt) ferner.

Bist du dir dessen sicher? :)


> >> Dann hätte ich mir einen erheblichen Schnitzer geleistet. Er selbst
> >> _ist_ eine philosophische Theorie, aber er _betrifft_ empirische
> >> Theorien.
>
> > Und als philosophische Theorie beansprucht er für sich das, was er
> > empirischen Theorien abspricht?
>
> Ja.

Moment -- Nur zur Überprüfung, ob ich dich richtig verstanden habe: (1)
Poppers Skeptizismus, der deiner Aussage nach als philosophische Theorie
eine lediglich willkürliche (aber doch irgendwie sinnvolle) Konvention ist,
beansprucht für sich die prinzipielle Sicherheit, die er allen anderen
Theorien abspricht? Habe ich dich richtig verstanden? (2) Und habe ich auch
richtig verstanden, dass du keine eindeutige Theorie zum Wahrheitsstatus
philosophischer Theorien, also auch nicht zu Poppers Skeptizismus,
vertrittst? Oder machst du hier etwa eine Ausnahme?


> > Ich vermag immer noch keinen grundlegenden Unterschied zwischen
> > empirischen und philosophischen Theorien hinsichtlich ihres
> > Realitätsbezugs zu erkennen. (Der eigentliche Unterschied scheint
> > ein lediglich gradueller zu sein, der im variierenden
> > Abstraktionsgrad begründet liegt.)
>
> Nein, der Unterschied liegt darin, dass die empirische Theorie durch
> ein Experiment morgen falsifiziert werden kann, während dies bei
> philosophischen Theorien nicht der Fall ist.

Wenn philosophische Theorien das Kriterium der Falsifizierbarkeit nicht
erfüllen und Poppers Skeptizismus eine philosophische Theorie ist, dann ist
Poppers Skeptizismus doch "unwissenschaftlich." Heißt das nicht, er würde
dann über sich selbst sagen, er sei falsch?


> > Wenn diese Unterscheidung, wie ich annehme, nicht wesentlich ist,
> > dann fällt Poppers Skeptizismus letztlich auf sich selbst zurück.
>
> Sie ist aber sehr wesentlich.

Wenn die Unterscheidung Empirisch/Philosophisch wesentlich ist, Poppers
Skeptizismus für sich als philosophischer Theorie absolute Gewissheit
reklamiert, dann müsste er damit anerkennen, dass für philosophische
Theorien im Allgemeinen absolute Gewissheit zumindest prinzipiell möglich
ist.

Wenn ich aber irre, und er tatsächlich ~alleine für sich~ die Möglichkeit
absoluter Gewissheit reklamiert, allen anderen Theorien diese aber
abspricht, ist ~das~ für mich eine Anmaßung, die einer logisch
nachvollziehbaren Begründung bedarf! Erwarte nicht von mir, dass ich diese
"Philosophie" einfach so schlucke!


> >> Man kann ihn nicht mit Sicherheit feststellen. Trotzdem kann man sie
> >> (mit Vorbehalt) für wahr halten.
>
> > Man kann sich also sicher sein, dass man etwas mit Vorbehalt für
> > wahr hält.
>
> Meinetwegen.  Man kann meinetwegen mit Sicherheit Aussagen über
> persönliche Gefühle treffen.  Damit hast du aber lediglich eine sicher[e]
> Aussage über dein persönliches Gefühl der Theorie gegenüber.

Das ist doch schon mal etwas. Sicherheit ist also doch möglich.


> >> Auf jeden Fall empfehlenswerte Lektüre. Kuhn und Feyerabend sind auch
> >> interessant, wobei du Feyerabend sicherlich sofort verwerfen wirst,
> >> und Kuhns Schlussfolgerungen wohl auch. Aber Kuhns Beobachtungen
> >> solltest du ernst nehmen - sie treffen zu.
>
> > Kein Interesse an postmodernem Gedankengut. Die knappe Zeit die ich
> > habe, verwende ich lieber auf sinnvollere Lektüre.
>
> Nochmal, auch wenn Kuhns Schlussfolgerungen z.T. zu weitgehend sind,
> sind Kuhns Beobachtungen sehr sinnvoll.

Im Prinzip gerne, ich will aber möglichst bald selbst ein System
präsentieren, das sich in der Praxis bewährt und sich im Rahmen von
Schulungen vermitteln lässt. Ich habe schon genug andere Sorgen und
Ablenkungen, um mich jetzt auch noch mit den obskureren oder zu abgehobenen
Theorien zu beschäftigen. Mein Bezugssystem bleibt erst einmal der
Objektivismus. Wenn es daran konkrete Kritik gibt, will ich diese gerne
berücksichtigen. Vorrangiges Ziel bleibt jedoch eine in sich schlüssige
Präsentation einer objektivistischen Philosophie in deutscher Sprache mit
dem Schwerpunkt Ethik. Ich werde nicht eher ruhen, bis das vollbracht ist.
Da können mir Feyerabend und Kuhn vorläufig gestohlen bleiben... es sei
denn, sie bewahren mich vor dem verhungern.


> >> Richtig. Und das ist halt der Restzweifel, der bei mir auch an
> >> Poppers Philosophie bestehen bleibt.
>
> > Gibt es eigentlich etwas, woran du ~nicht~ zweifelst?
>
> Ich halte sehr vieles für mit an Sicherheit grenzender
> Wahrscheinlichkeit wahr, und habe nicht vor, all diese vielen Sachen
> irgendwann einmal zu bezweifeln, also auch nur eine Sekunde darauf zu
> verschwenden, darüber nachzudenken, ob sie auch falsch sein könnten.

Da solltest du bei deinem Popperschen Skeptizismus eine Ausnahme machen.


> Nur, ich leiste mir einen generellen skeptischen Vorbehalt.  Wenn
> jemand mit wirklich guten Argumenten dagegen kommt, und es ihm
> gelingt, mein Interesse zu wecken, behalte ich mir vor, jedes einzelne
> zu bezweifeln.  Praktisch ist dieser Vorbehalt wenig wesentlich.

Und ich leiste mir einen generellen Wahrheits-Vorbehalt. Wenn jemand mit
wirklich guten Argumenten oder handfesten Beweisen dagegen kommt, werde ich
meine Ansichten entsprechend revidieren. Ich verbitte mir einfach nur
Appelle, pauschal meine Gewissheit an ihnen ohne triftigen Grund durch
Selbstzweifel zu ersetzen. Ich bin für gute Argumente immer aufgeschlossen,
das aber läuft bei mir nicht.


> >> Fein. Dann besteht auf der ethischen Ebene also prinzipielle
> >> Übereinstimmung, die lediglich getrübt wird durch die
> >> Nichtübereinstimmung was die Naturwissenschaft betrifft.
>
> > Welche Übereinstimmung auf der ethischen Ebene??
>
> Dass man, wenn man von den Interessen des Individuums ausgeht, und
> nach der Strategie handelt, mit der man diese Interessen optimiert,
> ethisch handelt.

Sehr gut. Ich hoffe nur, dass du mit "man" das betreffende Individuum
selbst meinst. Das ist nicht unwesentlich. Korrekt heißt es also: "Ein
Individuum handelt dann ethisch, wenn es nach der Strategie handelt, mit
der es seine eigenen Interessen optimiert." Zur Präzisierung möchte ich
noch hinzufügen: "unabhängig davon, ob dadurch den Interessen Dritter
geschadet oder genutzt wird."


> > Welche Nichtübereinstimmung, was die Naturwissenschaft betrifft??
>
> Dass man für Voraussagen naturwissenschaftlichen Inhalts Gewissheit
> erhalten könne.

Okay, hier keine Übereinstimmung.


> >>> Die Interessen dieser Gene ~müssen~ deine sein,
>
> >> Nur kannte der Programmierer nicht die Umgebung, ich der ich lebe,
> >> sondern hat seinen Code eher für die Horde im Urwald geschrieben,
> >> zweitens ist der Code fehlerhaft, drittens kann ich Fähigkeiten, die
> >> mir einprogrammiert wurden, auch missbrauchen - also mir Eudämonie auf
> >> eine Art und Weise verschaffen, die den Interessen des Programmierers
> >> widerspricht.
>
> > (1) "Der Programmierer" ist die Umwelt des Organismus, deine Umgebung,
in
> > der du lebst.
>
> Ich meinte hier die Gene.

Eben! Und ich wollte deinen Fehler korrigieren. Näher an der Realität ist
diese Metapher: "Die Gene sind das Programm (oder Betriebssystem), das von
der Umwelt geschrieben wurde."


> > (2) a) Es stimmt schon, dass der Code etwas schwerfällig ist,
> > andererseits bringt der des Menschen ein recht gutes
> > Anpassungsprogramm hervor, nämlich das Vernunftvermögen. b) Wenn du
> > sagst "fehlerhaft," musst du auch sagen, in bezug auf welche
> > Aufgabe.
>
> Die "Aufgabe" ist klar - möglichst weite Verbreitung von Kopien der
> Gene.

Gut, dass du die "Aufgabe" in Anführungszeichen gesetzt hast. Es ist aber
etwas komplexer. Die "Aufgabe" ist, möglichst lange in möglichst reiner
Form zu existieren, und, wenn das Sterben beginnt, Kopien hervorzubringen,
die in der Lage sind, Kopien hervorzubringen. (Ich bin sicher, dass man das
noch besser formulieren kann.)


> > (3) Prinzipiell stimmt auch das. Diese Irrationalität wird
> > üblicherweise durch eine fehlerbehaftete Repräsentation der Realität
> > ("Pseudo-Philosophie") verursacht, die nicht immer durch interne
> > Funktions-Störungen verursacht wurde, sondern -- noch häufiger --
> > durch sozial introjezierte Ideologien konkurrierender Codes.
>
> Eine andere Frage, um die es nicht geht.  Mein Verhalten, beim
> Seitensprung Kondome zu benutzen ist rational, ich kriege meine
> Eudämonie ja ab.

Die Frage ist in Relation zu dem vom mir angeschnittenen Thema banal. Um
darauf einzugehen: Ja, es ist rational, nicht mehr Kinder zu zeugen, als du
zu für das andere Geschlecht attraktiven Erwachsenen aufziehen kannst. Aber
das habe ich dir schon im letzten eMail erklärt.


> >> Klar. Aber wenn ich (als Mann) einen Seitensprung mache, habe ich
> >> dabei nicht vor, der Strategie der kontrollierten Empfängnis zu
> >> folgen.
>
> > Deine bewusste Absicht zielt immer lediglich auf die Maximierung von
> > Eudämonie ab, und nicht darauf, was damit biologisch bezweckt werden
> > soll.  Dein Organismus will sich immer nur die "Eudämonie abholen,"
> > und auf welche Weise er das tut, hangt von der Programmierung des
> > Unterbewusstseins ab.  Das was dir Spaß macht, kann nach meiner
> > Feststellung in (3) rational oder irrational sein.
>
> Wenn ich beim Seitensprung Kondome benutze, handle ich rational.  Vom
> Standpunkt meiner Gene handle ich aber schlecht, ich verbreite sie
> nicht.

Es kommt nicht (nur) auf die Anzahl deiner Kinder an, sondern auch, welche
Qualität sie aufweisen. "Das Gen" denkt nicht in Kindern, sondern in
Enkeln! Die Schrotschuss-Methode, bei der von Vorneherein das Scheitern
vieler Kinder feststeht, ist nur in extrem überlebensfeindlichen Gebieten
rational.


> >>> Eudämonie ist die Belohnung für biologisch sinnvolle
Verhaltensweisen.
>
> >> Mit "biologisch sinnvoll" habe ich erhebliche Bauchschmerzen. Für
> >> meine konkreten Gene sinnvoll - vielleicht. Für die Gene der
> >> Konkurrenz eher schädlich.
>
> > Durch den Selektionsprozess kann nur eine Strategie überlebt haben:
> > dass dich als Individuum immer nur ausschließlich das
> > transpersonelle (!)  Fortbestehen ~deines eigenen~ Codes
> > interessieren soll -- d.h., nicht nur durch deinen, sondern auch
> > durch den Körper deiner Nachkommen.
>
> Die Weiterverbreitung meiner Gene interessiert mich aber nicht,
> sondern nur das Vergnügen, was mir meine Gene dafür geliefert haben,
> dass ich gewisse Seitensprünge begehe - wobei die armen Gene zu ihrem
> Pech nicht in der Lage waren, mich von der Kondombenutzung abzuhalten.
> Ihr Pech - sie werden sich weniger weiter verbreiten, mir egal.

Dein Satzbau ist -- wie so oft -- falsch. Du machst es mir damit schwierig,
dich und deine Argumentation ernst zu  nehmen. Ich rekonstruiere das, was
du vermutlich sagen wolltest, damit es Sinn macht:

"Die Weiterverbreitung meiner Gene interessiert mich aber nicht, sondern
nur das Vergnügen, was mir meine Gene dafür geliefert haben."

Ich habe dir schon einmal erklärt, dass du, um effektiv Vergnügen erlangen
zu können, die dafür (u.a. von den Genen) festgelegten Regeln kennen und
befolgen musst.


"Dass ich gewisse Seitensprünge begehe -- wobei die armen Gene zu ihrem
Pech nicht in der Lage waren, mich von der Kondombenutzung abzuhalten --
ist ihr Pech. Sie werden sich weniger weiter verbreiten. Mir egal."

Dass es nicht auf Quantität (alleine) ankommt, habe ich dir auch schon
erklärt. Du wiederholst ständig deine Fehler, ohne auf meine Gegenargumente
einzugehen.


> Andere Gene haben mehr Glück, ihre Träger fangen sich aber nach der
> siebenten weiterverbreiteten Kopie AIDS ein und krepieren kläglich.
>
> Und du willst mir erzählen, ich handle irrational und diese armen
> Idioten rational?

Du lenkst wieder ab. Wir diskutieren hier nicht AIDS-Prävention.


> > Das sehe ich anders. In einem determinierten Universum ist das
> > prinzipiell möglich. Hier unterscheidet sich meine Auffassung von
> > der Sciabarras.
>
> Da macht dir schon die Wettervorhersage einen Strich durch die
> Rechnung (auch "deterministisches Chaos" genannt).

Eigentor. Wie du an der mit den Jahren immer genaueren Wettervorhersage
erkennen kannst, lassen sich auch hyper-komplexe Phänomene mit der
entsprechenden Rechnerleistung in den Griff bekommen. Vielleicht klappt's
eines Tages sogar mit der "Gedankenvorhersage."


> > Meinst du mich? Ich bezeichne mich zwar als Objektivisten, mein
> > Objektivismus ist aber nicht der Objektivismus Ayn Rands, sondern eben
> > meiner. Die Grundannahmen des Objektivismus teile ich aber dennoch mit
den
> > Amerikanern. Es gibt in bezug auf seine Weiterentwicklung noch sehr
viel zu
> > tun. Stehst du mit Bernd Laska in Kontakt? Sein LSR-Projekt ist mir
> > sympathisch.
>
> Mir auch, aber Kontakt habe ich nicht.

Materialismus und "Über-Ich"-Eliminierung passen gut zu meiner
evolutionsbiologischen Rationalitäts-Auffassung.


> >>> Mir geht es ja auch um den umgekehrten Weg, um die ~fundamentalen~
> >>> Werte und Prinzipien, aus denen sich solche nachrangigen Werte oder
> >>> Ziele erst ableiten lassen.
>
> >> Ich denke "fundamental" bleiben all die verschiedensten Ziele übrig,
> >> die unsere Gene uns einprogrammiert haben, in der Hoffnung, wir
> >> würden, diesen Zielen folgend, ihrem Vervielfältigungsinteresse
> >> folgen.
>
> >> Das eine Fundament, auf das zu meine Ziele zurückführen kannst, ist
> >> also das Ziel meiner Gene zur Vervielfältigung. Punkt.
>
> > Etwas genauer: Das eine Fundament, auf das ich deine rationalen Ziele
> > zurückführen kann, ist das Ziel deiner Gene zur Vervielfältigung. Das
eine
> > Fundament, auf das ich deine irrationalen Ziele zurückführen kann, ist
das
> > Ziel ~fremder~ Gene zur Vervielfältigung. Darin hat unser ökonomische
> > Klassenkampf und die ganze Klassendynamik ihren Ursprung.
>
> Du erkennst also den Unterschied zwischen den mir einprogrammierten
> Zielen (wie u.a. Seitensprünge) und dem Ziel meiner Gene zur
> Vervielfältigung immer noch nicht an?

Worin soll der bestehen? Die Seitensprung-Neigung bei Männern ist auf
"Vervielfältigungs-Interessen" der Gene zurückzuführen.


> Meine Kondombenutzung ist rational - aber nur für mich, aber nicht für
> das Vervielfältigungziel meiner Gene.  Fremde Programme sind dabei
> irrelevant.

Ganz und gar nicht. Fremde, altero-zentrische Werte, die man sich im
kulturellen Kontakt zuzieht, sind durch ihre hartnäckige Irrationalität und
ihren weiten Verbreitungsgrad für einen Menschen immer höchst relevant.
Irgendwelche Gene steuern immer dein Verhalten. Die Frage ist, wessen.


> >> Nun, die "fundamentalsten" Ziele, die wir gerade am einen Ende der
> >> Skala festgestellt haben, und die nur noch mit Biologie erklärt werden
> >> können, haben keinerlei ethische Wertigkeit. Daher ziehe ich es vor,
> >> sie einfach "Interessen" oder "Ziele" zu nennen, aber nicht "Werte"
> >> oder "Tugenden".
>
> > Meinetwegen. Die Begriffe müssten in der Tat besser abgegrenzt werden
> > (weshalb ich auch immer auf klare Definitionen poche). Mit der
ethischen
> > Wertigkeit irrst du aber.
>
> Mein Interesse an einem Seitensprung hat also einen ethischen Wert?
> Nunja, wenn du es so nennen willst, nenne dieses Interesse meinetwegen
> ethisch.  Ich nenne andere Fragen ethisch - z.B. dass ich dabei
> Kondome benutze, dass ich meiner Frau kein falsches Treueversprechen
> gegeben habe usw. usf.

Nochmals: Ein rationale Ethik macht Aussagen darüber, was für ~einen~
Handelnden objektive Werte sind (das ~für ihn~ "Gute") und durch welche
Handlungen er sie erlangen kann. Die Befriedigung fremder Interessen kann
nach dieser Auffassung niemals ethisch sein, wenn sie nicht mit der
Befriedigung der Interessen des Handelnden gekoppelt ist. D.h. ehrlich zu
sein, wenn du dir damit langfristig schadest, ist für dich unethisch! Deine
altruistische "Dummheit" mag aber für deine Frau ethisch sein, weil sie gut
~für sie~ ist.

Du agierst mit deinem Beispiel (deiner Frau kein falsches Treueversprechen
zu geben) leider wieder deine altero-zentrische Ethik aus, die dir durch
den Sozialisierungsprozess ankonditioniert wurde. Nun, das ist etwas
verwunderlich für einen Stirnerianer. Ich hoffe, dass du verstehst, dass es
mir ums Prinzip geht, und nicht darum, Lügen in diesem Bereich zu
verteidigen, aber man muss Berücksichtigen, dass Ehrlichkeit u.U. mit sehr
hohen Kosten verbunden sein kann.

Mit deiner Aussage verwechselst du das Forschungsgebiet der "Ethik" mit
einer seiner spezifischen Positionen und begehst damit nach Rand die
"Fallacy of the Frozen Abstraction."

Und ein Kommentar: Obwohl ich nicht grundsätzlich an Latex im Liebesleben
etwas auszusetzen habe, ist Pariser-Sex so etwas von fade, dass ich außer
in Notfällen gut drauf verzichten kann. Aber das ist kein integraler
Bestandteil des Objektivismus. ;)


> >> Hier nochmal ein wichtiger Unterschied: Soziobiologie _erklärt_ mir,
> >> warum ich liebe und hasse. Sie _begründet_ mir jedoch nichts im
> >> ethischen Sinne. Denn ich habe nicht das Ziel, meine Gene zu
> >> verbreiten, s.o.. Ich verliebe mich und habe dann das Ziel, mein
> >> Liebesobjekt glücklich zu machen. Und darauf, dass dies für die Gene
> >> nur Mittel zum Zweck, Sex zu machen und sich zu kopieren, ist, pfeife
> >> ich.
>
> > Wenn dich die ausgesetzte Belohnung interessiert, solltest du die
> > Regeln kennen, nach denen sie verteilt wird. Außerdem verstehe ich
> > den Unterschied nicht, den du zwischen "Erklärung" und "Begründung"
> > zu sehen meinst.
>
> Mit der Erklärung des Bedürfnisses nach einem Seitensprung bin ich
> zufrieden. Aber wenn ich vor einer Entscheidung stehe, ob ich nun
> einen Seitensprung begehen soll oder nicht, ist diese Erklärung völlig
> irrelevant.  Sie kann mir nichts begründen, sie ist kein relevantes
> Argument, den Seitensprung zu begehen, wenn er anderen meiner
> Interessen entgegensteht.

Nun, diese Entscheidung wurde schon gefällt, noch bevor es dich, oder so
etwas wie einen Planeten Erde gab. Wir zwei denken jetzt darüber nach,
aufgrund welcher Gesetzmäßigkeiten bestimmte physikalischen Prozesse (wie
z.B. Denken und Entscheiden) ablaufen. Was waren die Ursachen für deine
Seitensprung-Zukunft? Etwas ist in deinem Nervensystem passiert, das durch
etwas anderes verursacht worden sein muss. Was ist das, wenn nicht deine
oder die Interessen deiner Umwelt? Wie autonom warst du als System? Oder
hast du als Teil eines Meta-Systems agiert? Dein Wille geschehe, oder eben
der Wille anderer.

Dass du soziobiologische Überlegungen für irrelevant hältst, könnet daran
liegen, dass du bereits, zu deinem Nachteil, von deinem Meta-System zu
stark integriert wurdest.


> >> In dieser Situation ist mein Bestreben, mein Liebesobjekt glücklich
> >> zu machen, ethisch genauso wertfrei wie mein Hunger. Es ist einfach
> >> mein Interesse.
>
> > Wen meinst du damit, wenn du sagst, "mein Interesse"? Spaß zu haben
> > ist nur ein psychologisches Interesse, dem genetische zu Grunde
> > liegen.
>
> Ja, nur sind die zugrundeliegenden evolutionsbiologischen Interessen
> meiner Gene eben nicht meine Interessen.

Natürlich sind sie das! Was dein Körper zu Gunsten seiner eigenen Gene
macht ist ethisch, was er zu Ungunsten seiner eigenen Gene macht, ist
unethisch. Handlungen finden in einem Ursache-Wirkungs-Netzwerk statt, bei
dem die Unterscheidung nach biologischen Interessen und ethischen Werten
nur zur sprachlichen Differenzierung verschiedener Abstraktions- bzw.
Integrationsebenen dient. Deine Ziele und Interessen sind nur AUSLÄUFER
ethischer Werte, die in den biologischen Werten verwurzelt sind, die
wiederum in den genetischen Werten verwurzelt sind. Hunger ist niemals
ethisch wertfrei, wie überhaupt alles niemals wertfrei sein kann! Jedes
Faktum hat einen (letztlich ethischen) Wert, ob wir ihn erkennen oder
nicht. Dir das klarzumachen, ist sehr wichtig für dein Verständnis der
menschlichen Psychologie. Rein gar nichts im gesamten Universum ist
wirklich wertfrei für eine biologische Entität!


> >> Die ethischen Werte und Tugenden entstehen eher am anderen Ende der
> >> Skala - als Ethik/Rationalität unter vorgegebenen Zielen. Und dort,
> >> im Rahmen fixierter Ziele, können wir in aller Ruhe auch die Werte &
> >> Tugenden nach ihrer Priorität ordnen - je nachdem welche Ordnung
> >> die bessere Strategie liefert.
>
> > Am Ende welcher Skala? Ich verstehe dich nicht. Die Werte und Tugenden
> > müssen ~durchgehend~ nach ihrer Priorität geordnet werden! Sie
existieren
> > nicht im Vakuum, sie sind nicht losgelöst von fundamentaleren
(fixierten)
> > Zwecken, sondern stehen mit ihnen in einem untrennbaren Zusammenhang.
>
> Vom "fundamentalen" Zweck der Genverbreitung sind ethische Fragen
> völlig getrennt.

Absolut falsch. Rationale Ethik ist überhaupt nur unter Berücksichtigung
fundamentalster, d.h. genetischer Interessen möglich! Sogar zum Zwecke der
Ideologie propagierte altero-zentrische (religiöse) Ethik ist erst richtig
effektiv, wenn sie unter Berücksichtigung dieses Faktums konstruiert
wird... damit sich auch alle Schäfchen schön selbst zerfleischen.


> > Aha. Du hast also keinen Durchblick.
>
> Stellt sich hinterher heraus - wenn du die für mich unangenehme
> Handlung XYZ nicht begehst, weil mein Argument dich davon abgehalten
> hat, hatte ich genügend Durchblick um optimal zu handeln.

Ich könnte sowieso schon vorhaben, eine für dich unangenehme Handlung XYZ
nicht zu begehen, aber aus dir völlig unverständlichen Gründen. Dein
vermeintlicher, mir zu verstehen gegebener Durchblick muss damit nichts zu
tun haben.


> > Vielleicht solltest du dich einfach locker machen, und erst einmal
> > versuchen zu verstehen was ich tue, bevor du entscheidest, ob auch
> > ein legitimierbarer Grund zur Durchkreuzung besteht.
>
> In der Situation dieses Gedankenexperiments eben nicht.

Ich bin in unserem Beispiel mal davon ausgegangen, dass dein Verständnis
dir Grund zur Entwarnung geben wird. Wenn du sagst, dass du gar nicht verst
ehen willst, wird dich das vielleicht zu Handlungen verleiten, die für alle
kontraproduktiv sind, obwohl Alternativen zur Verfügung stehen würden, von
denen alle etwas hätten. Zugeben, das ist alles sehr abstrakt. Wenn man
sich über Strategie unterhält, ist es sinnvoll, mit konkreten Beispielen zu
arbeiten, damit man nicht aneinander vorbeiredet.


> > Wenn du Ethik als Identifikation von optimalen Zweck-Mittel-Beziehungen
> > begreifst, wirst du sehen, dass es sich hier nicht um eine "Un-Ethik"
> > handelt, sondern um eine akontextuelle, auf Emotionalismus beruhende
Ethik,
> > die trotz ihrer Irrationalität dennoch eine Ethik ist. Du kannst der
> > Notwendigkeit zu werten, und damit so etwas wie eine Ethik zu haben,
nicht
> > entfliehen.
>
> Stirner wertet ja auch - er macht auch gar keinen Hehl daraus.  Nur
> wertet er nicht als "böse" sondern "dumm".

Das Böse nicht als solches zu erkennen, ~ist~ dumm. Auch "der Einzige" wird
nicht umhinkommen, nach Gut und Böse (für ihn) zu unterscheiden, will er
nicht der Dumme bleiben.


> >> Wenn ich meinen Launen untereinander Prioritäten zuschreibe, ist dies
> >> prinzipiell nichts anderes als eine Laune.
>
> > Nein. Das ist der erste Schritt zu einer kontextuellen, voll
integrierten
> > Ethik. Wenn du nicht tiefer gehst, bleibt das natürlich alles von
seiner
> > Basis abgetrennt.
>
> Grosse Worte, nichts dahinter.

Du meinst eine Aussage wie, "Wenn ich meinen Launen untereinander
Prioritäten zuschreibe, ist dies prinzipiell nichts anderes als eine
Laune"? Das stimmt allerdings. Was genau ist nichts anderes als eine Laune?
Dass du "Launen" untereinander Prioritäten zuschreibst? Das stimmt nicht,
denn der Impuls zur Hierarchisierung von Werten ist das erste Fünkchen von
Rationalität im großen Durcheinander des stirnerschen Geistes.


> > Evolutionär stabiler Code ist auf seiner fundamentalsten Ebene
> > gleichförmig, egal welchen Organismus welcher Spezies oder welchen
> > Geschlechts er auch benutzt. Die Geschlechtsidentität bestimmt dabei
einige
> > tief wachsende Äste der Wertestruktur, das ändert aber nichts an der
mit
> > dem Abstraktionsgrad zunehmenden Gleichförmigkeit aller Werte. Trotz
> > individuell ausgeprägter Oberfläche, bleibt der Kern immer gleich.
>
> Der "gleiche Kern" ist das Interesse an der Kopie der Gene.  Das ist
> alles.  Die Strategien dazu (und damit das, was mit Eudämonie belohnt
> wird) sind verschieden.  Und damit ist der Satz von Bedürfnissen,
> deren Erfüllung Eudämonie ergibt, extrem verschieden.

(1) Wenn du sagst, "das ist alles," hört sich das wie eine Abwertung an,
für die du mir aber eine nachvollziehbare Begründung schuldig bleibst. (2)
Die Strategien zur Kopie der Gene sind verschieden? Nicht auf einer
fundamentalen Ebene, für die wir Worte wir "Tugend" oder
"Handlungsprinzipien" verwenden. Die aus ihnen abgeleiteten TAKTIKEN sind
~selbstverständlich~ immer situativ und damit verschieden. (3) Es will
scheinbar nicht in deinen Kopf hinein, dass wir als biologische Wesen alle
die gleichen fundamentalen Bedürfnisse haben MÜSSEN, um zu überleben! Warum
nimmst du dir nicht einmal ein Biologiebuch zur Hand?


> >> Angesichts der Komplexität der Strategien innerhalb einer Art,
> >> man beachte insbesondere auch Falken/Tauben-Gleichgewichte etc.,
> >> sehe ich keinen Grund dafür.
>
> > Keinen Grund wofür?? Für den "gemeinsamen Nenner"?
>
> Ja.

Siehe oben unter (3). Du bist ein so intelligenter Mensch, dass du sogar
die moderne Physik mit einer Äther-Theorie herausforderst (was ich übrigens
bewundere), aber mit der mentalen Funktion des Integrierens scheint's,
zumindest im hier diskutierten Bereich, zu hapern. Woran liegt das, Ilja?
Du bist nicht dumm, deine Mathematik erfordert ein Ausmaß an abstraktem
Denkvermögen, das ich in dieser Komplexität niemals aufbringen könnte. Und
doch leidet dein Denken im Bereich der Ethik an einer epistemischen
Zersplitterung, die ich für höchst bemerkenswert halte. Es ist, als ob du
dich aus psychologischen Gründen gegen bestimmte, unkonventionelle Gedanken
sperren würdest. Du bringst immer wieder die gleichen Negationen vor, ohne
meiner Argumentation wirklich etwas Logisches entgegenzusetzen. Ich erkläre
mir den Mund fusselig, und alles was du sagst, ist "nein." Auch wenn das
für mich unangenehm ist, will ich dir dennoch anbieten, es noch eine Weile
so zu ertragen, bis sich die Situation geklärt hat, um meinen guten Willen
unter Beweis zu stellen. Aber dann will ich sehen, dass du etwas dagegen
tust.


> > Bedenke, dass ich von sehr, sehr fundamentalen Zielsetzungen
> > spreche, wenn ich von den allen Lebewesen gemeinsamen
> > "Kern-Verhaltensweisen" spreche.
>
> Ja.  Trotzdem ist dies bei verschiedenen Individuen sehr verschieden
> ausgelegt.

Wie können Kern-Verhaltensweisen, die gemeinsam sind, "trotzdem"
verschieden ausgelegt sein?? Nenne mir Beispiele.


> >> Tja, die Existenz schon. Aber welche Strategie genau wählt der andere
> >> nun?
>
> > Ohne mich jetzt genau darüber auszulassen; man kann Strategien
> > wählen, die die gegnerische Strategie immer für sich arbeiten
> > lassen, ohne dass deren Details von Bedeutung wären.
>
> Schön wäre es, wenn es solche gäbe.  Aber jede Strategie kann auf ihre
> eigene Kopie treffen.  Dann klappt das "die anderen für sich arbeiten
> lassen" nur wenn man selbst auch für sie arbeitet.

Ja, das kann vorkommen. Manchmal kann es sein, wie ein Spiegellabyrinth.
Faszinierend, nicht wahr? Bei einer extrem stark ansteigenden Komplexität
wird die Grenze von der Technik zur Kunst überschritten.


> >>> Das sehe ich nicht so. Ein voll integriertes System der Ethik ist
> >>> auf jeden Fall möglich und notwendig, und es wird keineswegs so
> >>> primitiv sein, lediglich aus der Goldenen Regel zu bestehen. Den
> >>> Wettbewerbsvorteil hat der, dessen Ethik logischer und
> >>> differenzierter ist.
>
> >> Dass es mehr gibt als nur die Goldene Regel ist mir auch klar. Nur
> >> haben wir ja in der Diskussion schon festgestellt, dass selbst die
> >> Anwendbarkeit der Goldenen Regel von Annahmen über die Umwelt
> >> (insbesondere über unser Kräfteverhältnis) abhängt, und du warst der,
> >> der ihren Anwendungsbereich für kleiner hielt als ich.
> >> Insofern sehe ich hier einen gewissen Widerspruch.
>
> > Wessen "ihren Anwendungsbereich"? Den der Goldenen Regel?
>
> Ja.

Du siehst einen Widerspruch zwischen meiner Annahme, der Anwendungsbereich
der Goldenen Regel sei recht klein, mit meiner Annahme, derjenige habe den
Wettbewerbsvorteil, dessen Ethik logischer und differenzierter ist? Habe
ich dich richtig verstanden? Du drückst dich manchmal zu ungenau aus. Wenn
ich dich richtig verstanden habe, kann ich dem nicht zustimmen. Wo soll der
Widerspruch sein?? Hier besteht, ganz im Gegenteil, eine argumentative
Konsistenz.


> > Zu was besteht hier der Widerspruch bitte?
>
> Zu deinem voll integrierten System der Ethik, welches die Goldene
> Regel und noch viel mehr enthält.  Normalerweise haben komplexere
> Strukturen geringere Anwendungsbereiche.

Wenn du mit komplex "nicht integriert" meinst, dann hast du recht. Nach
dieser Interpretation sind auch die Zehn Gebote "komplex" (im Sinne von
"chaotisch"), weil deren hierarchische Positionen innerhalb eines
objektiven Wertgefüges nicht geklärt sind. Die logischen Konflikte die
dadurch entstehen, verringern ihren Anwendungsbereich dramatisch. Ich aber
spreche von einem logisch integrierten(!) Wert/Tugend-Gefüge, das, so weit
wie möglich und praktikabel, gut ausdifferenziert ist. Die Anzahl der
Elemente steht in Beziehung zur fokussierten Abstraktionsebene. Du kannst
die baumähnliche Struktur, je nach Bedarf, hoch und runter gehen. Eine
Ethik die über diese Eleganz verfügt, hat in der konkreten Lebenspraxis den
größtmöglichen Anwendungsbereich, den man sich überhaupt vorstellen kann.


> >> Na sicher. Wenn dies nicht möglich wäre, also alles was rational
> >> wäre immer konstruktiv, wäre die Verwendung von zwei Worten für ein
> >> und dasselbe ja Verschwendung.
>
> > Nein. Du musst solche Bewertungen immer im Kontext betrachten: Rational
für
> > wen oder was? Konstruktiv wofür? Wenn du alle Bewertungen -- so wie es
sein
> > sollte -- nach (dem) einen Endzweck ausrichtest, wird es niemals
> > Widersprüche geben. D.h. das Richtige wird nützlich sein, das Nützliche
> > rational, das Rationale konstruktiv, und schließlich das Konstruktive
gut
> > (in Bezug auf X).
>
> Bestreite ich.  Das Optimum wird immer den Charakter eines
> Kompromisses haben, bei dem einige Wünsche unerfüllt bleiben.  Die
> Widersprüche sind in der optimalen Lösung klar erkennbar und auch
> beschreibbar.

Wie kommst du jetzt auf die Anzahl der mit einer optimalen Strategie
tatsächlich erfüllbaren Wünsche, wenn es doch um die Frage geht, ob es eine
Beziehung zwischen den verschiedenen Bewertungen innerhalb einer der
Kategorien "erwünscht" rsp. "unerwünscht" gibt??

Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: ich habe die Bewertungen in einer
bestimmten Folge angeordnet, die m.E. ihre Wichtigkeit widerspiegelt. Das,
und einige andere Identifikationen in dieser Richtung, repräsentieren den
Ansatz, den ich bei der Erschaffung meiner neo-objektivistischen Ethik bald
weiterverfolgen möchte. Wertungs-"Wiedersprüche," wie du sie befürchtest,
können in einem solchen System höchstens zwischen verschiedenen
Integrationsebenen bestehen, die aber durch die Wahl des in der Hierarchie
fundamentaleren Werts ihre Aufhebung erfahren. Schade, dass du meine
Sichtweise abzulehnen scheinst, denn genau für die akkurate Identifikation
dieses Wertesystems könnte ich Schützenhilfe gut gebrauchen. Ich werde es
wohl alleine durchziehen müssen.


> >> Die im Prinzip anwendbaren ethischen Regeln (z.B. die Goldene
> >> Regel) sind nur Faustregeln, müssen dahingehend betrachtet werden,
> >> ob sie in der konkreten Situation wirklich optimale Strategien
> >> bringen.  Erst recht gilt dies für Prioritätsregeln zwischen
> >> verschiedenen ethischen Regeln.  Logische Hierarchien dürften hier
> >> nur eine geringe Rolle spielen.
>
> > Ganz im Gegenteil. Wenn ich deine etwas unklare Aussage richtig
> > gedeutet habe, behauptest du, Strategien (Tugenden) ließen sich
> > nicht hierarchisch ordnen. Das ist falsch, weil immer einige
> > abstrakter, fundamentaler (wichtiger) oder umfassender sind, als
> > andere. Prinzipien und Strategien haben z.B. einen Vorrang vor
> > Regeln oder Taktiken. Dir ist sicherlich das Sprichwort bekannt,
> > dass die Priorität eines gewonnenen Krieges vor dem der gewonnenen
> > Schlacht feststellt.
>
> Ich wollte eher darauf hinweisen, dass die Hierarchien zwischen ihnen
> noch weniger universell sind als die Regeln selbst.

Wenn du sagst, (Tugend-) Hierarchien seien nicht universell, dann
entspricht das der Aussage, Logik sei nicht universell, denn genau nach
ihren Gesetzen sind funktionale Hierarchien kreiert. Du liegst hier also
sehr, sehr falsch.


> > Okay. Eine Supermacht wird langfristig fast immer stärker sein, als
eine
> > kleine miese Terroristenbande. Es ist mir entfallen: wie sind wir noch
> > einmal auf dieses Thema gekommen?
>
> Die Frage war, ob die Goldene Regel anwendbar ist, wenn grosse
> Machtunterschiede bestehen.  Meine These war, dass auch bei extremen
> Machtunterschieden normalerweise ein Sanktionspotential des
> Schwächeren besteht, und in diesem Fall die Goldene Regel Vorteile
> bringt, auch für den Stärkeren.
>
> Bin Laden war Beispiel für das Sanktionspotential Schwächerer heute.

Es geht nicht um ein "ob," sondern um ein "wieviel." Er mag den USA zwar
geschadet haben (falls er es denn war), diese können ihm aber mehr schaden.
Daraus folgt, dass es für die USA als stärkere Partei nicht rational ist,
ihm nicht das anzutun, was sie selbst nicht wünscht, das ihr angetan wird,
denn die Möglichkeit zur Tit-for-Tat-Antwort besteht für ihn als
Schwächeren gar nicht. Man kann als Terrorist einen Rissen wie die USA nur
mit Nadelstichen reizen, umbringen wird ihn das aber nicht. Die (Un-)
Verantwortlichen in der Politik haben immer den Vorteil, dass sie, im
Gegensatz zu oppositionellen Kräften, nie das eigene Geld und das eigene
Leben aufs Spiel setzen müssen. Das erweist sich als höchst praktisch.


> >> Du verwechselst immer wieder die Möglichkeit, auf den Protest zu
> >> scheissen, mit der Frage, ob es optimal ist, auf den Protest zu
> >> scheissen.
> >> Es ist sicherlich möglich, 70 Jahre lang auf die Wünsche aller Bürger
> >> zu scheissen, hat die SU bewiesen. Nur optimal war es kaum.
> >
> > Wir sprechen hier immer von Netto-Gewinnen und Netto-Verlusten, vom
> > Langfristigen und über Prinzipien. Du wirfst alles mögliche in einen
Topf,
> > ohne ausreichend zu differenzieren. Wenn in deinem Beispiel das Volk
der SU
> > die Macht hatte, das Sowjet-Regime zu kippen, dann war es eben stärker.
>
> Die hatte es ja nicht.

Wenn es das Regime gekippt hat, hatte es die Macht ja wohl offensichtlich.


> > Dass es seine Stärke nicht früher eingesetzt hat, bedeutet nicht, das
es
> > schwächer war, sondern, dass es Opfer seines falschen Bewusstseins
gewesen
> > ist. Das tatsächliche Machtverhältnis und die tatsächlichen
> > Interessengegensätze wurden durch eine Ideologie verschleiert.
>
> Falsch. Die Ideologie hat den Leuten eingeredet, es wäre ihre Macht,
> aber sie wussten sehr wohl, dass es nicht ihre Macht ist.  Es war die
> diktatorische Macht der KP.  Sie hat auf die Interessen der Massen
> geschissen, _konnte_ das weil sie stärker war.

Dann bestand, wie ich es gesagt habe, ein ideologisch verschleierter
Interessengegensatz. Das Volk wähnte sich an der Regierung, während es das
in Wirklichkeit die KP war. Die "Stärke" der KP bestand dann aber nicht im
Bereich des Physikalisch-Militärischen, sondern im Bereich des
Psychologisch-Ideologischen. Die KP hat den Mangel an "Muskelkraft" durch
eine höhere Rationalität ausgeglichen und damit das an Muskelkraft
überlegene Volk in Schach gehalten. So funktioniert das immer noch.


> Die Massen haben sich mit ihrem Sanktionspotential gerächt.  Faulheit
> am Arbeitsplatz, Diebstahl, Korruption.  Amerika hat die Interessen
> seiner Bürger weitaus eher berücksichtigt, und wurde daher auch nicht
> durch seine Bürger abgestraft.  Ob die amerikanische Regierung es
> gekonnt hätte, so zu handeln wie Stalin, ist eine andere Frage.  Fakt
> ist, dass so zu handeln wie Stalin eben langfristig keine erfolgreiche
> Strategie ist.

"Langfristiger Erfolg" in bezug auf was? Stalin war der erfolgreichste
Kriminelle (Politiker), den die Geschichte je gesehen hat. Ich bin aber
über den Status seiner Nachkommen nicht informiert, du könntest mit deiner
Aussage also doch recht haben.


> >>> Das hat nichts mit ethischen Prinzipien (im herkömmlichen Sinne)
> >>> zu tun, sondern mit volkswirtschaftlichen. Dass westlichen Staaten
> >>> über mehr finanzielle und militärische Ressourcen verfügen, hat
> >>> zwar etwas mit "Kapitalismus," nicht aber mit Rechtsstaatlichkeit
> >>> zu tun.
>
> >> Nein, es hat viel mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.
>
> > Ich benötige schon eine Begründung, um dein Urteil als wahr
> > anerkennen zu können. Mit einem "nein" ist es bei mir nicht
> > getan. Führe dir Beispiele wie Singapur vor Augen.
>
> Ich schrieb nichts von Demokratie.  Mit der Situation in Singapur was
> Rechtsstaatlichkeit betrifft bin ich nicht sehr vertraut.
> Rechtsstaatlichkeit hat schon von vornherein viel mit Kapitalismus zu
> tun, weil Nicht-Rechtsstaaten sich fast immer am Eigentum ihrer Bürger
> vergreifen und sich daher Kapitalismus kaum frei entwickeln kann.

Auch ein sozialistischer Staat kann "rechtsstaatlich" sein (siehe
Deutschland). Du kannst auch mit rechtsstaatlichen Mitteln Eigentumsrechte
mit den Füßen treten. Es bleibt also bei meiner Feststellung, dass das eine
mit dem anderen grundsätzlich nichts zu tun hat, selbst wenn in der Praxis
eine gewisse Korrelation festzustellen ist.


> >>> Es gibt für die Maximierung der Staatseinnahmen einen optimalen
> >>> Steuersatz, der eben nicht 90% beträgt.
> >>
> >> Klar.
>
> > Und der Staat der das erkannt hat, wird seine Finanzlage und damit
seine
> > militärischen Möglichkeiten verbessern können.
>
> Richtig. Und es gibt für die Maximierung von Sicherheit auch optimale
> Strafen, Prozessordnungen etc, die eben nicht in 25 Jahren GULAG für
> einen politischen Witz ohne Gericht bestehen.

Eine sehr aufgeklärte und überaus löbliche Einstellung. Aber wenn du eine
Maximierung der Sicherheit anstrebst, müsstest du doch auch die
Vergewaltigungen der Privatsphäre unschuldiger Bürger mit abweichenden
Ansichten befürworten, oder? Und warum da haltmachen, wenn die Technologie
einen flächendeckenden Orwellianismus ermöglicht, schließlich könnte ja
jeder mal gegen ein Gesetz verstoßen...


> >> Aber die erste Frage ist doch, ob es überhaupt optimal für ihn ist,
> >> mich zu bekämpfen.
>
> > Das könnte in der Tat eine sehr ungünstige Haltung sein, die aber auch
> > nicht notwendig werden muss. Jemanden zu bekämpfen, der sich für die
> > Wahrheit entschieden hat, kommt langfristig immer einem Selbstmord
gleich.
> > Diese Erfahrung hat die Kirche in der Vergangenheit machen müssen.
>
> Ich biete ihm von vornherein eine Kooperation an, mit der er leben
> kann.  Der einzige Grund, darauf nicht einzugehen, ist der IMHO
> irrationale Glauben, dass mein Modell nicht funktioniert.

Ich glaube, die meisten Menschen sind gegenüber guten Angeboten zur
Kooperation aufgeschlossen, wenn diese auch deutlich in der entsprechenden
Ernsthaftigkeit gemacht werden. Die Rationalität einer Strategie zu
bewerten, kann nur durch eine objektive Prüfung der Lage gewährleistet
werden. Doch zu dieser Orientierung muss es erst einmal kommen.


> >>>>> Es ~kann~ für den Stärkeren durchaus rationaler sein, die Kosten
> >>>>> einer Kooperation einzusparen, und sich gleich einfach das zu
> >>>>> nehmen, was er will. Verstehst du mich?
> >>>>
> >>>> Ich verstehe dich. Im Prinzip kann es das, und es gibt durchaus
> >>>> Situationen in denen es auch so ist. Und in diesen Situationen wäre
> >>>> es dann auch ethisch gerechtfertigt, so zu handeln.
> >
> >> Der Unterschied in diesem Teilthread ist IMHO lediglich die graduelle
> >> Frage -- ist in _typischen_ Situationen eines Machtungleichgewichts
> >> die Anwendung der Goldenen Regel für den Stärkeren rational oder
nicht?
> >
> > Das bezweifele ich, und sogar du selbst hast mir dabei recht gegeben:
siehe
> > oben!
>
> Ich sehe keinen Widerspruch - oben steht "im Prinzip", unten steht
> "typische Situation".

Gut, ich hätte dein "im Prinzip" als unzulässige Relativierung meiner
ohnehin gegebenen Relativierung sofort rügen sollen. Ich habe sie bei
meinem Widerspruch nicht berücksichtigt. Es ist aber immer noch so, dass
grade (auch) in ~typischen~ Situationen die Anwendung der Goldenen Regel
durch den Stärkeren für ihn nicht notwendig, und wahrscheinlich sogar
schädlich IST.


> > Langfristig müsste sich aber Wahrheit und Aufklärung gegenüber Lüge
> > und Konformismus durchsetzen.
>
> In einer Demokratie sehe ich da wenig Hoffnung.  Der demokratische
> Wahlkampf leidet am Problem der rationalen Ignoranz: für den Einzelnen
> lohnt es sich nicht, sich über das beste Wahlprogramm Gedanken zu
> machen, da seine Stimme sowieso nichts entscheidet.  Und selbst wenn,
> hat er von seiner Leistung nur einen 1:80Mio Anteil am geschaffenen
> Nutzen, also ein klassisches common good problem.

Ich gestehe, dass ich mit dem Begriff der "rationalen Ignoranz" zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nur wenig anfangen kann. Ich glaube aber, dass man
auch die Kosten der Informationsbeschaffung und -Auswertung auf mehrere
Personen verteilen kann, so dass sich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag
in diesem Bereich verbessert. Wovon ich aber auf jeden Fall überzeugt
bleibe, ist, dass sich langfristig die Wahrheit immer gegenüber der Lüge
durchsetzt, selbst wenn diese im Einzelfall ihre Funktion erfüllt.


> >> Nimm an, du leitest auf komplizierte Weise eine Strategie ab, die sich
> >> in einer einfachen Regel formulieren lässt. Diese einfache Regel
> >> zu befolgen schaffen auch Dumme, dem Beweis zu folgen nur wenige.
> >> (das sind ja die ethischen Regeln alle).
>
> > Das ist mir zu abstrakt. Kannst du ein Beispiel anführen?
>
> Nimm unsere lange Diskussion zur Frage, wann die Goldene Regel
> rational anwendbar ist.  Die Regel selbst kann jedes Kind auswendig.

Mag sein, das ich jemand bin, dem sehr wohl der eigene Nachvollzug der
Beweisführung wichtig ist, bevor ich eine Position akzeptieren kann. Aber
ich bin ja eh nicht normal, und meine Erfahrungen sind einer besonderen
Vertrauensseligkeit auch nicht grade förderlich... Wenn ich eine
Argumentation "nachbauen" kann, kann ich auch dazu stehen. (Ich glaube, in
der Wirtschaft wird das als "Back-Engineering" bezeichnet, oder so.) Das
ist auch der Grund warum ich mich mit solchen Fragen beschäftige. Auf der
einen Seite bin ich brennend an diesen Themen interessiert, auf der anderen
Seite klingt das, was dazu so verlautbart wird, alles so unlogisch und
dumm, das es mir jedes Mal den Magen umdreht. Was bleibt mir da anderes
übrig, als selbst nach der Wahrheit zu suchen? Wie kompliziert es zur Zeit
(in dieser Diskussion) auch aussehen mag, ich bin überzeugt, dass die
Wahrheit eine elegante Integration von wundervoller Klarheit und
Einfachheit ist, die darauf wartet, entdeckt zu werden. Ich kann mir keine
schönere Aufgabe vorstellen, als mich ihr anzunähern und sie zu vermarkten.


> >>> Es ist nicht die Frage, ob Kooperation Vorteile bringt, sondern,
> >>> ob sie die im Vergleich zu anderen Strategien ~größten~ Vorteile
> >>> bringt.
>
> >> Einverstanden.
>
> > Fantastisch! Dann wirst du ja deine Verabsolutierung des
> > Kooperations-Gebots bald fallen lassen. Warum dauert das bei dir nur
> > so lange?
>
> Ich habe nie was verabsolutiert, schon gar nicht ein
> Kooperations-Gebot.  Du solltest aus dem oberen Teil wissen, dass ich
> nichts vom Verabsolutieren meiner Meinungen ausserhalb von Mathematik
> halte.

Gut, das habe ich tatsächlich durcheinandergebracht: du hast kein
Kooperations-Gebot verabsolutiert, sondern m.E. die Beachtung der Goldenen
Regel. Aber du sagst ja, dass du hier vom Verabsolutieren deiner Meinung
nichts hältst. Das gilt doch auch für die Beachtung der Goldenen Regel,
oder habe ich dich jetzt wieder missverstanden? Und dann würde mich da noch
eine Frage interessieren, der wir bisher noch keine Aufmerksamkeit gewidmet
haben: Was soll mit demjenigen geschehen, der gegen das von dir vertretene
Golden Rule-Prinzip ~in eklatanter Weise~ verstoßen hat? Golden Rule
bedeutet ja, dass man anderen nicht das antun soll, was man selbst auch
nicht akzeptieren würde. Ich versuche jetzt einmal einige Beispiele zu
formulieren, damit du mir sagen kannst, ob ich das Prinzip auch richtig
anzuwenden verstehe: Wenn ich nicht will, dass man bei mir Einbrüche
begeht, werde ich auch bei dir keinen Einbruch begehen. Wenn ich nicht
will, dass man den Lebensweg der Frau zerstört, mit der ich eine Familie
gründen wollte, werde ich auch nicht den Lebensweg deiner Frau irreparabel
zerstören. Wenn ich nicht will, dass man meine Privatheit und Intimsphäre
vergewaltigt, werde ich auch nicht in deine Privatheit und Intimsphäre
vergewaltigen. Wenn ich nicht will, dass alles was ich anfange gründlich
sabotiert wird, werde ich auch nicht alles was du anfängst gründlich
sabotieren. Wenn ich nicht will, dass man verantwortungslos meine
Gesundheit gefährdet, werde ich auch nicht mit deine Gesundheit
verantwortungslos gefährden. Wenn ich will, dass man mich in Ruhe lässt,
werde ich auch dich in Ruhe lassen. Wenn ich nicht will, dass man mich
sehenden Auges in eine Falle laufen lässt, werde ich dich auch nicht
sehenden Auges in eine Falle tappen lassen. Das sind doch korrekte
Beispiele, oder? Nun, was macht man mit so jemandem, so einem Arschloch,
das so viel Trauer und Leid verursacht hat in einer Golden Rule-Anarchie?
Manche Fälle sehen so aus, dass durch die Verletzung der Golden Rule die
Aussicht ein normales Leben zu führen ein für alle mal, gründlich und
irreparabel beschädigt wurde... Ein gesenkter Blick alleine wird es hier
wohl kaum tun. Ich meine, zum Glück passiert so etwas in unserem
wunderbaren Land nicht, zumindest nicht, ohne durch die entsprechenden
Gerichte geahndet zu werden. Aber was ist in deiner Golden Rule-Anarchie
für diesen Fall vorgesehen, wo wir keinen fürsorglichen und gutmeinenden
Staat haben, der auf uns aufpasst? Eine theoretische Ausarbeitung zu diesem
Thema würde mich wirklich interessieren. Möglicher Titel: "Golden Rule --
Wenn das Kind bereits in den abgrundtiefen Brunnen geworfen wurde".


> > Schönes Zitat zum Schluss: "Die Wahrheit ist absolut und objektiv. Wäre
sie
> > es nicht, könnten wir uns niemals irren. Dann wären unsere Irrtümer
genauso
> > gut wie unsere Wahrheiten." (Popper, Sir K.R. "Alles Leben ist
> > Problemlösen")
>
> Sehe ich auch so.

Also gibt es absolut wahre und objektive Aussagen, und du hast bloß deinen
Popper nicht richtig gelesen.

alexander

 

 

#9 (08.11.01)

Objektivismus.de > Schmelzer


========================================
On Karl Popper and Scientific Method

Laissez Faire Books: Many libertarians know Karl Popper for his book The
Open Society and Its Enemies, and you discuss some of Popper's ideas about
scientific method in Invariances.

Robert Nozick: The book contains a page on Karl Popper's philosophy of
science, and a new argument against his anti-inductivism. Popper is famous
for saying that induction can't be justified, that the only inferences that
data support are to deductive consequences of the data, and that by
deducing some observational consequences of the hypotheses and checking to
see if these hold, we test hypotheses, but we never have reasons for
thinking that a hypothesis that has passed tests in the past will continue
to pass those tests. We have no more reason for thinking it will than that
it won't, or than that some other heretofore untested hypothesis will pass
its future tests. Yet Popper does believe in the standard practice of
testing hypotheses in a wide variety of circumstances. The degree of
corroboration of hypotheses, according to Popper, is a historical statement
about how severely that hypothesis has been tested.

There is no justifiable prediction about how the hypothesis will hold up in
the future; its degree of corroboration simply is a historical statement
describing how severely the hypothesis has been tested in the past. That's
Popper's view.

What hadn't been realized in the literature until now is that merely to
describe how severely something has been tested in the past itself embodies
inductive assumptions, even as a statement about the past. Of course,
Popper accepts the usual methodological maxims about testing. Testing a
hypothesis in a variety of circumstances or under a variety of conditions
constitutes a more severe testing than simply repeating the same type of
test under very similar conditions. Suppose I look at a certain type of
case: the color of animals of a certain sort in a geographical area. The
hypothesis is that all animals of this sort have the same color. You say,
"OK, let's check it again," and I look in the same place for another animal
of the same species. You say, "Let's check it again," and I look in the
same place. You say, "Let's check it somewhere else. " And I say, "Why?" A
severe test is checking something in an area or arena where, if the
hypothesis is false, it's most likely to show its falsity, given your
background beliefs. The fact that we don't keep repeating tests in the same
arena is not because the probability of the hypothesis showing its falsity
in other arenas goes up after it has passed tests in one arena.[!] It's
that the probability of its showing its falsity in that arena goes down
after it's been tested there. If that didn't happen, then the severest test
would continue to be in the same arena.

LFB: There would be no reason to do a wider range of tests.

RN: Right. So in describing how severely something has been tested in the
past, we're already assuming, in assessing that degree of severity, that
the probability of a hypothesis changes on the basis of its passing tests.
The probability of its being falsified in an arena changes, it gets
lessened, on the basis of its already having passed some tests in that
arena.

LFB: So is this a reason to feel more optimistic about our ability to learn
facts about the world, or a reason to become doubtful about the existing
methodology?

RN: Well, it's a reason for thinking that Popper's theory is incoherent.
Before, everybody said, "These are crazy consequences, that we have no more
reason to think if we jump out the window that we'll fall down rather than
float up," [!] or something like that. Popper's anti-inductive conclusions
were always held to be counterintuitive, even ridiculous, but he swallowed
them, and so did his followers. Now I'm saying something stronger than has
been said thus far, namely, that their view is incoherent. They can't
maintain the combination of views they do: that degree of corroboration is
a measure of degree of severity of past tests (that have been passed), that
you have to have varied tests, and that there's no inductive conclusion
that one can ever reach.
========================================

Notzick hat in diesem Interview auch etwas zur Biologie in der Ethik zu
sagen:
http://www.laissezfairebooks.com/index.cfm?eid=358

in Teil 2 auch etwas über Randianische Epistemologie:
http://www.laissezfairebooks.com/index.cfm?eid=359

Mit freundlichem Gruß,
alexander fürstenberg


___________________
Philodata Verlag und
Seminarmarketing e.K.

www.Philodata.de
www.Objektivismus.de

 

 

#10 (03.12.01)

Schmelzer > Objektivismus.de

 

So, mein Spinor-Artikel ist fertig.

"alexander ch. fürstenberg" <RationalEvidence@gmx.de> writes:
>>> Du meinst, Gewissheit über den (zukünftigen) Ausgang von
>>> Experimenten kann nie und nimmer möglich sein? Das stimmt
>>> nicht. Es kann z.B. Gewissheit darüber bestehen, dass der Ausgang
>>> eines bisher noch nie getätigten Experiments offen ist.

>> Sowas läuft für mich eher unter Wortspielereien.

> Wenn du dir nicht sicher bist, ob das lediglich Wortspielereien sind
> oder nicht, lass dir durch mich an dieser Stelle versichert sein,
> dass das definitiv nicht der Fall ist!

Nun, was die wirklich interessanten Fragen betrifft, gibt es keine
Sicherheit. 

Dein Beispiel ist eher Unterstützung für diese These.  Denn wirklich
interessant ist ja die Frage, wie ein Experiment, was ich morgen
durchführen will, ausgehen wird.  Und irgendetwas ist am morgigen
Experiment ja anders als in vorherigen ähnlichen Experimenten, also
ist es im Prinzip ein "bisher noch nie getätigtes Experiment", sein
Ausgang also offen.

>> Mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit habe ich kein
>> Problem. Es ist jedoch eine Phrase - denn es gibt keinen, der diese
>> Wahrscheinlichkeit ausrechnen könnte, zumindest nicht mit Sicherheit.

> Man kann alles mit Sicherheit ausrechnen, auch die empirisch
> festgestellten Standardabweichungen um einen Wert herum. Diese
> Phrase könnte z.B.  bedeuten: Gewissheit, dass die
> Wahrscheinlichkeit 99,75% +/- 0,25% beträgt.

Die hast du eben nicht.

>>> Worauf sich die verschiedenen Skeptizismus-Varianten auch immer
>>> beziehen, sie haben alle gemeinsam, dass sie die Möglichkeit der
>>> Gewissheit über zumindest einen Teilbereich der Existenz
>>> bestreiten... und zwar mit Gewissheit.

>> Wie wärs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit?

> Von mir aus auch die Gewissheit über die an Sicherheit grenzender
> Wahrscheinlichkeit. Das Element der Gewissheit kannst du im Denken
> aber nie entfernen, höchstens zurückdrängen. Bleiben wird es dennoch
> immer, auf welcher Ebene das auch immer sein wird.

Wozu sollte ich irgendwas entfernen wollen?  Ich mache mir lediglich
keine Illusionen. Was die Standardabweichungen betrifft, scheinst du
erhebliche zu haben: die geben eher die untere Grenze der Ungewissheit
an (aber auch die nicht mit Gewissheit ;-)) als dass sie irgendwelche
Gewissheit bieten würden.

Ansonsten versuche ich gerne mit, den Bereich der Gewissheit soweit es
geht auszudehnen.  Ich wäre dafür, mathematische Beweise als Standard
in computerüberprüfbarer Form zu schreiben und von Computern
überprüfen zu lassen, würde den Grad der Gewissheit erheblich erhöhen.
Menschen sind im Fehlerfinden in formalen Beweisen eher schlecht.
Dann blieben Fehler der Programmierer der Überprüfungssoftware -
nunja, mehrere unabhängige Teams sollten da helfen, aber ich habe
schon so viele Compilerfehler gesehen in meinem Leben dass ich von
völliger Gewissheit eigentlich trotzdem nicht sprechen würde.

Aber, wie gesagt, ich komme dir in der Mathematik gerne entgegen und
streite nicht die Gewissheit ab, dass 1+1=2 ist.  Ich denke auch, dass
wir in gewissen metaphysischen Fragen Gewissheit erlangen können: z.B.
die Gewissheit, dass eine bestimmte metaphysische Theorie metaphysisch
ist, also durch Empirie nicht widerlegt werden kann, und ihre Annahme
daher möglich ist.

>>>> Inwieweit Konventionen wahr oder falsch sein können ist mir völlig
>>>> unklar.

>>> Indem die Theorien, auf denen sie beruhen, wahr oder falsch sind.

>> In der Mathematik nennt man Definitionen in Fällen, in denen sie auf
>> falschen Theorien beruhen, inkorrekt.

> Wie nennt man dann Definitionen, die auf wahren Theorien beruhen?
> "Korrekt"?

Wenn nichts anderes dagegen spricht, ja.

> Wenn etwas nicht korrekt ist, muss es im Gegenzug dazu etwas
> geben, was korrekt ist. Oder worauf wolltest du damit hinaus?

Darauf nicht. Ich wollte dich nur über den Sprachgebrauch in
Mathematik und Naturwissenschaft informieren, der aus gutem Grund
nicht von wahren oder falschen Definitionen spricht, sondern von
korrekten und inkorrekten.

>>>> Wie soll ich einer Sprache das Attribut "Wahrheit" zuordnen?

>>> Einer "Sprache" selbst nicht, aber den Begriffen, die sie
>>> repräsentiert.

> [Diese Unterscheidung ist wichtig. Du kannst nicht sagen, ein Label sei
> falsch, wenn du nicht berücksichtigst, was es bezeichnen soll.]
>
>> Auch bei den Begriffen sieht es nicht unbedingt besser aus.
>
> Doch, hier schon. Denn es gibt Wörter (also audio-visuelle Symbole), die
> keine genuinen Begriffe repräsentieren, sondern Pseudobegriffe, die in der
> Realität keine Entsprechung haben, also nicht auf Wahrnehmungsdaten
> zurückgeführt werden können. Diese "Begriffe" sind falsch.

Die allermeisten Begriffe können (als Begriffe) nicht auf
Wahrnehmungsdaten zurückgeführt werden, sondern sind Teil einer
Theorie.  Die Theorie in ihrer Gesamtheit macht evtl. (wenn es eine
empirische ist) empirisch überprüfbare Voraussagen, wodurch sie
sich bewährt.

>>>> Empirische Theorien machen Voraussagen über den Ausgang von
>>>> Experimenten. Zum Beispiel "morgen früh geht die Sonne auf". Ob
>>>> diese Aussage wahr ist oder falsch, stellt sich morgen früh heraus.
>>>> Philosophische (metaphysische) Theorien machen hingegen keine solchen
>>>> empirisch nachprüfbaren Behauptungen.

>>> Lass uns das mal an einem (von dir gewählten) Beispiel testen.

>> "Es gibt eine Realität" als philosophische Theorie. Der berühmte
>> Stein, der einem Solipsisten auf den Zeh fällt, beweist ihm ja
>> bekanntlich nichts - er bildet ihn sich ja nur ein.

> (1) Der Solipsismus ist eine Pervertierung des Denkens, der man mit
> logischer Argumentation nicht beikommen kann. Für mich zählt er deshalb zu
> den "Philosophien," die eigentlich Geisteskrankheiten sind.

Was willst du jetzt eigentlich beweisen oder getestet bekommen?  Oben
steht die Definition empirischer Theorien.  Ich habe ein Beispiel
zweiner nichtempirischer Theorien gegeben.  Du hältst eine für eine
Geisteskrankheit und die andere für wahr, und für beide hast du kein
Beispiel angegeben dass sie empirisch widerlegt werden kann.  Darüber
sind wir uns also scheinbar einig.

>>> Setzt Popper alle Philosophie mit "Metaphysik" gleich oder nur
>>> Teilbereiche? Wenn nur Teilbereiche, welche sind für ihn dann
>>> Wissenschaft?
>>
>> Also eine Abgrenzung zwischen Metaphysik und Philosophie kenne ich von
>> ihm nicht. Er betont aber, was ich für inhaltlich wichtiger halte,
>> immer wieder die Notwendigkeit von Metaphysik als Bestandteil
>> wissenschaftlicher Theorien.
>
> (1) Die Frage war die nach seiner Abgrenzung von Metaphysik und
> Wissenschaft, nicht von Metaphysik und Philosophie!

Dann kann ich offensichtlich nicht lesen.  Die Abgrenzung zwischen
Metaphysik und empirischer Wissenschaft siehe oben.  Philosophie
darfst du gerne als Wissenschaft bezeichnen, aber nach meiner
Klassifikation ist sie nicht empirische Wissenschaft.

> Du kannst also ~nicht~ erklären, wo empirische Aussagen anfangen,
> und philosophische beginnen?! Du führst mich mit dieser
> Pseudo-Unterscheidung die ganze Zeit an der Nase herum!
> Unglaublich. Jetzt bleibe ich erst recht bei meiner Position!

?????????????

Die Unterscheidung existiert.  Eine Theorie ist nach Popper empirisch,
wenn sie Voraussagen über Experimente macht, und was das bedeutet ist
vom theoretischen Standpunkt aus gesehen einfach.  Kannst du etwas
über den Ausgang eines Experiments voraussagen oder nicht?  Erkennst
du an, dass die Theorie falsch ist, wenn das Experiment, morgen
durchgeführt, was anderes ergibt als du vorausgesagt hast? 

In der Praxis ist es leider komplizierter, wegen der vielen
potentiellen Unsicherheiten die deiner Meinung nach gar nicht
existieren dürften.

> (2) Wenn in ~jeder~ wissenschaftlichen Theorie nicht belegbare,
> metaphysische Bestandteile enthalten sind, dann kann ja niemals
> irgendeine wahre Aussage formuliert werden!

Aber sicher können wahre Aussagen formuliert werden.  1+1=2.  Es gibt
für n>2 keine ganzzahligen Lösungen von x^n+y^n=z^n. Es gibt eine
Realität. Die Erde ist keine Scheibe.  Es gibt drei Familien von
Fermionen. All dies sind vermutlich wahre Aussagen.  Man kann den Grad
ihrer Sicherheit quantitativ und qualitativ unterscheiden.  Trotzdem
können natürlich wahre Aussagen formuliert werden.  Wenn die letzte
der Aussagen nicht wahr sein sollte, ist "Es gibt nicht drei Familien
von Fermionen" eben wahr.

> Das stünde dann nicht nur in Widerspruch zu Poppers Zitat am Ende
> dieser Mail, sondern auch zur Notwendigkeit, überhaupt wahr von
> falsch zu unterscheiden. Warum werfen wir dann nicht gleich die
> Unterscheidung Wahr/Unwahr über Bord, und labern einfach nur so
> dahin, Geräusche emittierend, die keinerlei Bedeutung mehr haben?
> Das ist krank!

Das wäre in der Tat krank.

> Ob Chinesisch oder Deutsch oder Englisch, ob Keilschrift oder Kyrillisch
> oder Hieroglyphen, ist NICHT essenziell, sondern nur, welche Begriffe
> diese Sprachen oder Schriftzeichen bezeichnen! Es tut überhaupt nichts zur
> Sache, welches Symbolsystem du verwendest, selbst wenn wir die
> Notwendigkeit eines solchen anerkennen.

Die Definition ist die Zuweisung eines solchen Symbols zu einem
Begriff. Wenn das Symbol nichts zur Sache tut, nun, dann brauchen wir
uns über Definitionen eigentlich nicht weiter zu unterhalten.

>>> (3) Du hast immer noch nicht die Frage beantwortet, warum ich eine
>>> Aussage von dir für wahr halten soll, die du nicht einmal selber für
>>> wahr hältst!

>> Entschuldigung, ich lege Wert auf die Unterscheidung zwischen
>> Definition und nichttrivialer Aussage. Die Definition, den Nachfolger
>> der 1 mit 2 zu bezeichnen, ist korrekt und sinnvoll. Hat man sich auf
>> sie geeinigt, ist "2 ist Nachfolger von 1" im Rahmen dieser Einigung
>> meinetwegen auch eine (triviale) Wahrheit.

> (1) Korrespondiert bei dir nun "sinnvoll" mit "wahr" oder nicht?
> Oder kann bei dir etwas Unwahres "sinnvoll" sein?

Nicht nur bei mir, sondern in der Standardverwendung von "sinnvoll"
ist mit einer Aussage auch ihre Negation sinnvoll.  Falsche Aussagen
sind somit sinnvoll.  Hier ging es allerdings um Definitionen.

> (2) Abgesehen davon interessiert es mich in diesem Kontext nicht die
> Bohne, dass du ein Zeichensystem oder eine Definition für
> "sinnvoller" hältst als ein anderes. Mich interessiert nur, ob das
> was diese Zeichen oder Definitionen repräsentieren, wahr oder unwahr
> ist.

Nochmal: Definitionen sind keine Aussagen, sondern Festlegungen,
Konventionen.

> Wenn du dich um die Aussage herumdrückst, dass das was du sagst wahr
> IST, werde ich mit Sicherheit dabei bleiben, das für wahr zu halten,
> was ~ich~ gesagt habe.

Nun, was du für wahr hältst, ist deine Sache.  Wenn ich eine Aussage
mache, tue ich es entweder weil ich sie für wahr halte.  (Oder weil
ich dich betrügen will, wozu ich allerdings keinen Grund habe.  Musst
du aber trotzdem selbst rausfinden.)

> Du hast mir also immer noch nicht die Frage beantwortet, warum ich
> eine Aussage von dir für wahr halten soll, für die du noch nicht
> einmal selber Wahrheit reklamierst!

Also erstmal ist mir egal ob du meine Aussagen für wahr hältst.  Ich
beteilige mich am Gespräch, um von dir sinnvolle Argumente und
Aussagen zu erhalten.  Ob und wieviel ich mit ihnen anfangen kann,
werde ich sehen.

>> "2 =def Nachfolger von 1" ist eine Definition des Symbols '2' ohne
>> Wahrheitswert,
>>
>> "2 ist Nachfolger von 1" ist eine wahre Aussage, die direkt aus der
>> Definition folgt.
>
> Blabla. Was macht bei dir den Unterschied zwischen einer "sinnvollen" und
> einer "sinnlosen" Definition oder -- allgemeiner -- Aussage aus?

oo ist die natürliche Zahl, die grösser ist als jede andere natürliche Zahl.
@ ist die natürliche Zahl, die mit 0 multipliziert 20 ergibt.

Dies sind Beispiele sinnloser Definitionen.  (Es sind keine wirklich
guten Beispiele dafür, da es gibt durchaus Kontexte gibt, in denen
ähnliche Definitionen sinnvoll sein könnten: Kontexte, in denen man
noch nicht weiss, dass es die so definierten Objekte nicht gibt, und
aus der Annahme ihrer Existenz einen Widerspruch herleitet.  Der
typische Fall sinnloser Definitionen ist leider etwas komplizierter,
er betrifft Definitionen von Operationen auf Mengen über ihre
Elemente.)

>>>> Falsche Aussagen [sind?] auch sinnvoll. Zumindest ist das der
>>>> Standardgebrauch des Wortes "sinnvoll" bei den Logikern.

>>> Dann setzt du also "sinnvoll" mit "widerspruchsfrei" gleich?

>> Nein, etwas was zu Widersprüchen führt ist falsch. Aber etwas was
>> falsch ist ist (nach dem logischen Begriff) sinnvoll. Wobei der
>> Begriff "sinnvoll" in der Logik, auf Aussagen bezogen, eine etwas
>> andere Bedeutung hat als der Alltagsbegriff, aber auch als der Begriff
>> "sinnvoll" wie ich ihn auf Definitionen beziehe.

> Wie kann etwas Widersprüchliches "sinnvoll" sein?? Gibt mir bitte ein
> Beispiel hierfür.

Nunja, nehmen wir obiges Beispiel einer im gewöhnlichen Kontex
sinnlosen Definition von oo.

Aufgabe: Beweise dass es keine grösste natürliche Zahl gibt.  Beweis:
Wir nehmen an, es gäbe eine grösste natürliche Zahl. Diese bezeichnen
wir mit oo. Jede natürliche Zahl n hat einen Nachfolger n' (Axiom).
Also hat oo einen Nachfolger oo'. Der Nachfolger ist grösser als sein
Vorgänger (aus der Definition von >).  Demzufolge ist oo'>oo.
Demzufolge gibt es eine Zahl >oo, im Widerspruch zur Annahme.

Dies ist ein völlig sinnvoller und korrekter Beweis. 

>> Eine widerspruchsfreie Theorie ist ein wichtiges Konzept. Nur eine
>> widerspruchsfreie Theorie kann wahr sein. Um Teil der empirischen
>> Wissenschaft nach Popper zu sein, braucht sie aber den Bezug zur
>> Realität.

> Langsam beginne ich aber Zweifel zu hegen, ob nach (deiner Darstellung von)
> Popper, überhaupt irgend etwas irgend einen Bezug zur Realität haben kann.
> (1) Deinem ersten und zweiten Satz stimme ich vorbehaltlos zu. (2) Du
> verwendest schon wieder die Unterscheidung empirische Wissenschaft versus
> Metaphysik, obwohl du bereits gestanden hast, dass du keine Ahnung hast,
> wie man diese voneinander abgrenzt.

Nein, das habe ich nicht gestanden.

Nach Popper gibt es empirische Theorien, deren Eigenschaft es ist,
dass aus ihr empirische Voraussagen ableitbar sind, und rein
metaphysische Theorien in denen das nicht geht.  Dies bedeutet aber
noch lange nicht, dass es in den empirischen Theorien _nur_ empirisch
überprüfbare Aussagen gäbe.  (Dieses _nur_ ist das Ideal der
positivistischen Wissenschaft welche keinerlei Metaphysik enthält.)

Empirische Theorien nach Popper enthalten also sowohl empirisch
überprüfbare als auch metaphysische Aussagen.  Was fehlschlägt, ist,
aus den empirischen Theorien nur die empirischen Aussagen zu
extrahieren.

> Gibt es nach Popper so etwas wie eine von philosophischen Aussagen
> "unverseuchte" empirische Wissenschaft oder nicht?

Nein.  Trotzdem gibt es empirische und rein metaphysische Theorien.
Dies sind zwei verschiedene Abgrenzungsprobleme.

>> Missverständnis, ich habe keine Schwierigkeiten damit, zwischen meinen
>> persönlichen Problemen, den Wahrheitsstatus einer Aussage zu
>> identifizieren, und der grundsätzlichen Existenz eines Wahrheitsstatus
>> dieser Aussage zu unterscheiden.

> Du gibst also zu, dass alle Aussagen einen definitiven
> Wahrheitsstaus besitzen (unabhängig davon, ob wir ihn nun
> identifizieren können oder nicht)?

Ja (modulo der Unklarheiten die mit der Bedeutungstheorie verbunden sind).

> Das wäre schon mal ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Besserung.

Ich denke solche Bemerkungen sind unter deinem Niveau.

>> Ich wollte dir das epistemologische Problem erläutern. Grundsätzlich
>> bin ich Realist, die Differenz zum Objektivismus liegt nicht darin.

> (1) Wenn du Realist bist, dann musst du die ~definitive~ Klärung des
> Wahrheitsstatus von Aussagen grundsätzlich für möglich halten.

Nein, es reicht mir völlig, allen meinen Entscheidungen den Status
einer vorläufigen Einschätzung zuzuweisen.  Ein Restskeptizismus
hindert mich nicht am Handeln.

> Wie passt das mit deinem popperschem Skeptizismus zusammen? (2)
> Worin liegt also die Differenz zum Objektivismus?

Am Skeptizismus - der ein ungefährlicher Skeptizismus ist, da er mich
nicht daran hindert, Entscheidungen zu treffen und zu handeln.

>>> Mathematik ist zwar eine "Fach-Sprache," aber dennoch eine Sprache,
>>> die den allgemeinen Denkgesetzen unterworfen ist, die auf Axiomen
>>> beruhen, die NICHT willkürlich sind! Ich weiß nicht, wie das in der
>>> Mathematik ist, aber nach meinem Verständnis sind Axiome alles
>>> andere als willkürliche Setzungen. Wie auch immer die Lage in den
>>> Spezialgebieten des Wissens aussehen mag, die den Denkgesetzen
>>> inhärenten Axiome sind fundamentaler.

>> Vom Status her sind sie willkürliche Setzungen, die sich in
>> Anwendungen bewährt haben.

> Allein die Unterscheidung, ob etwas willkürlich ist oder nicht,
> beruht auf diesen Axiomen. Allein die Unterscheidung, ob sich etwas
> bewährt hat oder nicht, beruht auf diesen Axiomen. Allein dass du
> denkst und sprichst, beruht auf diesen Axiomen. Du kannst nicht
> einmal das von mir behauptete negieren, ohne implizit die Gültigkeit
> dieser Axiome anerkennen zu müssen.  Es gibt überhaupt keine Chance,
> sie irgendwie zu bestreiten, ohne sie zu bestätigen. Dringe ich zu
> dir vor?

Nein.  Wovon du jetzt zu reden scheinst, sind die Thesen die man aus
sowas wie dem Transzendentalpragmatismus rausholen kann.  Ich gebe zu,
dass man aus dem Transzendentalpragmatismus etwas rausholen kann -
nämlich einen gewissen grundlegenden Realismus. (Wir machen Aussagen
über die Realität, und insofern muss es eine Realität geben, über die
wir was aussagen, und unsere Aussagen sind Behauptungen darüber, also
muss Behaupten einen Sinn haben, also bekommen wir einen
Wahrheitsbegriff. Das wars IMHO aber auch schon.)

>>>>>> B ist eine wahre Aussage. Person A glaubt daran das B wahr ist.
>>>>>> Person A vertritt B in einer Diskussion mit Argumenten. A ist
>>>>>> trotzdem ungewiss darüber ob B richtig ist, und hört sich
>>>>>> deshalb auch Argumente gegen B aufmerksam an.  Besteht zwischen
>>>>>> diesen Aussagen irgendein Widerspruch?

>>> JA! (1) Du, der Erzähler weißt, dass B wahr ist. Wenn du jetzt
>>> akzeptieren würdest, dass B gleichzeitig unwahr ist, bestünde hier
>>> ein logischer Widerspruch wir er nicht klarer sein könnte: A = ~A.

>> Tue ich aber nicht.

> Was tust du nicht?

Akzeptieren, dass B gleichzeitig unwahr ist.

> Also bist nicht du es, der sagt, B sei wahr, sondern Person A.

Nein.  Ich sage es (als Erzähler), und A nimmt es hingegen nur an.

>>> (2) A verwendet Argumente, die er für wahr hält (sonst würde er
>>> sie nicht verwenden). Wenn er seine Argumente gleichzeitig für
>>> nicht wahr hält, liegt hier ein Widerspruch vor, nämlich der
>>> zwischen Gewissheit und Zweifel.

>> Argumente haben die Form C=> B. C ist eine wahre Aussage, Person A
>> glaubt daran das C wahr ist, und daher hält Person A die
>> Argumentation C=> B für ein gutes Argument für die Wahrheit von B.
>> Da hier nirgends eine Gewissheit bei A vorliegt, liegt hier auch
>> kein Widerspruch vor.

> Wer sagt hier also, dass C eine wahre Aussage ist?

Keine der betrachteten Personen.  Der Erzähler stellt es fest.

> Unter (1) bestreitest du, dass du derjenige bist, der diese
> Feststellung trifft, also muss es unsere Person A sein, die das tut.

Da hast du was falsch verstanden.

>>> Wie kann er B für richtig halten, und sich darüber gleichzeitig nicht
>>> sicher sein? Ist dir überhaupt klar, was du da sagst?

>> Es ist die übliche menschliche Entscheidungssituation. Du kannst
>> gerne anstelle der Wortwahl "er hält B für richtig" eine andere
>> vorschlagen, z.B. "er vermutet B", wenn du findest, "er hält B für
>> richtig" drücke Gewissheit aus. Nach meinem Sprachgefühl drückt diese
>> Formulierung keine Gewissheit aus.

> Nach meinem "Sprachgefühl" nicht. Etwas für richtig halten, ist
> stärker als eine bloße "Vermutung."

Na gut, da habe ich nichts dagegen.  Stärker darf es ruhig sein, es
gibt ja genügend Aussagen bei denen der Restzweifel nur noch auf rein
philosophischer Basis existiert und von keinerlei praktischer Relevanz
mehr ist.  Von keinerlei praktischer Relevanz bedeutet z.B. dass ich
bereit wäre, ohne zu zögern mein Leben drauf zu verwetten.

>>> Falsch. Selbst die Aussage, man sei sich nicht sicher, wird mit
>>> Sicherheit vertreten! Was du versuchst hier mit mir abzuziehen, ist
>>> ein intellektueller Taschenspielertrick, bei dem du meine Gewissheit
>>> zu Gunsten deiner Gewissheit reduzieren willst.
>>
>> [1] Also, wenn ich statt der (unsicheren) Aussage X immer sage "ich
>> vermute X bin mir aber nicht sicher", wird dies mit der Zeit etwas
>> lästig, ausserdem bringt es niemandem was. [2] Abgesehen davon, dass die
>> interessante Frage ist, ob X gilt, und nicht, was irgendjemand darüber
>> vermutet. [3] Entschuldigung, den Hinweis darauf dass man die Aussage
>> "ich vermute X bin mir aber nicht sicher" mit Gewissheit vortragen
>> kann ist für mich ein Taschenspielertrick. [4] Abgesehen davon, dass
>> der andere sie dir keinesfall mit Gewissheit glauben kann.
>
> (1) Wir müssen in der Kommunikation davon ausgehen, dass eine Aussage genau
> so gemeint ist, wie sie formuliert wurde. Missverständnisse hat derjenige
> zu verantworten, der sich unpräzise ausdrückt. Erst kommst du mir mit, "A
> hält B für richtig." Dann mit "A vermutet B." Daraus wurde schließlich, "A
> vermutet B, ist sich aber nicht sicher." Was soll das? Ich kann dich nicht
> ernst nehmen, wenn du mit ständig neuen Mutationen antanzt.

Die Unterschiede zwischen diesen Varianten sind für die betrachtete
Frage unwesentlich.  Es sind rein quantitative Unterschiede im Grad
der Ungewissheit, aber nicht prinzipielle Unterschiede zwischen
Gewissheit und Ungewissheit.

> (2) Du bringst mich wirklich auf die Palme. Wir versuchen hier doch
> zu klären, ob es kein Widerspruch ist, dass eine Person bezüglich
> einer Aussage zur gleichen Zeit sicher und unsicher ist.

Nein. Keinesfalls.  Die Person ist sich bezüglich der Aussage
unsicher, vertritt sie aber in der Diskussion.  Dazwischen siehst du,
AFAIU, einen Widerspruch, ich hingegen nicht.

> (3) Warum?

Warum nehme ich an einer Diskussion teil?  Normalerweise weil ich mir
bei der Meinungsbildung über die Sachfrage X (X sei eine Aussage über
die Realität, z.B. "Hat bin Laden die WTC-Anschläge organisiert?") die
Meinung und die Begründungen anderer anhören.  Ziel der Diskussion ist
die Meinungsbildung zu X.  Ob ich Gewissheit erhalte, interessiert nur
in Hinsicht auf X.  Dass ich evtl. Gewissheit über die Aussage "A
glaubt, dass X" erhalten kann, ist für mich völlig unwesentlich.

> (4) Das mir der andere was genau bitte keinesfalls mit Gewissheit
> glauben kann??

W sagt "ich glaube fest daran, dass X".  Kannst du ihm dies mit
Gewissheit glauben?  Will er vielleicht nicht doch aus anderen Gründen
einen Vorwand haben, um K zu tun?  W mag also diesen Satz mit
Gewissheit vortragen, aber es bringt niemanden weiter, weil der Hörer
es ihm nicht mit Gewissheit glauben kann.

>>>>> Warum sagst du dann nicht einfach "ja"?

>> Eigentlich war das folgende als Antwort gedacht - eine Situation, in
>> der ich auf Wahrheit meiner Entscheidung nur _hoffen_, sie aber nicht
>> reklamieren kann, aber die Wahrheit für mich _lebenswichtig_ ist, so
>> dass ich keineswegs einfach so "einfach ja" oder "einfach nein" sage:

> Entscheidungen können nicht "wahr," sondern nur richtig oder falsch sein.
> Ich will mal zu deinen Gunsten davon ausgehen, dass du damit "Aussage"
> gemeint hast.

Richtig.

> Wenn die Wahrheit einer Aussage für dich tatsächlich lebenswichtig
> ist, solltest du es nicht bei einer "Hoffnung" belassen, sondern
> meine Position erwägen.

Deine Position hilft leider überhaupt nicht weiter, da ich keinerlei
Mittel habe, um mir Gewissheit zu verschaffen.

>>> Du bist dir sicher, dass die Wahrscheinlichkeit es zu schaffen 10.000:1
>>> beträgt. Und auf Grund dieser Gewissheit handelst du.

>> Nein, dies ist meine grobe Abschätzung. Wenn ich mir darüber sicher
>> sein könnte, wäre das Leben verdammt leicht.

> Du kannst die "Grobheit" deiner Abschätzung auf eine Spanne
> eingrenzen, der du dir gewiss sein kannst, und ich behaupte, dass
> das auf einer bestimmten Bewusstseinebene auch tatsächlich
> geschieht. Wie objektiv diese Abschätzung ist, steht natürlich auf
> einem anderen Blatt.

Nun, was ist eine solche Gewissheit wert, wenn ihre Objektivität
sowieso auf einem anderen Blatt steht?  Gar nichts.

Wie mein Bewusstsein funktioniert ist eine ganz andere Frage,
irgendwelcher Psychoquatsch.  Natürlich treffe ich irgendwo
Entscheidungen, an den Aussagen X,Y,Z jetzt nicht weiter rumzuzweifeln
sondern sie für wahr zu halten.  Sonst könnte ich nicht zu
Entscheidungen kommen und wäre handlungsunfähig.

>>>> Der Transzendentalpragmatismus. Er ist ja an die Hypothese
>>>> gebunden, dass ich mit jemandem kommunizieren will. Handeln (und
>>>> damit mehr oder weniger ethisch handeln) und Vermutungen über die
>>>> Realität (empirische Regeln) aufstellen muss ich aber auch als
>>>> einsamer Schweiger.

>>> Als einsamer Schweiger denkst du aber! Wenn die angebliche
>>> Nichtanwendbarkeit auf die intrapersonale Kommunikation dein
>>> einziges Argument gegen die von mir universal verwendete Regel des
>>> Transzendentalpragmatismus ist, dann ...

>> Warte mal, die Begründung ethischer Regeln haben wir ja schon auf die
>> empirische Wissenschaft zurückgeführt. Schliesslich muss man, wenn
>> man die optimale (=ethische) Strategie herausbekommen will, eine
>> Theorie über die reale Welt zugrundelegen.

> Und? Nicht nur das ich das nicht bestritten habe, du bist auch mit keinem
> Wort auf meine obige Aussage eingegangen.

Das Argument dass ich auch als einsamer Schweiger denke akzeptiere ich
erstmal.  Nur ist es halt nicht mein Einziges, ich habe ein
wichtigeres gebracht, und insofern bin ich auf deinen Text eingegangen.

>> Du darfst also erstmal die absolute Wahrheit für die empirische
>> Wissenschaft herausfinden, und da sieht es sehr schlecht für dich aus.

> Hast du nicht gesagt, die Feststellung der absoluten Wahrheit für
> empirische Aussagen sei nach Popper grundsätzlich unproblematisch?

Nein.  Wie käme ich dazu?

>>> Wie gesagt, du stellst implizit eine Wahrscheinlichkeitsberechnung auf,
>>> derer du dir nicht anders als gewiss sein kannst.

>> Nichts liegt der Realität solcher Überschlagsrechnungen (wenn man sie
>> überhaupt explizit durchführt) ferner.

> Bist du dir dessen sicher? :)

Ja. Genügend sicher :-).

>>>> Dann hätte ich mir einen erheblichen Schnitzer geleistet. Er selbst
>>>> _ist_ eine philosophische Theorie, aber er _betrifft_ empirische
>>>> Theorien.

>>> Und als philosophische Theorie beansprucht er für sich das, was er
>>> empirischen Theorien abspricht?

>> Ja.

Ich sehe, diese Aussage ist zu grob vereinfacht.  Eine Theorie sollte
nie Aussagen über den Wahrheitsstatus ihrer eigenen Aussagen machen,
denn dies führt in Widersprüche.  Aussagen über den Wahrheitsstatus
der Aussagen einer Theorie sind Teil einer Metatheorie, die auf
logischer Ebene von der Theorie selbst zu unterscheiden ist.

Wenn wir das Problem der Selbstanwendung betrachten, haben wir
gewissermassen immer zwei Exemplare der Theorie: einmal die Theorie,
von deren Standpunkt aus geurteilt wird, als Metatheorie, und dann ein
zweites, primitiveres Exemplar der Theorie als Objekt der Betrachtung.

> Moment -- Nur zur Überprüfung, ob ich dich richtig verstanden habe: (1)
> Poppers Skeptizismus, der deiner Aussage nach als philosophische Theorie
> eine lediglich willkürliche (aber doch irgendwie sinnvolle) Konvention ist,
> beansprucht für sich die prinzipielle Sicherheit, die er allen anderen
> Theorien abspricht? Habe ich dich richtig verstanden?

Nein, wir haben einerseits den impliziten Wahrheitsanspruch der
Theorie, der dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie Behauptungen macht.
Andererseits haben wir die Aussagen, die die Theorie über ihre Objekte
macht.  Die Poppersche Theorie (als Metatheorie) sieht auch bei der
Popperschen Theorie (als Objekt) die prinzipielle Möglichkeit, dass
ein wesentliches philosophisches Argument, z.B. einen
Selbstwiderspruch der Theorie, übersehen worden sein könnte.

Andererseits (und in dieser Hinsicht war das "Ja" gemeint) beansprucht
sie für philosophische Theorien (und damit auch für sich selbst als
Objekt) einen prinzipiell anderen Status als für empirische Theorien.

> (2) Und habe ich auch richtig verstanden, dass du keine eindeutige
> Theorie zum Wahrheitsstatus philosophischer Theorien, also auch
> nicht zu Poppers Skeptizismus, vertrittst? Oder machst du hier etwa
> eine Ausnahme?

Ich bin, was den Status philosophischer und mathematischer Theorien
betrifft, durchaus nicht so sicher und überzeugt von der Richtigkeit
des Popperschen Herangehens wie bei der Frage der empirischen
Theorien.  Ich denke durchaus, dass der Transzendentalpragmatismus
hier eine gewisse Chance hat, sofern er nicht zuviel versucht und sich
auf einige zentrale Fragen (wie der Existenz eines Wahrheitsbegriffs
und einer objektiven Realität) beschränkt.

Dem gegenüber steht das Beispiel der reinen Mathematik, die plötzlich,
in einer Phase schönster Erfolge der Mengenlehre, mit
Selbstwidersprüchen konfrontiert wurde, was die Menge aller Mengen
betraf.  Können wir prinzipiell ausschliessen, bei welcher
philosophischen Theorie auch immer, dass so etwas noch einmal
passiert?  Ich sehe dazu im Prinzip keinen Weg.  Aufgrund dieser
Sachlage ziehe ich auch hier noch den prinzipiellen Skeptizismus vor,
vor allem auch, weil ich in ihm kein praktisches Problem sehe.

> Wenn philosophische Theorien das Kriterium der Falsifizierbarkeit nicht
> erfüllen und Poppers Skeptizismus eine philosophische Theorie ist, dann ist
> Poppers Skeptizismus doch "unwissenschaftlich." Heißt das nicht, er würde
> dann über sich selbst sagen, er sei falsch?

Nein.  Er ist nicht unwissenschaftlich, sondern kein Teil der
empirischen Wissenschaft.  Es ist aber völlig natürlich, wenn die
Methode der empirischen Wissenschaft selbst nicht Teil der empirischen
Wissenschaft ist.

Popper sagt keinesfalls, dass metaphysische Theorien falsch seien.
Nichts liegt im ferner.

>>> Wenn diese Unterscheidung, wie ich annehme, nicht wesentlich ist,
>>> dann fällt Poppers Skeptizismus letztlich auf sich selbst zurück.

>> Sie ist aber sehr wesentlich.

> Wenn die Unterscheidung Empirisch/Philosophisch wesentlich ist,
> Poppers Skeptizismus für sich als philosophischer Theorie absolute
> Gewissheit reklamiert, dann müsste er damit anerkennen, dass für
> philosophische Theorien im Allgemeinen absolute Gewissheit zumindest
> prinzipiell möglich ist.

Da Popper dies in der Form nicht tut, muss er es nicht anerkennen.  Da
ich nicht vorhabe, einen uninteressanten Restzweifel an 1+1=2 zu
diskutieren, erkenne ich gerne an, dass für philosophische Theorien im
Allgemeinen absolute Gewissheit zumindest prinzipiell möglich ist.

> Wenn ich aber irre, und er tatsächlich ~alleine für sich~ die
> Möglichkeit absoluter Gewissheit reklamiert, allen anderen Theorien
> diese aber abspricht, ist ~das~ für mich eine Anmaßung, die einer
> logisch nachvollziehbaren Begründung bedarf! Erwarte nicht von mir,
> dass ich diese "Philosophie" einfach so schlucke!

Einen solchen Sonderstatus beansprucht Popper für seine Theorie
keinesfalls.

>> Meinetwegen. Man kann meinetwegen mit Sicherheit Aussagen über
>> persönliche Gefühle treffen. Damit hast du aber lediglich eine
>> sicher[e] Aussage über dein persönliches Gefühl der Theorie
>> gegenüber.

> Das ist doch schon mal etwas. Sicherheit ist also doch möglich.

Wie gesagt, ich habe nicht vor, zu bestreiten, dass Sicherheit über
die Richtigkeit von 1+1=2 möglich ist.  Ich möchte diese These nicht
verteidigen müssen gegen jemand, der auf die Möglichkeit eines
Widerspruchs im Axiomensystem der heutigen Mathematik hinweist, möchte
allerdings auch selbst nicht den Zweifel daran verteidigen.  Ich
erkenne persönlich den Restzweifel prinzipiell an und halte ihn für
völlig unwesentlich.

Das ich also gegen deine "sichere Aussage" nichts vorbringe, bedeutet
nichts.  Es ist noch lange kein Beweis für ihre Sicherheit. 

Der Grund, warum ich keine Lust habe, über die Sicherheit von Aussagen
wie "1+1=2", "das Ergebnis von Experiment X ist unbestimmt" und "ich
glaube, dass X wahr ist" zu streiten, ist, dass in diesem Fall die
Diskussion auf einem falschen Feld stattfindet.  Es sind nicht diese
Aussagen, um die es geht.  Praktisch relevante Aussagen sind sehr viel
unsicherer.  Soll ich nun versuchen, über die Gletscherspalte zu
springen?  Gibt es eine bessere Alternative oder sind die Umwege noch
gefährlicher? 

>>> Gibt es eigentlich etwas, woran du ~nicht~ zweifelst?

>> Ich halte sehr vieles für mit an Sicherheit grenzender
>> Wahrscheinlichkeit wahr, und habe nicht vor, all diese vielen Sachen
>> irgendwann einmal zu bezweifeln, also auch nur eine Sekunde darauf zu
>> verschwenden, darüber nachzudenken, ob sie auch falsch sein könnten.

> Da solltest du bei deinem Popperschen Skeptizismus eine Ausnahme machen.

Mache ich auch - ich habe einige Zeit hier verwendet, deine Argumente
gegen ihn zu durchdenken. 

>> Nur, ich leiste mir einen generellen skeptischen Vorbehalt. Wenn
>> jemand mit wirklich guten Argumenten dagegen kommt, und es ihm
>> gelingt, mein Interesse zu wecken, behalte ich mir vor, jedes einzelne
>> zu bezweifeln. Praktisch ist dieser Vorbehalt wenig wesentlich.

> Und ich leiste mir einen generellen Wahrheits-Vorbehalt. Wenn jemand
> mit wirklich guten Argumenten oder handfesten Beweisen dagegen
> kommt, werde ich meine Ansichten entsprechend revidieren. Ich
> verbitte mir einfach nur Appelle, pauschal meine Gewissheit an ihnen
> ohne triftigen Grund durch Selbstzweifel zu ersetzen. Ich bin für
> gute Argumente immer aufgeschlossen, das aber läuft bei mir nicht.

Nun, das könnte praktisch auf dasselbe hinauslaufen.  Nur sehe ich
nicht, was du praktisch im Gletscher-Beispiel zu tun gedenkst.

Du kannst dich natürlich entschliessen "ich kann drüberspringen".
Dann springst du.  Wenn wir uns danach noch unterhalten können, war
deine Annahme halt wahr.  Aber wirklich objektiv beweisen, dass du
rüberspringen kannst, kannst du einfach nicht.  Genausowenig wie
objektiv beweisen, dass die Alternativen gefährlicher sind.  Was
passiert, ist, du ignorierst den Objektivismus und spekulierst, baust
auf deine Intuition.

>>> Welche Übereinstimmung auf der ethischen Ebene??

>> Dass man, wenn man von den Interessen des Individuums ausgeht, und
>> nach der Strategie handelt, mit der man diese Interessen optimiert,
>> ethisch handelt.
>
> Sehr gut. Ich hoffe nur, dass du mit "man" das betreffende Individuum
> selbst meinst.

Ja, meine ich.

> Das ist nicht unwesentlich.

Ist mir klar, Korrektur akzeptiert.

>>>> Nur kannte der Programmierer nicht die Umgebung, ich der ich lebe,
>>>> sondern hat seinen Code eher für die Horde im Urwald geschrieben,
>>>> zweitens ist der Code fehlerhaft, drittens kann ich Fähigkeiten, die
>>>> mir einprogrammiert wurden, auch missbrauchen - also mir Eudämonie auf
>>>> eine Art und Weise verschaffen, die den Interessen des Programmierers
>>>> widerspricht.

>>> (1) "Der Programmierer" ist die Umwelt des Organismus, deine
>>> Umgebung, in der du lebst.

>> Ich meinte hier die Gene.

> Eben! Und ich wollte deinen Fehler korrigieren. Näher an der Realität ist
> diese Metapher: "Die Gene sind das Programm (oder Betriebssystem), das von
> der Umwelt geschrieben wurde."

Gut, aber von der Umwelt, die zu den Zeiten vor meiner Geburt relevant
war, und im wesentlichen von der Umwelt, in der meine tierischen
Vorfahren lebten, in geringerem Masse die Umwelt der Jäger und
Sammler, und kaum die heutige Umwelt in der ich lebe.

Und daher ist das Programm kaum auf meine heutige Umwelt zugeschnitten.

>> Die "Aufgabe" ist klar - möglichst weite Verbreitung von Kopien der
>> Gene.

> Gut, dass du die "Aufgabe" in Anführungszeichen gesetzt hast. Es ist aber
> etwas komplexer. Die "Aufgabe" ist, möglichst lange in möglichst reiner
> Form zu existieren, und, wenn das Sterben beginnt, Kopien hervorzubringen,
> die in der Lage sind, Kopien hervorzubringen. (Ich bin sicher, dass man das
> noch besser formulieren kann.)

Sicherlich.  Und noch länger, je genauer man werden will.

>>> (3) Prinzipiell stimmt auch das. Diese Irrationalität wird
>>> üblicherweise durch eine fehlerbehaftete Repräsentation der
>>> Realität ("Pseudo-Philosophie") verursacht, die nicht immer durch
>>> interne Funktions-Störungen verursacht wurde, sondern -- noch
>>> häufiger -- durch sozial introjezierte Ideologien konkurrierender
>>> Codes.

>> Eine andere Frage, um die es nicht geht. Mein Verhalten, beim
>> Seitensprung Kondome zu benutzen ist rational, ich kriege meine
>> Eudämonie ja ab.

> Die Frage ist in Relation zu dem vom mir angeschnittenen Thema
> banal. Um darauf einzugehen: Ja, es ist rational, nicht mehr Kinder
> zu zeugen, als du zu für das andere Geschlecht attraktiven
> Erwachsenen aufziehen kannst. Aber das habe ich dir schon im letzten
> eMail erklärt.

Du gehst nicht darauf ein, weil du die entscheidende Frage weglaesst:
optimal für wen, für welches Interesse: das meine
(Eudämonie-Optimierung) oder das meiner Gene (Weiterverbreitung).

Es ist für mich, um meine Eudämonie in der heutigen Umwelt (mit
Kondomen) zu optimieren, optimal, weniger Kinder zu zeugen, als für
die Weiterverbreitung meiner Gene optimal wäre. 

>> Wenn ich beim Seitensprung Kondome benutze, handle ich rational. Vom
>> Standpunkt meiner Gene handle ich aber schlecht, ich verbreite sie
>> nicht.

> Es kommt nicht (nur) auf die Anzahl deiner Kinder an, sondern auch,
> welche Qualität sie aufweisen. "Das Gen" denkt nicht in Kindern,
> sondern in Enkeln! Die Schrotschuss-Methode, bei der von Vorneherein
> das Scheitern vieler Kinder feststeht, ist nur in extrem
> überlebensfeindlichen Gebieten rational.

Das ist mir klar.  Ist dir auch der Zielkonflikt (meine Eudämonie
einerseits, Gen-Weiterverbreitung andererseits) klar?  Mir scheint
fast, du willst ihn nicht sehen.

> Ich habe dir schon einmal erklärt, dass du, um effektiv Vergnügen erlangen
> zu können, die dafür (u.a. von den Genen) festgelegten Regeln kennen und
> befolgen musst.

Dies ist falsch, mein Vergnügen beim Sex nimmt nicht dadurch zu, dass
ich weiss, dass Sex der Fortpflanzung dient. 

> Dass es nicht auf Quantität (alleine) ankommt, habe ich dir auch
> schon erklärt. Du wiederholst ständig deine Fehler, ohne auf meine
> Gegenargumente einzugehen.

Ich habe hier keinen Fehler wiederholt.  Dein Quantitäts-Argument ist
mir bekannt.  Ich habe mich BTW deshalb auf die Seitensprung-Strategie
bezogen, in der es unwesentlich ist, was dabei an Qualität rauskommt,
da die Kosten der Aufzucht von anderen getragen werden.  Dass du dies
nicht bemerkt hast, ist dein Problem.

>> Andere Gene haben mehr Glück, ihre Träger fangen sich aber nach der
>> siebenten weiterverbreiteten Kopie AIDS ein und krepieren kläglich.
>> Und du willst mir erzählen, ich handle irrational und diese armen
>> Idioten rational?

> Du lenkst wieder ab. Wir diskutieren hier nicht AIDS-Prävention.

Ich lenke nicht ab.  Dies ist der Punkt. Ich optimiere _meine_
Eudämonie, und in der spielt AIDS-Prävention eine andere Rolle als für
meine Gene.  Die wären vermutlich ganz gut dran, wenn ich in fünfzig
Kindern überall auf der Welt meine Gene hinterlasse aber danach an
AIDS krepiere, ich bin aber besser dran, wenn ich Kondome benutze, bei
Seitensprüngen _keine_ Kinder hinterlasse aber nicht an AIDS krepiere.

>>> Das sehe ich anders. In einem determinierten Universum ist das
>>> prinzipiell möglich. Hier unterscheidet sich meine Auffassung von
>>> der Sciabarras.

>> Da macht dir schon die Wettervorhersage einen Strich durch die
>> Rechnung (auch "deterministisches Chaos" genannt).

> Eigentor. Wie du an der mit den Jahren immer genaueren
> Wettervorhersage erkennen kannst, lassen sich auch hyper-komplexe
> Phänomene mit der entsprechenden Rechnerleistung in den Griff
> bekommen.

ROTFL.  Du kennst die Aussagen der Chaostheorie dazu?  Du kennst die
Fakten der Wettervorhersage?

>> Du erkennst also den Unterschied zwischen den mir einprogrammierten
>> Zielen (wie u.a. Seitensprünge) und dem Ziel meiner Gene zur
>> Vervielfältigung immer noch nicht an?

> Worin soll der bestehen? Die Seitensprung-Neigung bei Männern ist auf
> "Vervielfältigungs-Interessen" der Gene zurückzuführen.

Das Seitensprung-Interesse kann optimiert werden, indem man Kondome
benutzt.  Insbesondere in Zeiten von AIDS erhöht dies die zu
erwartende Eudomänie des Seitenspringers erheblich.  Das
Vervielfältigungs-Interesse der Gene kann durch Seitensprünge mit
Kondombenutzung hingegen nicht optimiert werden.

>> Meine Kondombenutzung ist rational - aber nur für mich, aber nicht für
>> das Vervielfältigungziel meiner Gene. Fremde Programme sind dabei
>> irrelevant.

> Ganz und gar nicht. Fremde, altero-zentrische Werte, die man sich im
> kulturellen Kontakt zuzieht, sind durch ihre hartnäckige
> Irrationalität und ihren weiten Verbreitungsgrad für einen Menschen
> immer höchst relevant.  Irgendwelche Gene steuern immer dein
> Verhalten. Die Frage ist, wessen.

Welches Gen steuert denn meine Kondom-Benutzung beim Seitensprung?

>> Mein Interesse an einem Seitensprung hat also einen ethischen Wert?
>> Nunja, wenn du es so nennen willst, nenne dieses Interesse meinetwegen
>> ethisch. Ich nenne andere Fragen ethisch - z.B. dass ich dabei
>> Kondome benutze, dass ich meiner Frau kein falsches Treueversprechen
>> gegeben habe usw. usf.

> Nochmals: Ein rationale Ethik macht Aussagen darüber, was für
> ~einen~ Handelnden objektive Werte sind (das ~für ihn~ "Gute") und
> durch welche Handlungen er sie erlangen kann. Die Befriedigung
> fremder Interessen kann nach dieser Auffassung niemals ethisch sein,
> wenn sie nicht mit der Befriedigung der Interessen des Handelnden
> gekoppelt ist. D.h. ehrlich zu sein, wenn du dir damit langfristig
> schadest, ist für dich unethisch! Deine altruistische "Dummheit" mag
> aber für deine Frau ethisch sein, weil sie gut ~für sie~ ist.

Ich weiss.

> Du agierst mit deinem Beispiel (deiner Frau kein falsches Treueversprechen
> zu geben) leider wieder deine altero-zentrische Ethik aus, die dir durch
> den Sozialisierungsprozess ankonditioniert wurde.

Du irrst.  Ich habe lediglich den Fakt erwähnt, die Interpretation als
"altruistische Dummheit" ist deine.  Im Gegenteil, es war egoistische
Klugheit, meiner Frau kein falsches Treueversprechen zu geben.

>> Mit der Erklärung des Bedürfnisses nach einem Seitensprung bin ich
>> zufrieden. Aber wenn ich vor einer Entscheidung stehe, ob ich nun
>> einen Seitensprung begehen soll oder nicht, ist diese Erklärung völlig
>> irrelevant. Sie kann mir nichts begründen, sie ist kein relevantes
>> Argument, den Seitensprung zu begehen, wenn er anderen meiner
>> Interessen entgegensteht.

> Nun, diese Entscheidung wurde schon gefällt, noch bevor es dich, oder so
> etwas wie einen Planeten Erde gab.

Was immer auch damals passierte ist in diesem Zusammenhang off-topic.

> Dass du soziobiologische Überlegungen für irrelevant hältst, könnet
> daran liegen, dass du bereits, zu deinem Nachteil, von deinem
> Meta-System zu stark integriert wurdest.

Ich verfolge die Soziobiologie mit Interesse, bin an ihren
_Erklärungen_ sehr interessiert.  Ich sehe jedoch nicht, inwiefern sie
mir _Gründe_ für Handlungen liefern könnte.

>>> Wen meinst du damit, wenn du sagst, "mein Interesse"? Spaß zu haben
>>> ist nur ein psychologisches Interesse, dem genetische zu Grunde
>>> liegen.

>> Ja, nur sind die zugrundeliegenden evolutionsbiologischen Interessen
>> meiner Gene eben nicht meine Interessen.

> Natürlich sind sie das! Was dein Körper zu Gunsten seiner eigenen Gene
> macht ist ethisch, was er zu Ungunsten seiner eigenen Gene macht, ist
> unethisch.

D.h. wenn ich bei einem Seitensprung Kondome verwende ist es unethisch?

Es dient meinen Interessen (viel Fun bei vielen Seitensprüngen ohne
AIDS-Risiko, ohne Risiko dass die Frauen mich wegen Alimenten für die
dabei gezeugten Bälger verfolgen etc.).  Meine Gene haben nichts
davon.  Eher im Gegenteil, meine eigenen Bälger kriegen weniger von
meinen Resourcen ab, weil halt ein Teil für die Seitensprünge (und zum
Kondomkauf) drauf geht.

> Deine Ziele und Interessen sind nur AUSLÄUFER ethischer Werte, die
> in den biologischen Werten verwurzelt sind, die wiederum in den
> genetischen Werten verwurzelt sind. Hunger ist niemals ethisch
> wertfrei, wie überhaupt alles niemals wertfrei sein kann!

Was ist nun mein Seitensprung mit Kondom?  Böse oder nicht?

>> Vom "fundamentalen" Zweck der Genverbreitung sind ethische Fragen
>> völlig getrennt.

> Absolut falsch. Rationale Ethik ist überhaupt nur unter Berücksichtigung
> fundamentalster, d.h. genetischer Interessen möglich!

Ich denke am Beispiel der Kondom-Benutzung kommt der Widerspruch
zwischen uns klar heraus.  Nach dir ist sie (AFAIU) böse, unethisch,
nach mir ist sie klug und in diesem Sinne ethisch.  Du bist, nach
meiner Interpretation, ein "Gen-Altruist": ich _soll_ tun, was für
meine Gene gut ist.

Tut mir leid, keine Lust dazu ;-).

>> Stirner wertet ja auch - er macht auch gar keinen Hehl daraus. Nur
>> wertet er nicht als "böse" sondern "dumm".

> Das Böse nicht als solches zu erkennen, ~ist~ dumm. Auch "der Einzige" wird
> nicht umhinkommen, nach Gut und Böse (für ihn) zu unterscheiden, will er
> nicht der Dumme bleiben.

Macht er ja auch.

>> Grosse Worte, nichts dahinter.

> Du meinst eine Aussage wie, "Wenn ich meinen Launen untereinander
> Prioritäten zuschreibe, ist dies prinzipiell nichts anderes als eine
> Laune"? Das stimmt allerdings. Was genau ist nichts anderes als eine
> Laune?  Dass du "Launen" untereinander Prioritäten zuschreibst? Das
> stimmt nicht, denn der Impuls zur Hierarchisierung von Werten ist
> das erste Fünkchen von Rationalität im großen Durcheinander des
> stirnerschen Geistes.

Billige Rhetorik. 

>> Der "gleiche Kern" ist das Interesse an der Kopie der Gene. Das ist
>> alles. Die Strategien dazu (und damit das, was mit Eudämonie belohnt
>> wird) sind verschieden. Und damit ist der Satz von Bedürfnissen,
>> deren Erfüllung Eudämonie ergibt, extrem verschieden.

> (1) Wenn du sagst, "das ist alles," hört sich das wie eine Abwertung an,
> für die du mir aber eine nachvollziehbare Begründung schuldig bleibst.

Es ist eine interessante und wichtige naturwissenschaftliche
Erkenntnis, welche extrem hilfreich ist, uns Menschen unsere
Bedürfnisse zu erklären.  Das ist schön, aber eben alles.  Abwertend
dahingehend dass nichts weiteres daraus folgt.  Begründung kann nicht
erfolgen, da die Abwesenheit weiterer wichtiger Folgerungen nicht
bewiesen werden kann - sie kann lediglich durch Darstellung solcher
Folgerungen falsifiziert werden.

> (2) Die Strategien zur Kopie der Gene sind verschieden?

Ja. Die ganze Soziobiologie ist voll von verschiedenen Strategien.

> Nicht auf einer fundamentalen Ebene, für die wir Worte wir "Tugend"
> oder "Handlungsprinzipien" verwenden. Die aus ihnen abgeleiteten
> TAKTIKEN sind ~selbstverständlich~ immer situativ und damit
> verschieden.

Wollen wir uns über die Abgrenzung zwischen Strategie und Taktik
streiten?  Nicht wirklich wichtig, daher: meinetwegen Taktiken.

> (3) Es will scheinbar nicht in deinen Kopf hinein, dass wir als
> biologische Wesen alle die gleichen fundamentalen Bedürfnisse haben
> MÜSSEN, um zu überleben! Warum nimmst du dir nicht einmal ein
> Biologiebuch zur Hand?

Warum nimmst du nicht mal eins zur Hand um zu sehen dass meine
Bedürfnisse von denen einer Ameisenkönigin ziemlich verschieden sind?

>>> Keinen Grund wofür?? Für den "gemeinsamen Nenner"?

>> Ja.

> Siehe oben unter (3). Du bist ein so intelligenter Mensch, dass du sogar
> die moderne Physik mit einer Äther-Theorie herausforderst (was ich übrigens
> bewundere), aber mit der mentalen Funktion des Integrierens scheint's,
> zumindest im hier diskutierten Bereich, zu hapern. Woran liegt das, Ilja?

Versuche es mal mit der Hypothese, dass es nicht an meiner Fähigkeit
zur Integration liegt (dass alles auf der Ebene "Weiterverbreitung der
Gene" integriert ist, habe ich schon immer vertreten). 

Meine Hypothese ist, dass du an einer Stelle eine wichtige
Unterscheidung nicht nachvollziehen willst: Den zwischen dem Interesse
der Gene (universell - Weiterverbreitung) und dem Interesse ihrer
Weiterverbreitungsmaschinen (speziell, konkreten Annahmen über die
Realität angepasst, und mit konkreten, fest implementierten
Taktiken, insbesondere konkreter Eudämonie-Funktion).

Und den Widerspruch nicht sehen willst zwischen den egoistischen
Zielen der Weiterverbreitungsmaschinen und denen der Gene selbst.

>>> Bedenke, dass ich von sehr, sehr fundamentalen Zielsetzungen
>>> spreche, wenn ich von den allen Lebewesen gemeinsamen
>>> "Kern-Verhaltensweisen" spreche.

>> Ja. Trotzdem ist dies bei verschiedenen Individuen sehr verschieden
>> ausgelegt.

> Wie können Kern-Verhaltensweisen, die gemeinsam sind, "trotzdem"
> verschieden ausgelegt sein?? Nenne mir Beispiele.

Alle müssen was verarbeiten, um an Energie zu kommen.  Die einen
verwenden CO2, H2O und Sonnenenergie über Photosynthese, die anderen
essen Pflanzen, noch andere essen Tiere.

>>>> Dass es mehr gibt als nur die Goldene Regel ist mir auch klar. Nur
>>>> haben wir ja in der Diskussion schon festgestellt, dass selbst die
>>>> Anwendbarkeit der Goldenen Regel von Annahmen über die Umwelt
>>>> (insbesondere über unser Kräfteverhältnis) abhängt, und du warst der,
>>>> der ihren Anwendungsbereich für kleiner hielt als ich.
>>>> Insofern sehe ich hier einen gewissen Widerspruch.

>>> Wessen "ihren Anwendungsbereich"? Den der Goldenen Regel?

>> Ja.

> Du siehst einen Widerspruch zwischen meiner Annahme, der
> Anwendungsbereich der Goldenen Regel sei recht klein, mit meiner
> Annahme, derjenige habe den Wettbewerbsvorteil, dessen Ethik
> logischer und differenzierter ist?

Nein. Ich erwarte nur nicht, dass du mit deiner Theorie allzu weit
kommst.  Jedenfalls nicht, wenn du sie auf _sichere_ Grundannahmen
aufbauen willst. 

>>> Zu was besteht hier der Widerspruch bitte?

>> Zu deinem voll integrierten System der Ethik, welches die Goldene
>> Regel und noch viel mehr enthält. Normalerweise haben komplexere
>> Strukturen geringere Anwendungsbereiche.

> Wenn du mit komplex "nicht integriert" meinst, dann hast du recht. Nach
> dieser Interpretation sind auch die Zehn Gebote "komplex" (im Sinne von
> "chaotisch"), weil deren hierarchische Positionen innerhalb eines
> objektiven Wertgefüges nicht geklärt sind. Die logischen Konflikte die
> dadurch entstehen, verringern ihren Anwendungsbereich dramatisch. Ich aber
> spreche von einem logisch integrierten(!) Wert/Tugend-Gefüge, das, so weit
> wie möglich und praktikabel, gut ausdifferenziert ist. Die Anzahl der
> Elemente steht in Beziehung zur fokussierten Abstraktionsebene. Du kannst
> die baumähnliche Struktur, je nach Bedarf, hoch und runter gehen. Eine
> Ethik die über diese Eleganz verfügt, hat in der konkreten Lebenspraxis den
> größtmöglichen Anwendungsbereich, den man sich überhaupt vorstellen kann.

Nur scheitert dies schon an den Grundlagen.  Einerseits den
Unsicherheiten des realen Lebens, andererseits am oben diskutierten
Widerspruch zwischen meinen Interessen und denen meiner Gene, den du
bisher nicht anerkennen willst.

> Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: ich habe die Bewertungen in einer
> bestimmten Folge angeordnet, die m.E. ihre Wichtigkeit widerspiegelt. Das,
> und einige andere Identifikationen in dieser Richtung, repräsentieren den
> Ansatz, den ich bei der Erschaffung meiner neo-objektivistischen Ethik bald
> weiterverfolgen möchte. Wertungs-"Wiedersprüche," wie du sie befürchtest,
> können in einem solchen System höchstens zwischen verschiedenen
> Integrationsebenen bestehen, die aber durch die Wahl des in der Hierarchie
> fundamentaleren Werts ihre Aufhebung erfahren.

Nun, eine Ordnung von Werten ist lediglich eine spezielle Methode,
einen Kompromiss zu finden.  Und eine, die in gewissen Situationen
immer danebengehen wird.  Normalerweise ist es einfach, Gegenbeispiele
für hierarchische Ethik-Systeme zu finden: man spitzt die Situation
einfach so zu, dass der "niedrigere" Wert quantitativ extrem wichtig
wird, und der "höhere" Wert quantitativ extrem unwichtig.  Und schon
steht man vor einer Situation, in der die Ethik das eine sagt und der
gesunde Menschenverstand das Gegenteil.

Trotzdem sind hierarchische Ethik-Systeme nichts schlechtes, man darf
sie nur nicht als mehr nehmen als sie sind: nämlich gute Heuristiken
für gewisse Alltags-Situationen, die halt ohne Begrenzung ihres
Anwendungsbereiches ziemlich unsicher sind.

>>> Prinzipien und Strategien haben z.B. einen Vorrang vor Regeln oder
>>> Taktiken. Dir ist sicherlich das Sprichwort bekannt, dass die
>>> Priorität eines gewonnenen Krieges vor dem der gewonnenen Schlacht
>>> feststellt.

>> Ich wollte eher darauf hinweisen, dass die Hierarchien zwischen
>> ihnen noch weniger universell sind als die Regeln selbst.

> Wenn du sagst, (Tugend-) Hierarchien seien nicht universell, dann
> entspricht das der Aussage, Logik sei nicht universell, denn genau
> nach ihren Gesetzen sind funktionale Hierarchien kreiert. Du liegst
> hier also sehr, sehr falsch.

Nein.  Deine Hierarchien beruhen nicht auf Logik.  Mir ist obiges
Sprichwort bekannt, nur kann ich mir von einer Niederlage in einem
Krieg, bei der ich umkomme, auch nichts kaufen wenn meine Mitstreiter
den Krieg gewinnen.  Es sind also doch nur spezielle Situationen, in
denen der Gewinn des Krieges wichtiger ist als der der Schlacht.

>> Die Frage war, ob die Goldene Regel anwendbar ist, wenn grosse
>> Machtunterschiede bestehen. Meine These war, dass auch bei extremen
>> Machtunterschieden normalerweise ein Sanktionspotential des
>> Schwächeren besteht, und in diesem Fall die Goldene Regel Vorteile
>> bringt, auch für den Stärkeren.  Bin Laden war Beispiel für das
>> Sanktionspotential Schwächerer heute.

> Es geht nicht um ein "ob," sondern um ein "wieviel." Er mag den USA
> zwar geschadet haben (falls er es denn war), diese können ihm aber
> mehr schaden.  Daraus folgt, dass es für die USA als stärkere Partei
> nicht rational ist, ihm nicht das anzutun, was sie selbst nicht
> wünscht, das ihr angetan wird, denn die Möglichkeit zur
> Tit-for-Tat-Antwort besteht für ihn als Schwächeren gar nicht.

Darum geht es doch gar nicht.  Die Frage ist, ob es für die USA
rational war, in Saudi-Arabien Truppen zu stationieren und damit bin
Laden erst zu provozieren. 

> Man kann als Terrorist einen Riesen wie die USA nur mit Nadelstichen
> reizen, umbringen wird ihn das aber nicht.

Ja und?  Haben den USA die Truppen in Saudi-Arabien was genützt oder
eher geschadet?  Sicher geht die USA davon nicht unter - aber diese
Frage steht gar nicht.

>>>> Es ist sicherlich möglich, 70 Jahre lang auf die Wünsche aller
>>>> Bürger zu scheissen, hat die SU bewiesen. Nur optimal war es
>>>> kaum.

>>> Wir sprechen hier immer von Netto-Gewinnen und Netto-Verlusten,
>>> vom Langfristigen und über Prinzipien. Du wirfst alles mögliche in
>>> einen Topf, ohne ausreichend zu differenzieren. Wenn in deinem
>>> Beispiel das Volk der SU die Macht hatte, das Sowjet-Regime zu
>>> kippen, dann war es eben stärker.

>> Die hatte es ja nicht.

> Wenn es das Regime gekippt hat, hatte es die Macht ja wohl
> offensichtlich.

Aber erst nach 70 Jahren langsamer Erosion.  Und diese Erosion
beinhaltete, dass Klauen vom Staat Volkssport wurde -
notwendigerweise, trotz drakonischster Strafen in der Stalinzeit, da
Überleben anders nicht möglich war.

>> Falsch. Die Ideologie hat den Leuten eingeredet, es wäre ihre Macht,
>> aber sie wussten sehr wohl, dass es nicht ihre Macht ist. Es war die
>> diktatorische Macht der KP. Sie hat auf die Interessen der Massen
>> geschissen, _konnte_ das weil sie stärker war.

> Dann bestand, wie ich es gesagt habe, ein ideologisch verschleierter
> Interessengegensatz. Das Volk wähnte sich an der Regierung, während
> es das in Wirklichkeit die KP war. Die "Stärke" der KP bestand dann
> aber nicht im Bereich des Physikalisch-Militärischen, sondern im
> Bereich des Psychologisch-Ideologischen. Die KP hat den Mangel an
> "Muskelkraft" durch eine höhere Rationalität ausgeglichen und damit
> das an Muskelkraft überlegene Volk in Schach gehalten. So
> funktioniert das immer noch.

So funktionierte es in der Breshnev-Zeit jedenfalls nicht.  Da
glaubten keine Massen an ein "Volk an der Regierung".

>> Die Massen haben sich mit ihrem Sanktionspotential gerächt. Faulheit
>> am Arbeitsplatz, Diebstahl, Korruption. Amerika hat die Interessen
>> seiner Bürger weitaus eher berücksichtigt, und wurde daher auch nicht
>> durch seine Bürger abgestraft. Ob die amerikanische Regierung es
>> gekonnt hätte, so zu handeln wie Stalin, ist eine andere Frage. Fakt
>> ist, dass so zu handeln wie Stalin eben langfristig keine erfolgreiche
>> Strategie ist.

> "Langfristiger Erfolg" in bezug auf was?

In Bezug auf das Überleben des Systems in längeren Zeiträumen.

> Stalin war der erfolgreichste Kriminelle (Politiker), den die
> Geschichte je gesehen hat.

Ich nenne keinen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von seinen engsten
"Freunden" umgebracht wurde und zeitlebens davor Angst haben musste,
erfolgreich.

>> Ich schrieb nichts von Demokratie. Mit der Situation in Singapur was
>> Rechtsstaatlichkeit betrifft bin ich nicht sehr vertraut.
>> Rechtsstaatlichkeit hat schon von vornherein viel mit Kapitalismus zu
>> tun, weil Nicht-Rechtsstaaten sich fast immer am Eigentum ihrer Bürger
>> vergreifen und sich daher Kapitalismus kaum frei entwickeln kann.

> Auch ein sozialistischer Staat kann "rechtsstaatlich" sein (siehe
> Deutschland). Du kannst auch mit rechtsstaatlichen Mitteln Eigentumsrechte
> mit den Füßen treten. Es bleibt also bei meiner Feststellung, dass das eine
> mit dem anderen grundsätzlich nichts zu tun hat, selbst wenn in der Praxis
> eine gewisse Korrelation festzustellen ist.

Dem stimme ich im Prinzip zu, sehe aber halt auch die Korrelation und
halte sie nicht für zufällig.

>>>>> Es gibt für die Maximierung der Staatseinnahmen einen optimalen
>>>>> Steuersatz, der eben nicht 90% beträgt.

>> Richtig. Und es gibt für die Maximierung von Sicherheit auch optimale
>> Strafen, Prozessordnungen etc, die eben nicht in 25 Jahren GULAG für
>> einen politischen Witz ohne Gericht bestehen.

> Eine sehr aufgeklärte und überaus löbliche Einstellung. Aber wenn du eine
> Maximierung der Sicherheit anstrebst, müsstest du doch auch die
> Vergewaltigungen der Privatsphäre unschuldiger Bürger mit abweichenden
> Ansichten befürworten, oder?

Nein, wieso?  Ich halte meine Sicherheit für langfristig höher wenn
ich über von meiner abweichende Ansichten so gut es geht informiert
bin. 

> Und warum da haltmachen, wenn die Technologie einen flächendeckenden
> Orwellianismus ermöglicht, schließlich könnte ja jeder mal gegen ein
> Gesetz verstoßen...

Er funktioniert langfristig nicht.  Wird eine Überwachung von den
Bürgern als Überwachung gesehen (und nicht als ihrem Schutz dienend)
werden sie Möglichkeiten finden, die Überwachung zu unterlaufen.

Im Prinzip konnte man alle Stufen zwischen Orwellianismus und Freiheit
am Beispiel der Sowjetunion in Aktion betrachten.  Kein
Übergangsstadium war wirklich stabil und für die Unterdrücker optimal.

> Gut, ich hätte dein "im Prinzip" als unzulässige Relativierung
> meiner ohnehin gegebenen Relativierung sofort rügen sollen. Ich habe
> sie bei meinem Widerspruch nicht berücksichtigt. Es ist aber immer
> noch so, dass grade (auch) in ~typischen~ Situationen die Anwendung
> der Goldenen Regel durch den Stärkeren für ihn nicht notwendig, und
> wahrscheinlich sogar schädlich IST.

Nun, da bin ich einfach anderer Meinung.  Wir können das an einigen
Überwachungs- und Strafmodellen durchsehen.

>> In einer Demokratie sehe ich da wenig Hoffnung. Der demokratische
>> Wahlkampf leidet am Problem der rationalen Ignoranz: für den Einzelnen
>> lohnt es sich nicht, sich über das beste Wahlprogramm Gedanken zu
>> machen, da seine Stimme sowieso nichts entscheidet. Und selbst wenn,
>> hat er von seiner Leistung nur einen 1:80Mio Anteil am geschaffenen
>> Nutzen, also ein klassisches common good problem.

> Ich gestehe, dass ich mit dem Begriff der "rationalen Ignoranz" zum
> gegenwärtigen Zeitpunkt nur wenig anfangen kann.

Ganz einfach: im realen Leben ist es mit Kosten verbunden, sich
Informationen zu beschaffen.  Zeit ist Geld.  Daher kann es rational
sein, in gewissen Fragen ignorant zu sein (d.h. sich keine
Informationen zu beschaffen, mit dem Risiko, sich falsch zu
entscheiden).

> Ich glaube aber, dass man auch die Kosten der
> Informationsbeschaffung und -Auswertung auf mehrere Personen
> verteilen kann, so dass sich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag
> in diesem Bereich verbessert.

Das hat widerum Organisationsaufwand zur Folge.  Sowie das Problem
jeder Organisation - wie kann ich dem anderen vertrauen.

> Wovon ich aber auf jeden Fall überzeugt bleibe, ist, dass sich
> langfristig die Wahrheit immer gegenüber der Lüge durchsetzt, selbst
> wenn diese im Einzelfall ihre Funktion erfüllt.

Ich halte "bei der Wahrheit bleiben" auch für eine effiziente
Strategie (in typischen Situationen).

> Gut, das habe ich tatsächlich durcheinandergebracht: du hast kein
> Kooperations-Gebot verabsolutiert, sondern m.E. die Beachtung der Goldenen
> Regel.

Auch das nicht.

> Aber du sagst ja, dass du hier vom Verabsolutieren deiner Meinung
> nichts hältst. Das gilt doch auch für die Beachtung der Goldenen Regel,
> oder habe ich dich jetzt wieder missverstanden?

Es gilt auch für die Goldene Regel.

> Und dann würde mich da noch eine Frage interessieren, der wir bisher
> noch keine Aufmerksamkeit gewidmet haben: Was soll mit demjenigen
> geschehen, der gegen das von dir vertretene Golden Rule-Prinzip ~in
> eklatanter Weise~ verstoßen hat?

Nun, die normale Reaktion ist "wie du mir, so ich dir" - und wenn
jemand gegen die GR verstösst, ist diese Reaktion für ihn sehr
unangenehm.  Er bekommt die Reaktion von allen, mit denen er umgeht,
ich gehe nur einmal mit ihm um, mein Schaden hält sich also in
Grenzen.

Ist die GR die nach dem Einhalten von Versprechen wichtigste Regel der
Gesellschaft, gibt es noch eine Solidarisierung - d.h. ich handle nach
"wie du mir, so ich dir" dem Täter gegenüber auch dann, wenn es mir
persönlich etwas schadet, und werde dafür über die Solidarität der
anderen ("richtig so - das geschieht ihm recht") entschädigt.

> [Beispiele gesnippt] Das sind doch korrekte Beispiele, oder?

Ja.

> Nun, was macht man mit so jemandem, so einem Arschloch, das so viel
> Trauer und Leid verursacht hat in einer Golden Rule-Anarchie?

Man macht ihm gegenüber das, was er anderen angetan hat, soweit das
mit eigenen Regeln kompatibel ist.  Evtl. können dazu die Regeln etwas
angepasst werden.

1. Stufe: Ich will nicht, dass man mich ausraubt.  Also raube ich
niemanden aus.

2. Stufe: Ich will nicht, dass man mich ausraubt - nur falls ich
jemandem was wegnehme ist es schon ok, wenn er sich das auch mit
Gewalt zurücknimmt.  Da ich nicht vorhabe, anderen was wegzunehmen,
ist diese Regel für mich nicht schlechter.  Aber, wenn mir jetzt
jemand was wegnimmt, kann ich es mir mit Gewalt zurückholen.  Und,
wenn jemand anderen was wegnimmt, kann ich ihnen helfen, es sich
zurückzuholen.  Und dadurch wird ein Räuber noch mehr abgeschreckt.

> Manche Fälle sehen so aus, dass durch die Verletzung der Golden Rule
> die Aussicht ein normales Leben zu führen ein für alle mal,
> gründlich und irreparabel beschädigt wurde... Ein gesenkter Blick
> alleine wird es hier wohl kaum tun. Ich meine, zum Glück passiert so
> etwas in unserem wunderbaren Land nicht, zumindest nicht, ohne durch
> die entsprechenden Gerichte geahndet zu werden. Aber was ist in
> deiner Golden Rule-Anarchie für diesen Fall vorgesehen, wo wir
> keinen fürsorglichen und gutmeinenden Staat haben, der auf uns
> aufpasst?

Eine Ahndung - wie auch heute - in Form von Vermögens- oder
Freiheitsstrafe wäre genauso möglich.

> Eine theoretische Ausarbeitung zu diesem Thema würde mich wirklich
> interessieren. Möglicher Titel: "Golden Rule -- Wenn das Kind
> bereits in den abgrundtiefen Brunnen geworfen wurde".

Oh, warum sollte ich nicht der Regel "wenn jemand einen Menschen
umbringt, sollte er lebenslang eingesperrt werden" zustimmen wollen?

In der GR-Anarchie steht diese meine Regel dann, für alle lesbar, im
WWW.  Und wenn ich ein Kind umbringe, dann werden mich die anderen
halt wegsperren.

> Also gibt es absolut wahre und objektive Aussagen, und du hast bloß
> deinen Popper nicht richtig gelesen.

Ich habe nie behauptet, dass es keine wahre und objektive Aussagen
gäbe.  Du liest zu unaufmerksam, scheint es.

Ilja
--
I. Schmelzer, <ilja@ilja-schmelzer.net> , http://ilja-schmelzer.net

 

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